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Thüringen: Mike Mohring kann nur verlieren – eine Analyse


Politisches Chaos in Thüringen
Der Tabubrecher ist gescheitert

  • Johannes Bebermeier
Eine Analyse von Johannes Bebermeier

13.01.2020Lesedauer: 6 Min.
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Mike Mohring: Der Thüringer CDU-Chef ist mit seiner Verhandlungsstrategie in Thüringen gescheitert, doch das Problem ist größer.Vergrößern des Bildes
Mike Mohring: Der Thüringer CDU-Chef ist mit seiner Verhandlungsstrategie in Thüringen gescheitert, doch das Problem ist größer. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Die Regierungsbildung in Thüringen ist extrem kompliziert. Die CDU spielt dabei kaum eine Rolle. Das liegt an einem hausgemachten Problem, das die Partei weiter beschäftigen wird.

Es ist nicht überliefert, wie oft Mike Mohring sich in der letzten Zeit aus Thüringen nach Österreich gewünscht hat. Das Land, in dem der konservative Kanzler Sebastian Kurz gerade aus einer Koalition mit der sehr rechten FPÖ in ein Bündnis mit den Grünen gewechselt ist, ohne größere Schmerzen, zumindest für ihn. Mohring jedenfalls gratulierte seinem flexiblen Weggefährten nach der Wahl überschwänglich. Und musste sich dann wieder mit seiner festgefahrenen Realität in Thüringen beschäftigen.

Dort hat der Thüringer CDU-Chef im vergangenen Jahr die Landtagswahl hinter der Linken und der AfD deutlich verloren und muss nun langsam einsehen, dass ihn seine konservativen Lockerungsübungen nicht weit gebracht haben. Bei der nun anstehenden Regierungsbildung kann Mohring eigentlich nur verlieren. Das liegt an ihm und seiner Verhandlungsstrategie, aber eben nicht nur. Denn in Thüringen zeigt sich das Problem der CDU im neuen deutschen Parteiensystem.

Hin und her und wieder hin

Die Landtagswahl hatte das politische Thüringen Ende Oktober in eine extrem komplizierte Lage gebracht. Die amtierende Regierung aus Linken, SPD und Grünen hat keine Mehrheit mehr bekommen. Alle anderen jahrelang eingeübten Konstellationen funktionierten aber auch nicht. Das führte dazu, dass sich besonders die CDU nach der Wahl mit allerlei außergewöhnlichen Ideen ins Gespräch brachte. Immerhin war sie mit 21,8 Prozent drittstärkste Partei nach Linken (31 Prozent) und AfD (23,4 Prozent) geworden.

Mike Mohring, der eine Zusammenarbeit mit den beiden nun stärksten Parteien vor der Wahl noch ausgeschlossen hatte, ging noch am Wahlabend überraschend deutlich auf die Linke zu. Sogar eine Koalition schien für ihn plötzlich denkbar. Wenn man schon irgendwie mit der Linken zusammenarbeiten muss, dann wenigstens in einer Regierung, mit Macht und Ministerposten, so das augenfällige Kalkül.

Seine radikale Flexibilität scheiterte zunächst. Er wurde sowohl von der Bundes-CDU als auch von seinem Thüringer Landesverband zurückbeordert, mit dem Hinweis auf einen Parteitagsbeschluss, der "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" mit Linken und AfD ausschließt. Einige seiner Parteifreunde flirteten trotzdem mit der AfD, Mohring ließ auch diese Debatte lange laufen, bis abermals die Bundespartei eingriff – und Mohring letztlich ausschloss, sich von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen.

Geschlagen gab er sich trotzdem nicht. Mohring brachte auch noch eine Simbabwe-Koalition ins Spiel, ein Viererbündnis aus CDU, SPD, Grünen und FDP – die den kleinen Schönheitsfehler hatte, dass SPD und Grüne von ihr nichts wissen wollten.

Die CDU bringt sich nochmal ins Spiel

Seitdem steuerte in Thüringen wochenlang alles auf eine Minderheitsregierung von Linken, SPD und Grünen zu. Für den amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow reicht es dank der Landesverfassung, wenn er im dritten Wahlgang die meisten Stimmen bekommt. Der Haushalt für 2020 ist schon beschlossen, da hatte Rot-Rot-Grün vorgesorgt. Für Gesetze muss sich die Minderheitsregierung zwar jeweils im Landtag Mehrheiten suchen, das ist nicht komfortabel. Aber etwas anderes schien nicht mehr zur Diskussion zu stehen.

Bis die CDU sich noch einmal meldete. In Interviews mit der "Thüringer Allgemeinen" und dem MDR schlug der frühere CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus eine "Projektregierung" von CDU und Linken vor, die vom früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck vermittelt werden sollte. Sie sollte nach Althaus‘ Vorstellungen 10 bis 15 Projekte enthalten, die in einer von der Linken oder der CDU getragenen Regierung mit "Experten" umgesetzt würden. Der Thüringer CDU-Generalsekretär Raymond Walk sagte anschließend, dass er sich sogar CDU-Minister in einer solchen Projektregierung vorstellen könne. Auch Mohring fand das alles sehr interessant.

Und so war die Diskussion zweieinhalb Monate später wieder auf dem Stand des Wahlabends angelangt, nämlich de facto bei einer Koalition aus Linken und CDU. Doch natürlich meldete sich abermals die Bundes-CDU und verwies auf den Parteitagsbeschluss zur Zusammenarbeit mit der Linken, an dem sich ja durchaus immer noch nichts geändert hatte.

