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Verfassungsgerichts-Urteil: Ampel in Schockstarre – Haushaltsplan zertrümmert


Klatsche aus Karlsruhe
"Ach was, es gibt keinen Plan"


15.11.2023Lesedauer: 6 Min.
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Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner bei ihrem Statement am Mittwoch: "Urteil genau beobachten"Vergrößern des Bildes
Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner bei ihrem Statement am Mittwoch: "Urteil genau beobachten" (Quelle: ANNEGRET HILSE)

Die Ampel darf frühere Corona-Hilfsgelder nicht für den Klimaschutz nutzen: Das Verfassungsgericht hat damit die Haushaltsplanung der Koalition zertrümmert – und die Regierung in Schockstarre versetzt.

Und dann stehen sie da und wirken, als wüssten sie nicht weiter. Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Sie schauen nach rechts, nach links, zu den Fotografen und dann blickt jeder auf sein Papier. Auf die Worte, die Sicherheit geben sollen, jetzt, wo alles unsicher geworden ist.

Es ist 12.47 Uhr an diesem Mittwoch und die drei wollen erklären, was sie offensichtlich selbst kaum fassen können: Dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen entscheidenden Teil ihrer Haushaltspolitik für grundgesetzwidrig erklärt hat – und der Ampel plötzlich 60 Milliarden Euro fehlen.

Scholz sagt: "Die Bundesregierung wird dieses Urteil genau beachten." Lindner sagt: "Wir werten dieses Urteil sehr sorgfältig aus." Und Habeck sagt: "Die Beschlüsse des Gerichts heute bedeuten, dass neue Verpflichtungen erst eingegangen werden können, wenn der Plan aufgestellt wird. Ich hoffe, dass die Arbeit daran zeitnah beginnt und beendet wird."

Eigentlich soll der Auftritt der mächtigen Drei wohl signalisieren, dass sie die Lage im Griff haben. Doch das gelingt nicht. Dafür, dass die Ampel in den vergangenen Tagen immer wieder betonte, für jeden Ausgang einen Plan in der Schublade zu haben, wirkt die Schublade nun sehr leer.

Müssen wir jetzt mal schauen – so hätten es Scholz, Lindner und Habeck auch sagen können. Und das bei einem 60-Milliarden-Loch. Ob sie das gestopft bekommen? Ob sich die Ampel wirklich einigen kann, wie sie das Geld einspart oder ersetzt? Dieselbe Ampel, die sich schon über Millionenbeträge zerstreitet? Die Zukunft der Bundesregierung, sie scheint in diesen Tagen so unsicher wie noch nie.

Mit der Verfassung "unvereinbar" und "nichtig"

Es waren nur zwei Worte, die die Bundesregierung in höchste Not brachten. Das Vorgehen der Ampel sei mit der Verfassung "unvereinbar" und damit: "nichtig". So nüchtern formuliert es die Vorsitzende Richterin des Bundesverfassungsgerichts. Die Ampel hatte zu Beginn der Regierungszeit 60 Milliarden Euro an unverbrauchten Corona-Notkrediten in einen Schattenhaushalt verschoben, den Klima- und Transformationsfonds (KTF). Das aber war verfassungswidrig, sagt das Bundesverfassungsgericht jetzt.

Und als wäre das nicht schon unangenehm genug, zerpflückt Richterin Doris König in ihrer Begründung das Vorgehen der Ampel fast in Gänze. Der Senat habe seine Entscheidung "auf drei Gründe gestützt", sagt sie, "die jeder für sich genommen das Ergebnis zu tragen vermögen". Nur ein Grund hätte also ausgereicht, damit die 60 Milliarden Euro wegfallen. Und die Ampel lieferte gleich drei davon.

Die Regierung habe, erstens, "nicht ausreichend dargelegt", wo der Zusammenhang zwischen der außergewöhnlichen Notsituation Corona und der neuen Verwendung des Geldes bestehe. Sie hätte die Notkredite, zweitens, ausschließlich in dem Jahr nutzen dürfen, in dem sie aufgenommen wurden – also nur 2021, dem Jahr der Pandemie. Und, drittens, sei der ganze Nachtragshaushalt schon deshalb verfassungswidrig, weil er ein Jahr zu spät beschlossen wurde. Nämlich erst im Januar 2022.

Rumms.

Entsetzte Gesichter im Finanzausschuss

Die Ampelkoalition wusste natürlich, dass es an diesem Mittwoch unangenehm werden könnte. Aber so unangenehm? Der Worst Case? 60 Milliarden einfach weg? Damit haben offensichtlich die wenigsten gerechnet.

Noch am Dienstagmittag stand Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann im Bundestag vor der grünen Wand mit den vielen Sonnenblumen und lächelte. Sie wolle natürlich nicht über das Urteil spekulieren. Aber man könne versichert sein, dass man beim Beschluss seinerzeit selbstverständlich davon ausgegangen sei, "dass das rechtmäßig ist". Und Finanzminister Lindner sagte bei einer Veranstaltung der "Süddeutschen Zeitung" sogar, er habe einen Plan B.

Einen Tag später ist klar: Pustekuchen. Da ist kein Plan B.

Wie sehr die Ampel überrascht wurde, zeigt sich schon am Mittwochmorgen im Finanzausschuss. Unter hellem Neonlicht sitzen die Parlamentarier zusammen und beraten über die Fiskalpolitik, über mögliche Veränderungen bei den Steuern. Um 10.06 Uhr vibrieren die ersten Handys. Alle wichtigen Nachrichtenportale verschicken ihre Eilmeldungen, die alle den gleichen Kern haben: "Verfassungsgericht erklärt Umwidmung von Corona-Krediten für rechtswidrig."

