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Landtagswahl Brandenburg: CDU-Politiker Ingo Senftleben plant eine Revolution


CDU in Aufruhr
Dieser Mann plant eine Revolution

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 26.08.2019Lesedauer: 6 Min.
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Ingo Senftleben auf einer Wanderung beim Wahlkampfauftakt: Der CDU-Politiker will in Brandenburg Ministerpräsident werden.Vergrößern des Bildes
Ingo Senftleben auf einer Wanderung beim Wahlkampfauftakt: Der CDU-Politiker will in Brandenburg Ministerpräsident werden. (Quelle: Oliver Killig/dpa-bilder)

In Brandenburg wird die Regierungsbildung diesmal besonders schwierig. Der CDU-Landeschef schließt eine Koalition mit der Linken nicht aus. Es wäre eine Revolution – für ganz Deutschland.

Wer sich einen Revolutionär vorstellt, denkt wahrscheinlich an Che Guevara, an Robespierre, vielleicht an Simón Bolívar. An Ingo Senftleben denkt wohl niemand. Dabei ist er drauf und dran, die politische Landschaft Deutschlands umzupflügen. Er revoltiert gewissermaßen gegen Gesetz und Königin. Gewaltfrei, natürlich, aber aus Sicht vieler nicht weniger unverfroren.

Ingo Senftleben ist Vorsitzender der CDU in Brandenburg und will dort am 1. September Ministerpräsident werden. Das allein wäre schon bemerkenswert, das Land wird seit der deutschen Einheit von der SPD regiert. Doch Senftleben ist auch noch bereit, eines der größten Tabus seiner Partei zu brechen: Er würde dafür mit der Linken regieren.

Senftleben revoltiert damit nicht nur gegen das Gesetz, also einen Beschluss des Hamburger Parteitags Ende 2018, der genau das ausschließt. Er revoltiert nicht nur gegen die Königin, die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die nicht müde wird, auf diesen Beschluss hinzuweisen. Senftleben stellt sich gegen eine der wirkmächtigsten Erzählungen seiner Partei: Wir Bürgerlichen sind diejenigen, die die Freiheit vor den Kommunisten schützen müssen.

Kommt es zur Revolution, sollte also die CDU in Brandenburg wirklich mit der Linken regieren, dann wäre das mehr als eine wunderliche Ausnahme im Osten. Ingo Senftleben, der 45 Jahre alte frühere Maurer aus der Lausitz, würde zum Pionier einer neuen politischen Realität in Deutschland.

Revolutionär wider Willen

Dabei ist Senftleben ein Revolutionär wider Willen. "Wir haben keinen Bock auf eine Koalition mit der Linken", sagte er der "Zeit" einmal, nachdem er Ende 2018 die Linken-Koalition nicht ausschließen wollte und die erste Welle der Empörung folgte. Man kann ihm das ruhig glauben, er gilt zwar in seiner Partei als Linksliberaler und Merkel-Anhänger, aber bis zur Linkspartei ist es von da aus immer noch weit.

Dass Senftleben trotzdem offen dafür ist, mit der Linken zu regieren, dafür kann er eigentlich gar nichts, so sieht er das wohl. Ihm ist die Realität dazwischengekommen, die Realität des neuen deutschen Parteiensystems. Mit der AfD hat sich in ganz Deutschland eine Partei etabliert, die im Westen um die zehn Prozent und im Osten um die 20 Prozent der Stimmen bindet.

Für die restlichen Kräfte in diesem Sechs-Parteien-System, für CDU, Grüne, SPD, FDP und Linke, bleibt damit viel weniger übrig, als sie gewohnt waren. Wo für eine Regierungsmehrheit früher zwei Partner genügten, braucht es heute oft drei, manchmal vielleicht sogar vier.

Das stellt die Parteien vor ein doppeltes Problem: Um regieren zu können, müssen sie im Zweifel mit Partnern zusammenarbeiten, die ihnen sehr fernstehen. Sie müssen flexibel sein, auch inhaltlich. Zugleich müssen sich die Parteien von der Konkurrenz abgrenzen, die größer und vielfältiger geworden ist, damit sie erkennbar bleiben und überleben. Gesucht ist also: maximale Flexibilität, möglichst ohne Selbstaufgabe.

Keine gute Option

In Brandenburg ist die Lage für Ingo Senftleben dabei besonders schwierig. Mit SPD, CDU, Linken und Grünen lagen in den Umfragen wochenlang vier Parteien fast gleichauf, sie kreisten um die 17 Prozent und wechselten immer mal wieder die Positionen. Erst jetzt setzen sich SPD und CDU etwas ab und die anderen fallen leicht zurück. Hinzu kommt die AfD, die um den ersten Platz kämpft, mit der aber niemand regieren will. Die FDP und die Freien Wähler müssen bei fünf Prozent um den Einzug in den Landtag bangen. Auch daran hängen mögliche Mehrheiten.

