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Fall Walter Lübcke: Markus H. – der zweite Mann


Prozess im Mordfall Lübcke
Markus H. – der zweite Mann

  • Jonas Mueller-Töwe
  • Lars Wienand
Von Jonas Mueller-Töwe, Lars Wienand

Aktualisiert am 15.06.2020Lesedauer: 4 Min.
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Markus H. soll geholfen haben, Walter Lübcke zu ermorden: Welche Rolle spielte der Rechtsextremist für die Tat? Das Gericht sprach ihn in diesem Anklagepunkt frei.Vergrößern des Bildes
Markus H. soll geholfen haben, Walter Lübcke zu ermorden: Welche Rolle spielte der Rechtsextremist für die Tat? Das Gericht sprach ihn in diesem Anklagepunkt frei. (Quelle: Schützenclub 1952 Sandershausen/t-online.de)

Der Neonazi Stephan E. soll den CDU-Politiker Walter Lübcke erschossen haben. Davon geht die Bundesanwaltschaft aus und macht ihm den Prozess. Noch wird über die Rolle des Mitangeklagten H. gerätselt.

Als Walter Lübcke in der Nacht zum 1. Juni 2019 vor seinem Wohnhaus in Hessen erschossen wird, ist Markus H. nicht vor Ort. So sieht es die Bundesanwaltschaft, die ihn der Beihilfe zum Mord angeklagt hat. An diesem Dienstag beginnt der Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Der Neonazi Stephan E. soll der Täter sein. Dafür sprechen die am Tatort gefundene DNA-Spur und ein Geständnis des Mannes, das die Ermittler unter anderem zur Tatwaffe führte.

Das Problem: E. widerrief sein Geständnis später und belastete stattdessen H. – der habe Lübcke in einem Gerangel erschossen. Eigentlich, so die Behauptung des nun Hauptangeklagten, habe man dem Politiker nur gemeinsam "eine Abreibung verpassen" wollen. Die Ermittler schenken dieser zweiten Version keinen Glauben, denn dagegen spricht auch die Spurenlage am Tatort. Doch welche Rolle spielte H. tatsächlich?

Die Ermittler haben sich folgendes Bild gemacht: Während sich der vielfach vorbestrafte Neonazi E. immer weiter radikalisierte, hat H. ihn darin bestärkt. Zwar gibt es keine Belege, dass er von dem konkret geplanten Anschlag gewusst hat – er soll aber für möglich gehalten haben, dass E. einen politischen Entscheidungsträger töten würde. Und im Hass auf Lübcke waren sie sich einig. Konkret habe H. davon gewusst, dass E. Lübckes Wohnort ausspioniert habe. Gemeinsame Schießübungen in einem Schützenverein hätten der Tatvorbereitung gedient. Auch habe er E. mit dem Mann bekannt gemacht, von dem die Tatwaffe stammt.

Zeugin: "Denker" und "Macher"

Gestützt werden diese Annahmen wohl unter anderem durch die Zeugenaussage von H.'s ehemaliger Lebensgefährtin gegenüber den Behörden: Demnach bezeichnete sie H. als "Denker", E. hingegen als "Macher". Beide hätten – so steht es in Dokumenten des Bundesgerichtshofs – eine auf Verheimlichung angelegte Kommunikation gepflegt. Auch H.'s "sonstiger Lebensstil" habe dem entsprochen. So sei er zeitweise nicht mit seinem Klarnamen aufgetreten. H.'s Anwalt bezeichnete das als Vermutungen, der Tatverdacht stehe "auf schwachen Füßen". Auf Anfrage von t-online.de äußerte er sich nicht.

Sicher ist: Auch der 44-jährige H. aus Kassel ist als Rechtsextremist bekannt. 2006 wurde er laut übereinstimmenden Medienberichten im Zusammenhang mit dem NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel vernommen. Immer wieder, jedenfalls auffällig oft, habe er demnach die eigens eingerichtete Hinweisseite des BKA besucht.

