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Corona-Gipfel ist ein Auslaufmodell: Wer braucht das noch?


Auslaufmodell Corona-MPK
Wer hört ihnen eigentlich noch zu?


Aktualisiert am 24.01.2022Lesedauer: 5 Min.
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Bundeskanzler Scholz, Ministerpräsident Wüst und Regierende Bürgermeisterin Giffey bei einer Pressekonferenz.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Scholz, Ministerpräsident Wüst und Regierende Bürgermeisterin Giffey bei einer Pressekonferenz. (Quelle: Bernd Elmenthaler/imago-images-bilder)

Die Ministerpräsidenten treffen sich. Mal wieder. Und mal wieder werden die Ergebnisse überschaubar sein. Denn das einst mächtigste Gremium zur Corona-Bekämpfung ist nun nahezu unbedeutend.

Heute Nachmittag werden sie wieder alle im Kanzleramt sitzen. In gebührendem Abstand, natürlich, an dem langen Tisch vor der hellblauen Wand mit dem Bundesadler: Kanzler Olaf Scholz, Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst und Steffen Hebestreit, der Regierungssprecher.

Von diesem Ort aus, der in den vergangenen zwei Jahren zu so etwas wie der Corona-Kanzel der Pandemie-Gemeinde Deutschland geworden ist, werden sie ihre Beschlüsse verkünden und ihre Appelle formulieren. Ganz so, als sei alles wie immer. Als sei dieses Gremium, das mal Bund-Länder-Runde, mal Ministerpräsidentenkonferenz oder einfach kurz Corona-MPK genannt wird, noch genau so wichtig wie vor einem Jahr.

Doch das stimmt nicht. Die Zeiten, in denen halb Deutschland gebannt darauf wartete, welche Botschaft von der Corona-Kanzel verkündet wird, sind vorbei. Und das ist durchaus erklärungsbedürftig. Denn immerhin waren noch nie so viele Menschen mit Corona infiziert wie heute.

Gründe dafür gibt es viele: Die Pandemie steckt schon seit einiger Zeit in einer neuen Phase. Aber es hängt auch mit den kleinen und großen Machtverschiebungen in der Politik zusammen. Und mit den Menschen, die diese Macht ausüben.

1. Die Lage der Pandemie

Die Pandemie im Winter 2022 ist eine andere als noch im Winter 2021. Und auch eine andere als in den Monaten danach. Mehr als 73 Prozent der Menschen in Deutschland sind inzwischen zweimal geimpft, gut 50 Prozent haben sich ihre Drittimpfung abgeholt. Das verhindert bei vielen zumindest einen schweren Verlauf der Krankheit.

Und dann ist da natürlich Omikron. Die Variante ist zwar ansteckender, aber verläuft bei vielen offenbar auch milder als frühere. Milder als Ende vergangenen Jahres noch befürchtet. Was in den Augen der meisten Experten zwar nicht heißt, dass man jetzt sofort alles laufen lassen kann. Denn durch die schiere Zahl der Infektionen brächen die Kapazitäten in den Kliniken sonst wohl trotzdem zusammen.

Aber es heißt aus Sicht von Politikern eben schon, dass Einschränkungen nun noch besser abgewogen werden müssen. Das Restrisiko für den Einzelnen scheint geschrumpft zu sein – zumindest wenn dieser Einzelne geimpft ist. Also muss die Freiheit eher wachsen, so sehen das einige.

Es ist deshalb auch die Lage der Pandemie, die gerade dazu führt, dass eigentlich kaum noch jemand weitreichende Verschärfungen fordert. Die Bundesregierung würde argumentieren: Weil wir schon Ende 2021 die richtigen, harten Einschränkungen beschlossen haben. Und tatsächlich verläuft die Omikron-Welle im Vergleich zu anderen Ländern zumindest verzögert.

Ein Gremium aber, das ohnehin kaum etwas beschließt, das der Rede wert ist, über das redet eben auch fast niemand mehr. Und so verliert die Corona-MPK an Aufmerksamkeit und Bedeutung.

2. Scholz ist nicht Merkel – und Lauterbach ist jetzt Ampel-Anwalt

Wenn es etwas gab, auf das man sich in den vergangenen zwei Jahren in der Regel verlassen konnte, dann darauf, dass Angela Merkel die Beschlüsse der Corona-MPKs zu lasch waren. Sie war die eigentliche Anführerin des "Team Vorsicht", oft im heimlichen Einklang mit Ehrenmitglied Karl Lauterbach.

Doch mit der Bundestagswahl im Herbst hat sich die Macht in Deutschland verschoben, und mit der Macht auch die Politik in der Pandemie. Karl Lauterbach ist jetzt Gesundheitsminister, er kann nicht mehr nur als Anwalt in eigener Sache unterwegs sein, sondern muss jetzt der Anwalt der Ampelkoalition sein. Sogar der Anwalt der freiheitsliebenden FDP.

Der Bundeskanzler heißt jetzt Olaf Scholz. Und der ist nun mal nicht Merkel, auch wenn er diesen Eindruck im Wahlkampf gerne erzeugt hat. Das zeigt sich in der Pandemiepolitik besonders gut. Beide orientieren sich an der Wissenschaft, das schon. Aber ganz so konsequent wie Merkel ist Scholz bei seinen Schlussfolgerungen nicht, was eben oft heißt: nicht so vorsichtig. Das liegt nicht nur an der FDP, sondern auch an seiner Grundhaltung.

