Corona ist mit Deutschland noch nicht fertig
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Die Corona-Pandemie geht ihrem Ende zu. Jedenfalls bei uns. Doch leichtsinnig sollten wir jetzt ganz sicher nicht werden. Denn das Virus kΓΆnnte noch etwas auf Lager haben.
Game over. Das war's. Obwohl es am Ende etwas zΓ€h ist und langwierig wurde, ist der zweite Teil von Corona so gut wie vorbei. Die Fortsetzung hat mehr geboten als der erste Teil, mehr Tote, mehr ZerstΓΆrung, mehr Aufregung, kennt man ja von Fortsetzungen. Die Geschichte von SARS-CoV-2 war insgesamt recht Γ€rgerlich und unlogisch β wie bei Star Wars etwa.
Dennoch: Das Coronavirus ist so gut wie besiegt. Erst einmal.
Neulich habe ich auf diversen Impfgegner-Telegram-KanΓ€len die Zeit totgeschlagen. Jetzt kommt alles raus, wurde da erzΓ€hlt. Wir haben gewonnen. Die Wahrheit kommt ans Licht, Drosten, Lauterbach, das RKI und die WHO und natΓΌrlich Bill Gates, alles wird aufgedeckt. Am Ende wird die ganze Welt sehen, dass es doch eine BevΓΆlkerungsreduktion geben sollte, die jetzt aber erst mal ausgefallen ist, was doch nur ein Trick ist, von den globalen Eliten ... arghhh.
Philipp KohlhΓΆfer ist Autor und Kolumnist und lebt in Hamburg. Er arbeitet unter anderem fΓΌr das Magazin "Geo" und das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, gefΓΆrdert vom Bundesministerium fΓΌr Bildung und Forschung. KohlhΓΆfer verfasst zudem DrehbΓΌcher und entwirft Kommunikationskonzepte. FΓΌr eine Geschichte im Pazifik wurde er beschossen, fΓΌr eine andere marschierte er tagelang durch den Regenwald. 2021 hat er den Bestseller "Pandemien. Wie Viren die Welt verΓ€ndern" verΓΆffentlicht.
Die Wahrheit ist natΓΌrlich eine andere: Wenn jetzt im MΓ€rz die MaΓnahmen auslaufen, ist das kein Sieg diverser verstrahlter Demonstranten, die stolz sind auf ihre Ignoranz, sondern es zeigt schlicht, was wissenschaftlich alles mΓΆglich ist, wenn ein groΓer Teil der Welt bei der BekΓ€mpfung eines Krankheitserregers zusammenarbeitet. Insgesamt stimmt das hoffnungsvoll, mich zumindest, weil man das theoretisch wiederholen und auf jedes andere Problem anwenden kΓΆnnte β politischer Wille vorausgesetzt.
Was zu der Frage fΓΌhrt: Und nun? Die bloΓe Feststellung "Die Endemie ist da" bringt uns nicht weiter. Weil die Frage nach dem Ende der Pandemie und dem Beginn der Endemie nicht das medizinische Ende meint. Es meint: "Wann kann alles wieder so sein wie vorher?" Es meint das soziale Ende. Eine Endemie ist, wenn eine Krankheit in einer bestimmten Gegend relativ hΓ€ufig auftritt.
Dadurch ist die Zahl der Infizierten in der Regel mehr oder weniger konstant. Wie bei den Masern etwa. Oder der Malaria. Letztere tΓΆtet jΓ€hrlich immer noch rund 400.000 Menschen β was schon viel weniger ist als noch vor wenigen Jahren. 2004 etwa starben rund 1,8 Millionen Menschen an der Krankheit. Obwohl sie endemisch ist.
Dabei ist aber das Ende einer Pandemie nicht wirklich definiert. Zwar tritt ein medizinisches Ende ein, wenn die Zahl der Erkrankten stark zurΓΌckgeht. Viele Menschen sind dann immun geworden, entweder durch eine Impfung oder durch die Infektion oder sie sind tot. Vielleicht wirken mittlerweile auch Medikamente und drΓΌcken die Zahl der schweren Erkrankungen.