Ungläubig schauen sich die Politiker der Ampel-Koalition an, so beschreibt es jemand, der dabei war. Niemand wirkt vorbereitet. Das Getuschel beginnt, Nachrichten werden verschickt, Fassungslosigkeit macht sich breit. Christian Görke, Finanzpolitiker der Linkspartei, sagt: "Ich habe im Finanzausschuss in entsetzte Gesichter der Ampel-Vertreter gesehen."

Wer versucht, in diesen Stunden von Ampelpolitikern zu erfahren, wie es nun weitergehen könnte, hat keinen Erfolg. Einige wirken ratlos, andere antworten vorsichtshalber gar nicht. Mancher erzählt, noch am Dienstag habe es von ihren Fraktionsspitzen geheißen, man könne nichts zu den Plänen sagen, aber man bereite sich vor. Nun aber kann man daran zweifeln, ob es für den Worst Case überhaupt einen ausgefeilten Plan gab.

Olaf Scholz gibt sich entspannt

Das wird auch mittags im Bundestag noch einmal klar. Der Kanzler eilt nach seinem etwas ratlosen Auftritt neben Habeck und Lindner aus dem Kanzleramt direkt ins Plenum. Unter der großen Kuppel des Reichstags findet die Regierungsbefragung statt.

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Einen Moment hat Scholz noch, bevor es losgeht. Er lehnt lässig an seinem Tisch, daddelt am Handy, beugt sich kurz vor. Er sagt etwas zu Wolfgang Schmidt, seinem Kanzleramtschef und engen Berater, dann ist das Handy wieder interessanter. Wenn man dem Kanzler so zusieht, könnte man fast für einen Moment vergessen, was in Berlin heute los ist.

Regierungskrise? War was?

Als Scholz dann dran ist, sagt er vor allem das, was er schon im Kanzleramt gesagt hat. Es sei eine Entscheidung, die die Bundesregierung nun beachten werde. Aus den Reihen der Union schallt dem Kanzler lautes Gelächter entgegen. Scholz lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Alles entspannt. Man dürfe jetzt nicht zu Schnellschüssen übergehen. Es bedürfe einer "sorgfältigen Überprüfung" der Lage.

Konkreter wird Scholz nicht. Von einem Plan B auch hier: keine Rede.

Am Donnerstag sollte der Haushalt stehen

Die Lage ist auch deshalb so brisant, weil am Donnerstag die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ansteht. Dann entscheidet sich in einer langen Nacht, wofür der Bund Geld ausgeben will und wofür nicht.

Die Ampel will an diesem Plan auch festhalten, so heißt es zumindest am Mittwochnachmittag. Mit der Begründung, dass vom Urteil ja nur das Sondervermögen KTF betroffen sei und nicht der Kernhaushalt an sich. Den könne man also verabschieden. Was aber auch bedeutet, dass wichtige bahnbrechende Ausgaben aus dem KTF nicht noch irgendwo im Haushalt untergebracht werden könnten. Jedenfalls nicht ohne Nachtragshaushalt.

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Der Kampf um das, was nun wirklich wichtig ist und was nicht, beginnt deshalb schon am frühen Nachmittag. Die Fraktionschefinnen der Grünen, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, lassen eine Pressemitteilung verschicken, die wohl klarmachen soll, dass es sich beim KTF nicht etwa um einen Sonderfonds für grüne Spinnereien handele.

Die Programme seien "extrem wichtig für Klimaschutz, die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik", schreiben Haßelmann und Dröge. "Sie stehen im Kern der Politik dieser Koalition." Ihre Botschaft: Ohne sie kann auch der "Klimakanzler" Olaf Scholz nicht regieren.

Bei der FDP rammt derweil Christian Lindner die politischen Pflöcke ein. Der FDP-Chef verschickt über die Nachrichtenapp "Wire" eine interne Ansage an seine Fraktion. Er schreibt: "Ohne Zweifel wird dieses Urteil zu einer Debatte über Staatsaufgaben und Subventionen führen. Das ist eine Chance. Für mich ist klar: Steuererhöhungen bleiben ausgeschlossen, Ausnahmen von der Schuldenbremse erst recht, nachdem der einmalige Kompromiss verworfen wurde. Jetzt ist der Anlass, Richtung und Prioritäten von Regierungspolitik zu präzisieren."

Unterschrieben mit: "CL", der Chef höchstselbst.

"Ach was, es gibt keinen Plan"

Auch damit ist aber natürlich nur klar, was wohl nicht geht – und noch nicht, was doch. Und vor allem: wie es gehen könnte.

Am Nachmittag dieses turbulenten Mittwochs treffen sich deshalb auch noch die Fraktionen der Ampel zu Sondersitzungen. Viele einfache Abgeordnete wissen nicht viel mehr als die Öffentlichkeit. Und wenn man Teilnehmerberichten glauben darf, ändert sich daran auch mit den Sitzungen nicht viel.

Bei manchen herrscht offenbar mittlerweile Galgenhumor. "Mein Haushalt ist gesichert", sagt Verteidigungsminister Boris Pistorius etwa, kurz bevor die SPD die Türen zusperrt. Auf die Frage, ob das denn wirklich so stimmen könne und wie das funktionieren solle, sagt er: "Fragen Sie doch die Finanzpolitiker."

Ein paar Meter weiter bei den Grünen eilt Anton Hofreiter in den Fraktionssaal. Der riesige Mann mit den langen Haaren und dem bayerischen Akzent winkt ab. "Ach was, es gibt keinen Plan", sagt er. Und ist verschwunden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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