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Bettina Stark-Watzinger: Noten müssen im Bildungssystem bleiben


Warum Schulnoten bleiben müssen
Wir fallen immer weiter zurück

MeinungEin Gastbeitrag von Bettina Stark-Watzinger und Moritz Promny

Aktualisiert am 07.10.2023Lesedauer: 4 Min.
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Lehrerin hilft beim Lernen: Die Noten müssen bleiben, schreibt Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.Vergrößern des Bildes
Lehrerin hilft beim Lernen: Die Noten müssen bleiben, schreibt Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. (Quelle: IMAGO/imageBROKER/Oleksandr Latkun)

Bildungspolitik darf nicht zu leeren Phrasen verkommen. Dann fallen unsere Kinder in internationalen Bildungsrankings noch weiter zurück. Ein Weckruf von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Moritz Promny, dem bildungspolitischen Sprecher im Hessischen Landtag.

Stellen Sie sich vor, es ist Landtagswahl. Sie gehen an die Infostände der Parteien der demokratischen Mitte und nehmen sich jeweils ein Wahlprogramm mit. In den Abschnitten zur Bildung werden Sie kaum noch Unterschiede zwischen den Parteien feststellen. Alle schreiben etwas zur "guten Schule", von "mehr Lehrkräften" und "moderner Bildung". Wunderbar, alle sind sich einig. Doch verändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig.

Sind Sie es nicht auch leid, die ewig gleichen Sonntagsreden zu hören? Während immer mehr Abiturienten die Schule mit einem Schnitt von 1,0 verlassen, rutschen wir in internationalen Bildungsrankings weiter ab. Es ist bezeichnend für unser Land, dass wir uns selbst ein Zeugnis der Spitzenklasse ausstellen, doch tatsächlich haben wir uns in der Mittelmäßigkeit eingerichtet. Zwei zusätzliche Stunden Deutschunterricht hier, ein Schulversuch dort. Solche Hebel sind vollkommen unzureichend, wenn zugleich jeder vierte Grundschüler am Ende der vierten Klasse selbst einfache Text nicht ausreichend verstehen kann.

Berlin: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.
Berlin: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. (Quelle: IMAGO/bildgehege)

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, 55, ist seit 2021 im Amt und seit 2023 auch stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP. Zuvor war sie Parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion. Moritz Promny, 43, ist Bildungspolitiker in Hessen und Generalsekretär der dortigen FDP.

Im Gegensatz dazu beruhen die erfolgreichen Bildungssysteme weltweit auf drei zentralen Prinzipien: dem individualisierten Lernen, einer datenbasierten Erfassung des Lernstands von Schülern sowie Schulen und Schulverwaltungen, und einem System, das Begeisterung für Leistung und Eigeninitiative weckt.

1. Ein Bildungssystem muss jedes Kind individuell betrachtet

In den Wahlprogrammen steht die Digitalisierung der Schulen oft im Fokus. Das spiegelt die Meinung vieler Eltern wider, die laut Umfragen das Bildungssystem als rückständig betrachten. Die Digitalisierung ist zweifellos das Werkzeug des 21. Jahrhunderts. Nur für sich genommen ist sie aber kein Allheilmittel. Ihr größter Wert liegt in der Möglichkeit, den Lernprozess individuell an die Stärken und Schwächen eines jeden Schülers auszurichten. Warum sollten alle Viertklässler das gleiche Mathebuch nutzen, wenn etwa Apps eine Fülle von Aufgaben bieten, die sich an den Lernfortschritt des Einzelnen anpassen?

Gerade auch die Kultusverwaltung muss von den Kindern aus gedacht werden. Hierzu nur zwei Beispiele aus dem vergangenen Monat. Bei einem Schulbesuch erzählte eine junge Lehrerin, das zentrale Problem der Kultusbürokratie mit ihrer "halben Stelle" sei die Frage, wie man ihr einen halben Laptop zuordnen soll. An einer anderen Schule berichtete eine engagierte Schulleiterin von ihrem jahrelangen Kampf, Fördermittel aus dem Digitalpakt zu erhalten. Nach drei Jahren wurde ihr Antrag abgelehnt. Der gesamte Vorgang musste von vorne begonnen werden, weil zwei Laptoptaschen nicht förderfähig waren.

Solche absurden Fälle zeigen, dass Schulen die Freiheit zu geben, das Budget selbst zu planen, viel Raum für Kreativität und Unterricht eröffnen würde. Mehr noch – eigene Schwerpunkte zu setzen, denn jedes Kind ist einzigartig. Und das sollte sich auch in unseren Schulen widerspiegeln.

2. Nur wer ein Problem erkennt, kann es auch lösen.

In fast allen Lebensbereichen spielen Daten eine zentrale Rolle. Fragen Sie jedoch etwa, wie viele Unterrichtsstunden im vergangenen Monat ausgefallen sind, werden Sie erfahren, dass es dazu kaum verlässliche Daten gibt.

Ohne eine solide Datengrundlage ist eine effektive und leistungsorientierte Bildungspolitik aber nicht vorstellbar. Denn wenn ich das Problem nicht erkenne, kann ich es auch nicht lösen. Wenn wir aber die Technologie des 21. Jahrhunderts verwenden, ist es uns möglich, den individuellen Leistungsstand eines Schülers systematisch zu erfassen. Eltern und Lehrkräfte können so frühzeitig Wissenslücken aufdecken und gezielt gegensteuern.

Etwa Kanada nutzt solche Analysen auch für die Schulverwaltung. Dort werden beispielsweise heute schon digitale Lernstandsanalysen genutzt, um durch die präventive Zuweisung von zusätzlichen Lehrern und Sozialarbeitern Brennpunktschulen zu verhindern, bevor sie entstehen. Auch in Deutschland dürfen wir nicht mehr hinnehmen, auf diesem Wege das Interesse und die Kreativität unserer Kinder zu verlieren.

3. Neugier, Kreativität und kritisches Denken müssen gefördert werden

Kindliche Neugier und autodidaktische Impulse sind eine der mächtigsten Antriebskräfte. Doch wer die Noten abschafft, nimmt jungen Menschen zugleich die Chance, zu erleben, wie es sich anfühlt, über sich hinauszuwachsen. Etwas zu meistern, das anfangs unmöglich erschien. Stolz zu sein auf die eigene Leistung und das eigene Können. Schule sollte herausfordern; Noten sollten den persönlichen Einsatz und Fleiß widerspiegeln. Das Ziel schulischer Bildung ist es, die persönliche Entwicklung durch Neugier, Kreativität und kritisches Denken zu fördern. Denn Kreativität und Selbstreflexion, nicht Konformismus, sind die Tugenden von morgen. Zur Schule wie zum Leben gehört die Erfahrung von Siegen ebenso wie von Niederlagen. Nur ein Bildungssystem, das diese Bandbreite an Erlebnissen ermöglicht, bereitet wirklich auf ein mündiges Leben vor.

Aufgrund unserer föderalen Struktur kann das Bundesbildungsministerium nur Anstöße geben und beispielsweise mit dem Digitalpakt oder dem Startchancen-Programm den Anfang machen. Für eine tiefgreifende Reform des deutschen Bildungswesens braucht es aber eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Trotz des Geplänkels der Parteien während des Wahlkampfs: Eine echte Reform ist zu wichtig, um sie im parteipolitischen Grabenkampf untergehen zu lassen. Die Bildungsnation hat keine Zeit mehr zu verlieren, ebenso wenig wie unsere Kinder.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag von Bettina Stark-Watzinger und Moritz Pomry
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