Senftleben könnte drei Möglichkeiten haben, um zu regieren: eine Koalition seiner CDU mit SPD und Linken, ein Bündnis mit SPD und Grünen oder eines mit Grünen und Linken. Als Herausforderer nach 30 Jahren SPD-Regierung in Brandenburg wirbt er für einen "echten Politikwechsel". Die derzeitige Regierung aus SPD und Linke durch ein Bündnis mit der CDU an der Macht zu halten, fällt damit eigentlich weg. Doch eine der beiden Parteien braucht Senftleben für eine Koalition. Er macht vor allem die SPD für die Versäumnisse der Vergangenheit verantwortlich, mit Ministerpräsident Dietmar Woidke will er nach der Wahl erst gar nicht sprechen. Allerdings regiert auch die Linke schon seit 2009 mit. Eine gute Option gibt es für Senftleben nicht.

Doch mit der Linken zu regieren, das wäre eben mehr als nur ein Kulturbruch, mehr als eine unangenehme Zusammenarbeit von Anzugjacken und Lederwesten. "Freiheit statt Sozialismus" wählte die CDU einst als Wahlkampfparole, 1976 war das. Eine Linkspartei gab es damals noch gar nicht, dafür gab es die DDR noch. Der Slogan richtete sich gegen die SPD. Als die Sozialisten als PDS dann wirklich in ganz Deutschland zur Wahl standen, zog die CDU 1994 mit der "Rote-Socken-Kampagne" in den Wahlkampf und warnte vor einer Regierung aus Rot und Dunkelrot. 1998 plakatierte sie "Aufpassen Deutschland!" – unter einem Bild eines Handschlags von SPD und PDS. Wir – oder der Kommunismus. So mobilisierte die CDU jahrelang ihre Wähler.

Denkzettel auf Senftlebens Krönungsparteitag

Und so kritisiert nicht nur CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer die Annäherung Senftlebens an die Linken. Auch in seinem brandenburgischen Landesverband sind Senftleben und seine Strategie höchst umstritten. So umstritten, dass er im Juni auf seinem Krönungsparteitag, der gewöhnlich Rückenwind für den Wahlkampf geben soll, mit nur 69,5 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt wurde.

Dafür unterstützten die Delegierten des Parteitags einen seiner größten Kritiker, der mit einer klaren Absage an eine Links-Koalition für sich warb: Frank Bommert. "Das ist mit mir nicht zu machen", rief er den Delegierten zu – und erstritt sich statt des für ihn vorgesehenen 25. Platzes auf der Landesliste in einer Kampfkandidatur den vierten Platz.

"Die Leute, mit denen ich zu tun habe, sagen: alles, aber nicht das", sagt der Unternehmer Bommert auch heute noch über seine Erfahrungen an der CDU-Basis. Er selbst begründet seine Ablehnung sowohl inhaltlich als auch historisch. "Bei der Wirtschaft liegen die Vorstellung von CDU-Wirtschaftsflügel und Linken diametral auseinander", sagt er zu t-online.de. Zudem gebe es bei der Linken immer noch Leute mit Stasi-Vergangenheit. Eine richtige Abkehr von ihrer Geschichte in der DDR habe in der Partei nicht stattgefunden.

Senftlebens heikles Experiment

Senftlebens Revolution ist ein Experiment, das er selbst nicht beherrscht. Es gibt viele Unberechenbarkeiten. Zunächst einmal müssen die Wähler seine CDU bei der Wahl wohl mindestens auf den zweiten Platz hinter der AfD platzieren, damit er Ministerpräsident werden kann.

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Dann müssten die Grünen mit der CDU koalieren wollen – und die Linke selbst auch. Die Grünen-Landesspitze hat zuletzt mehr oder weniger unverhohlen zu erkennen gegeben, dass sie durchaus gerne mit der CDU regieren würde. Die Linke gibt sich skeptisch, weil Senftleben zwar eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen hat, aber nach der Wahl trotzdem mit der Partei sprechen will, um zu zeigen, dass er die Sorgen der Menschen ernst nimmt.

Doch selbst wenn Senftlebens CDU zweitstärkste Kraft wird, wenn er die Grünen überzeugt und auch die Linken, wartet da eine weitere Unberechenbarkeit: Er hat versprochen, die CDU-Mitglieder in Brandenburg über den Koalitionsvertrag abstimmen zu lassen. Sie entscheiden also letztlich, ob eine Regierung zustande kommt oder nicht.

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Senftleben-Kritiker Bommert ist sich "sehr sicher", dass eine Linken-Regierung an der Basis scheitern würde. Auch wenn es in der Fraktion derzeit nur wenig offene Kritik am Kurs gibt. Doch Koalitionsverhandlungen entwickeln beizeiten ihre eigene Dynamik. Würde sich die Basis wirklich dagegenstellen, wenn die einzige Alternative wäre, schon wieder nicht zu regieren? Gerade in Ostdeutschland, wo bei vielen Menschen zwar die Erinnerung an die Stasi wach ist, wo die Linke aber auch seit Jahren etablierte Regierungspartei ist?


Die Umfragewerte für die CDU haben sich jedenfalls weder merklich verbessert noch verschlechtert, seit Senftleben seine linke Gesprächsbereitschaft signalisiert hat. Ein Schreckgespenst – das scheint die Schwarz-dunkelrot-grüne-Revolution für CDU-Wähler nicht zu sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit CDU-Politiker Frank Bommert am Telefon
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