Die Vernehmung habe aber nicht viel ergeben, sein rechtsextremer Hintergrund sei nicht einmal zur Sprache gekommen. Erst fünf Jahre später flog die Mordserie als Neonazi-Terror auf. Wie die Opfer ausgewählt wurden und ob es mögliche Helfer und Unterstützer vor Ort gab, ist nicht vollständig aufgeklärt.

E. und H. geraten aus dem Blick

Im selben Zeitraum wurde es ruhiger um die Angeklagten. Den Behörden galten die Männer seitdem als "abgekühlt". Das heißt: Beide hatten eine jahrelange auch gemeinsame Historie in der Neonazi-Szene, wurden in den letzten Jahren dort zuletzt aber nicht mehr auffällig. Was Verfassungsschutz und Polizei offenbar verborgen blieb: E. sammelte auf einem USB-Stick Informationen über etwa 60 Menschen und Objekte im Raum Kassel. Das bestätigte das hessische Landeskriminalamt im Zuge der Ermittlungen zum Fall Lübcke.

Derweil bestand der Kontakt zwischen den beiden Männer fort - wenn auch mit möglicher Unterbrechung. Gemeinsam schossen sie bis mindestens 2017 im Schützenverein und übten mit dem Kaliber der später verwendeten Tatwaffe. Zeitgleich wurden beide auch politisch wieder aktiv.

Laut Recherchen von t-online.de besuchten sie im Jahr 2015 die angeblich für die Tat ausschlaggebende Bürgerversammlung mit Regierungspräsident Walter Lübcke im hessischen Lohfelden. H. verbreitete anschließend den berüchtigten Video-Mitschnitt der Veranstaltung auf der Video-Plattform YouTube, der zu den rechtsextremen Drohungen gegen Lübcke führte.

Es wurde in einem Kanal "Professor Moriatti" hochgeladen, der weitere Hinweise zu H. liefert. Unter dem Namen hatte auch jemand im Forum der örtlichen Tageszeitung "HNA" geschrieben – meist zu Flüchtlingsthemen. Zahlreiche Details in Beiträgen des "Professor Moriatti" im Forum treffen auf H. zu.

Die beiden Männer tickten weiterhin politisch gleich. Gemeinsam besuchten sie im September 2018 eine Großdemonstration der AfD in Chemnitz, bei der es zu Ausschreitungen kam. In den Jahren zuvor waren sie möglicherweise auf weiteren AfD-Veranstaltungen, unter anderem in Erfurt, wo der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke sprach. Hielt E. seine konkreten Anschlagspläne vor seinem Freund trotzdem geheim?

Gelöschte Daten und ein Dokument

Dem "Spiegel" zufolge tauschten E. und H. in den zweieinhalb Monaten vor der Tat Dutzende Nachrichten über einen verschlüsselten Messenger aus. Zwei Tage nach dem Anschlag habe E. dann 250 Datensätze gelöscht. Die Bundesanwaltschaft glaube, dass es sich bei den gelöschten Daten um "tatbezogene Kommunikation" gehandelt habe. Auch auf H.'s Handy hätten Kriminaltechniker die Chats nicht mehr sicherstellen können.

Stattdessen war dort ein polizeiinternes Dokument zu finden: In der Schulungsunterlage für Polizisten ging es um Fahndungen in Fällen "terroristischer Gewaltkriminalität von bundesweiter Bedeutung". Zudem tauchte bei einer Durchsuchung in H.'s Wohnung ein Buch auf, in dem Lübckes Name mit einem Textmarker gelb angestrichen war.

Spielte er also möglicherweise doch eine größere Rolle für das Attentat an Walter Lübcke als bekannt? Bislang hält das die Anklage offenbar für nicht belegbar. Sie wirft ihm lediglich Beihilfe vor. H. selbst schweigt weitgehend dazu. Er wird durch zwei Szeneanwälte vertreten: Beide verteidigten auch Angeklagte im NSU-Prozess.

Verwendete Quellen
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