Viren zu den Ohren raus
Denn, siehe HIV und Cholera, zwei Pandemien, die aktuell laufen, die wir in Europa aber vergessen haben, oder eben auch SARS-CoV-2 im FrΓΌhjahr 2022: Die Zahl der Erkrankten hat nicht zwingend etwas mit dem GefΓΌhl "Pandemie" zu tun. Eine Pandemie kann genauso sozial enden: Die Krankheit ist zwar noch weit verbreitet, aber keiner hat mehr Lust auf sie. Am Ende hΓΆren die Menschen schlicht auf, sich Sorgen zu machen und die Infektion wird Teil des Risikos, das sich "Leben" nennt.
Das ist menschlich, irgendwann muss es ja auch mal weitergehen. Und weil Omikron zweifellos zu weniger schweren VerlΓ€ufen fΓΌhrt und niemand mehr Lust auf den ganzen Mist hat, sind wir in Europa im Moment irgendwo zwischen den beiden Polen, "medizinisches Ende" und "soziales Ende".
Ich habe schon lange keine Lust mehr auf Pandemie. Mittlerweile kommen mir Viren zu den Ohren raus, die Maske nervt und ich bin sehr fΓΌrs Γffnen. Ich bin aber noch mehr dafΓΌr, auch mal zwei Meter vorauszudenken und bin immer wieder ΓΌberrascht, wie wir das als Spezies so gar nicht hinbekommen.
Denn das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Covid-19 zu einer Art zweiten Grippe wird. Nur: Damit wΓ€re es zwar endemisch, und wΓΌrde in jedem Winter zurΓΌckkommen, aber es wΓ€re eben alles andere als harmlos. Auch die Influenza macht manche Menschen schwer krank, teilweise sterben Zehntausende an dem Virus und in manchen Jahren bringt es das Gesundheitssystem an die Grenzen der Belastbarkeit. Nur: Weil wir uns daran gewΓΆhnt haben, tolerieren wir das.
Mutationen, Mutationen, Mutationen
Nur gibt es keine wirkliche Definition von "endemisch". "Endemisch" sagt weder etwas aus ΓΌber die totale Anzahl der Infizierten noch ΓΌber den Schweregrad ihrer Erkrankung. Eine Endemie kann zu einer starken Belastung des Gesundheitssystems fΓΌhren oder harmlos sein. HΓ€ufig oder selten. Das Einzige, was man sagen kann, ist, dass es in einer Endemie kein exponentielles Wachstum mehr gibt.
Aber wird die Lage wirklich relativ entspannt bleiben? Das Genom von SARS-CoV-2 umfasst 30.000 Basenpaare, was bedeutet, dass die Zahl der mΓΆglichen Mutationskombinationen unvorstellbar groΓ ist. Zwar fΓΌhren die meisten Mutationen ins Nichts und schaden dem Virus. Es ist auΓerdem unwahrscheinlich, dass das Virus so stark mutiert, dass unsere ImmunitΓ€t gegen schwere Infektionen auf null zurΓΌckgesetzt wird.
Andererseits: Omikron hat mehr als fΓΌnfzig Mutationen angehΓ€uft, davon mehr als dreiΓig allein in seinem Spike-Protein. In einer Studie von Mitte Januar beschreiben Forschende unter anderen aus SΓΌdafrika, den USA und Deutschland, dass Omikron nicht nur viele, sondern zudem auch ungewΓΆhnliche Mutationen umfasst.
Die Mutationen fΓΌr sich allein genommen, so geht es weiter, hΓ€tten die Fitness des Virus voraussichtlich verringert. Alle zusammen allerdings bewirken das Gegenteil. Und das ist nicht mal ungewΓΆhnlich. Auch die Spanische Grippe wurde nur durch die Kombination verschiedener Mutationen zum dem Superkiller, bei dem es uns noch heute gruselt β mindestens einhundert Mal tΓΆdlicher als jedes andere Grippevirus.
Veteran in Sachen Impfung
Das heiΓt nun keinesfalls, dass es wahrscheinlich ist, dass SARS-CoV-2 im nΓ€chsten Winter zu einem Superkiller mutiert. Denn obwohl die mΓΆglichen Kombinationen unvorstellbar groΓ sind, sind sie nicht unbegrenzt. Ein Spike-Protein muss immer noch aussehen wie ein Spike-Protein. Abgesehen davon muss das Virus einer immer besser werdenden Immunantwort ausweichen, die im Laufe der Zeit mit verschiedenen Varianten konfrontiert worden ist. Aber solange es weiterhin viele Neuinfektionen gibt, global gesehen, kann sich SARS-CoV-2 natΓΌrlich weiterentwickeln.