Angela Merkel ist in die Corona-MPKs oft mit Beschlussvorlagen aus ihrem Haus gegangen, die schon vorher unter den Länderchefs umstritten waren, weil sie so restriktive Maßnahmen vorsahen. Wenn es für sie gut lief, setzte sie strengere Regeln durch, als sich viele vorher vorstellen konnten. Als es mal ganz schlecht lief, kam die sogenannte Osterruhe heraus, die Merkel wenige Tage später kippen und sich für das Chaos entschuldigen musste.

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Bei Scholz hingegen unterscheiden sich die Beschlussvorlagen, die am Vortag herumgehen, selten wirklich grundlegend von den späteren Beschlüssen. Was bedeutet, dass schon vor Beginn des eigentlichen Treffens ein für alle tragbarer Kompromiss gefunden wurde. Der Raum für Überraschungen schrumpft damit, genau wie die Bedeutung des Treffens selbst.

3. Das Dilemma des Hendrik Wüst oder: Wie geht eigentlich Krise?

Gerade zu Beginn der Pandemie war die Ministerpräsidentenkonferenz von den zwei Polen der größten deutschen Bundesländer geprägt: Bayern und Nordrhein-Westfalen. In Bayern sitzt zwar immer noch Markus Söder (dazu gleich mehr), in NRW gab es jedoch einen Wechsel an der Spitze. Auf Armin Laschet folgte der bisherige Landesverkehrsminister Hendrik Wüst. Früher galt der mal als konservativer Hardliner, heute tritt er oft ruhiger auf. Doch mit markigen Forderungen hält er sich trotzdem nicht immer zurück.

Anfang Januar preschte Wüst in einer Runde der Länderchefs damit vor, dass man vonseiten der Union die epidemische Lage nationaler Tragweite wieder ausrufen wolle. Scholz ließ ihn auflaufen, es hieß in der Runde, die Forderung sei ein pures Ablenkungsmanöver. Zudem drängte Wüst auf eine baldige Einführung der Impfpflicht, wieder drückte die SPD auf die Bremse. Vor der MPK an diesem Montag trat Wüst zurückhaltender auf, er sprach sich vor allem gegen Lockerungen aus. Das war ohnehin erwartet worden.

Hendrik Wüst hat ein Problem. Er war vorher Landesminister und wurde in den Sessel des Ministerpräsidenten regelrecht hineinkatapultiert. Plötzlich ist er auch noch Chef der Ministerpräsidentenkonferenz. Und die Union ist auf Bundesebene in der Opposition. Wüst muss einen Spagat finden zwischen angemessener Regierungsarbeit und klarer Kritik an der Bundesregierung.

Er steht dabei unter Zeitdruck: Am 15. Mai wird in NRW der Landtag neu gewählt. Scheitert Wüst, verliert die Union ein großes Bundesland an die SPD. Das führt dazu, dass Wüst aktuell keine klare Linie vertreten kann – und trägt in letzter Konsequenz auch nicht eben zur Relevanz der Runde bei.

4. Plötzlich handzahm: Der bayerische Löwe Markus Söder

Den Druck mit den Wahlen kennt der ehemalige selbsternannte Kapitän des "Team Vorsicht": Markus Söder. Bei ihm ist es zwar noch ein wenig länger hin, voraussichtlich im Herbst nächsten Jahres wird in Bayern der Landtag neu gewählt, doch den Druck spürt er trotzdem.

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Seine Beliebtheitswerte sind massiv eingebrochen, in manchen Umfragen hat die CSU nicht mal mehr mit den Freien Wählern, also ihrem aktuellen Regierungspartner, eine Mehrheit. Nur 38 Prozent der Bayern sind zufrieden mit Söder, etwa die Hälfte der Einwohner kritisiert seine Arbeit als Landeschef.

Deshalb wirkt es inzwischen so, als habe der Kapitän des "Team Vorsicht" seine Kameraden im Stich gelassen und sei ins "Team wird schon" gewechselt. Söder ist jedenfalls gegen Verschärfungen, mehr noch: Er will sich auch für ein Ende der Geisterspiele in Stadien einsetzen. Seinen Generalsekretär Markus Blume ließ er in der "Welt" erklären: "Wahr ist, mit Omikron ändern sich die Grundlagen". Söders Position ist schon die goldene Brücke nach Düsseldorf, wo man bekanntlich gegen Lockerungen ist. Am Ende könnten beide mit einem "Weiter so" gut leben.

Söder hat den Nachteil, dass er nicht mehr Chef der Ministerpräsidentenkonferenz ist. Sein prominenter Platz in Berlin vor besagter blauer Wand ist besetzt. Für seine politische Kehrtwende fehlt ihm damit die große bundesweite Bühne. Zugleich fällt er als einer der letzten Kämpfer für härtere Einschränkungen weg. Ein ebenbürtiger Ersatz ist nicht in Sicht. Und damit fehlt auch die Kontroverse, die der Runde mehr Relevanz geben würde.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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