Ein Essen mit dem früheren Bundespräsidenten

Joachim Gauck lud Mike Mohring und Bodo Ramelow trotzdem an diesem Sonntag zu Abendessen und Gespräch ein, und auch am Montag diskutierten Linke, Grüne und SPD mit CDU und FDP. Denn selbst wenn es nicht zu einer Koalition aus Linken und CDU kommt, die auch die Linke inzwischen ausschließt, muss Rot-Rot-Grün ja Mehrheiten für Gesetze zusammenbekommen. Dafür ist man auf Stimmen der CDU oder der FDP angewiesen.

Das Programm der rot-rot-grünen Minderheitsregierung steht inzwischen weitgehend, wobei es gerade mit den Grünen noch Streit über einzelne Ministerämter gibt. Insofern dürfte Ramelow die erneute Initiative der CDU als Druckmittel für seine Verhandlungen sogar recht sein.

Mohring selbst scheint sich nach der erneuten Abfuhr aus Berlin von der Idee einer irgendwie-koalitionsartigen Regierungsbeteiligung verabschiedet zu haben. Feste Strukturen und regelmäßige Treffen solle es nicht geben. Er kündigte aber am Montag an, dem Ministerpräsidenten eine Ideenliste für mögliche gemeinsame Projekte vorzulegen, für die die CDU im Parlament Mehrheiten sichern wolle.

Regieren, ohne in der Regierung zu sein

Mohring will also eigentlich genau das machen, was man in einer Regierung macht, nämlich gemeinsam Gesetze verabschieden. Nur eben ohne Teil der Regierung zu sein. Wenn die Bundes-CDU ihn denn lässt. Die CDU würde keine Minister stellen, was weniger Macht für sie bedeutet und zugleich heißt, dass sie weniger Verantwortung für die Politik tragen muss, die sie mitgestaltet. Das kann man schon demokratietheoretisch schwierig finden. Vor allem aber wird es für die CDU zu einem strategischen Problem – und bringt sie in Erklärungsnot.

Durch die AfD hat sich in Deutschland ein Sechs-Parteien-System herausgebildet. Um weiterhin Regierungen bilden zu können, sind Parteien gezwungen, außergewöhnliche Bündnisse einzugehen, mit drei Parteien, vielleicht sogar mit vieren. Der CDU, die sich historisch durch ihren Machtpragmatismus und Regierungswillen hervorgetan hat, bereitet das aktuell offensichtlich größere Probleme als den Grünen oder der SPD.

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In großen Teilen der CDU gibt es eine ehrlich empfundene Abneigung gegenüber der Linken, genauso wie es sie gegenüber der AfD gibt. Das hat zu eben jenem Parteitagsbeschluss geführt, der "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" mit Linken und AfD ausschließt – und zwar gleichermaßen. Der Beschluss ist Zeugnis der sogenannten Hufeisentheorie, die davon ausgeht, dass extreme Linke und extreme Rechte gleich weit von der politischen Mitte entfernt seien, sie sich also an den Spitzen des Hufeisens wiederträfen.

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Das Problem mit dem Hufeisen

Die Hufeisentheorie ist umstritten, und gerade am Beispiel Thüringen zeigt sich, dass es Probleme gibt, wenn man sie kategorisch auf die politische Wirklichkeit anwenden will. Denn auch wenn viele CDU-Mitglieder die Linke ehrlich ablehnen, würden wohl wesentlich weniger von ihnen sagen, dass die Linke des sehr gemäßigten Bodo Ramelows in Thüringen genauso problematisch ist wie die dortige AfD des sehr radikalen Björn Höcke.

Hinzu kommt, dass die Ablehnung der Linken argumentativ auf wackligen Füßen steht. Das historische Argument, dass sie die "SED-Nachfolgepartei" ist, stimmt zwar, verliert aber an Kraft, wenn selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung daran erinnert, dass auch die CDU eine Vergangenheit in der DDR hatte. Dass sie selbst durch die "erzwungene Umformung" in "organisatorischer und programmatischer Sicht als eine Kopie der SED" galt, die sich durch "bedingungslose Gefolgschaft" ausgezeichnet habe. Und sich später die bundesrepublikanische CDU aus der früheren Blockpartei rekrutiert hat.

Das andere Argument der CDU gegen die Linke ist ein inhaltliches: Sie wolle eine andere Gesellschaft als die CDU, und auch das stimmt natürlich. Nur dieses Argument verliert ebenso an Kraft, wenn die CDU inhaltlich doch diverse Projekte findet, die sie mit der Linken in Gesetze gießen kann, wie es Mohring jetzt in Thüringen plant.

Ob die kategorische Gleichsetzung von AfD und Linken also wirklich glücklich ist, dürfte in der CDU künftig weiter Thema sein. Schon 2021 könnte sie in Sachsen-Anhalt vergleichbare Probleme bekommen wie jetzt in Thüringen. Bundesweit ist das Dilemma durch die Stärke der Grünen derzeit noch nicht so akut. Aber die politische Landschaft ist im Fluss.

Mohring selbst steckt derweil weiter in der Sackgasse. Seine Verhandlungsstrategie war teils abenteuerlich, seine Partei hat es ihm aber auch schwer gemacht. Womöglich bringt er einige Projekte mit Rot-Rot-Grün durch, das ist immerhin etwas. Nur ob ihm das bei den nächsten Wahlen positiv angerechnet wird, ist fraglich. Großen Einfluss auf die Minderheitsregierung dürfte er nicht besitzen, denn der beliebte Ramelow weiß, dass die CDU nicht viel gewinnen würde, wenn sie die Minderheitsregierung blockiert und es zu Neuwahlen kommt.

Und so dürfte Mike Mohring ab und zu weiter neidisch nach Österreich blicken, zu Sebastian Kurz und dessen sehr flexibler ÖVP.

Verwendete Quellen
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