Wir kΓΆnnten uns trotzdem entspannen. Wir kΓΆnnen ja impfen. Am 16. April 1975 wurde ich gegen die Pocken geimpft. Eingetragen im Impfpass stand "mit Erfolg" und "Vacc.Antig. 1.0". Ich gehΓΆre, meines Wissens, zur letzten Generation, die in Deutschland gegen die Pocken geimpft wurde, weil die Krankheit danach kein Problem mehr darstellte, nicht in Europa, nicht im Rest der Welt.
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Als ich die Spritze gegen die Pocken bekommen habe, war ich zwar noch Kleinkind, aber trotzdem schon Veteran. Gegen Diphterie geimpft und Tetanus, Keuchhusten und Polio. Berufsbedingt mittlerweile auch gegen allerhand anderes unerfreuliches Zeug, Gelbfieber etwa und Tollwut, Hepatitis A und B, Cholera und Typhus und gegen Meningokokken auch.
AuΓerdem hatte ich mal Malaria, das war sehr unerfreulich und ist nicht empfehlenswert, aber das nutzt mir immunologisch ΓΌberhaupt nichts, weil das Parasiten sind und eine Infektion keine ImmunitΓ€t verleiht. Und weil man dagegen nicht impfen kann, hΓ€tte ich sonst gemacht, bringt mir das auch keinen FleiΓpunkt in meinem Impfheftchen.
Quo vadis, Impfpflicht?
Bin ich, als ausgewiesener Impffreund, deswegen fΓΌr die Impfpflicht? Gute Frage. Ich war lange dagegen, weil ich dachte, dass Argumente ausreichen. Dann war ich dafΓΌr, weil das mit den Argumenten eben doch nicht stimmt. Jetzt bin ich wieder tendenziell dagegen, aber eben auch nicht wirklich, denn dazu ist es mir mittlerweile zu egal.
Und ich glaube, dass ich nicht der einzige bin. Ich bin, was das angeht, vermutlich die menschgewordene Ampel: Ich neige zur Verschleppung. Nur wird das Problem ja durch Nichtbeachtung nicht gelΓΆst. Der RΓΌckgang der Impfbereitschaft ist, ja doch, irgendwie verstΓ€ndlich, einerseits. Wenn MaΓnahmen helfen und es wΓ€rmer wird, schwindet die Bedrohung.
Schwindet die Bedrohung, dann schwindet auch das Gefühl für sie. Was die Aufmerksamkeit für den Erreger verringert. Was wiederum das Gefühl der Bedrohung schrumpfen lÀsst. Und dann denken diejenigen, die noch nicht geimpft sind: Muss ja nicht sein. Ist ja weg. Andererseits unterschlÀgt das natürlich, dass es irgendwann wieder Herbst wird, auf den erfahrungsgemÀà ein Winter folgt.
Also: Wenn fΓΌnf Prozent der Gesellschaft nicht mehr an die Schwerkraft glaubt und vom Dach springen will: Soll man es dann einzΓ€unen? Eher nicht, weil das in keinem VerhΓ€ltnis mehr steht zu den Dachspringern.
Der Winter wird kommen
Irgendwann ist es halt auch mal gut. Alles an Information ist raus. Jeder, der ΓΌber Corona und die Impfung Bescheid wissen will, weiΓ alles. Die ImpflΓΌcke wird sich ohne Zwang nicht mehr schlieΓen, so realistisch kann man mal sein. Der nΓ€chste Winter kommt bestimmt und es sollte wohl eine rechtliche MΓΆglichkeit geben, zu MaΓnahmen zurΓΌckzukehren, falls noch mal eine besorgniserregende Variante kommt.
In jedem Fall wird das Immunsystem dann aber nicht mehr mit einem vΓΆllig neuartigen Virus konfrontiert β zumindest diejenigen, die geimpft sind oder eine frΓΌhere Infektion ΓΌberstanden haben, haben eine GrundimmunitΓ€t aufgebaut. Und fΓΌr die hat sich die Sache vermutlich erledigt.
AuΓerdem habe ich immer noch eine Karte vom Hamburger Musikfestival Dockville von vor zwei Jahren. Langsam wird es Zeit, die mal einzulΓΆsen.
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