Generaldebatte im Bundestag Scholz trifft Merz' wunden Punkt
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Bei der Generaldebatte im Bundestag kämpft der Kanzler um sein politisches Überleben. Vor allem die Union und Friedrich Merz knöpft Scholz sich vor – und trifft dabei einen wunden Punkt.
So haben die Deutschen ihren Kanzler schon lange nicht mehr erlebt. Laut, ohne Skript und mit geballten Fäusten. Bei der Generaldebatte am Mittwochmorgen im Plenum des Deutschen Bundestags hält Olaf Scholz (SPD) eine seiner kämpferischsten Reden bislang. Er flucht, kritisiert und legt den Finger, zumindest bei einem Thema, direkt in die Wunde. Nicht sofort, aber dann ausgiebig.
Die ersten sechs Minuten hält Scholz sich noch zurück. Er reagiert nicht auf seinen Vorredner Alexander Dobrindt (CSU), der in einer Manier auf die Ampel eingedroschen hatte, dass man sich fragen musste, ob das seine Rede vom Bierzelt in Gillamoos war. Stattdessen arbeitet der Kanzler sich zunächst an der AfD ab. Erst danach wendet er sich der Union zu. Er atmet tief ein, hält sich am Rednerpult fest – und legt los.
"Sie sind der Typ von Politiker, der glaubt, mit einem Interview in der 'Bild am Sonntag' hätte er schon die Migrationsfrage gelöst", ruft Scholz Merz und seiner Partei zu. "So ist das nicht in der Wirklichkeit." Erst seine Regierung habe die Untätigkeit jahrelanger CDU/CSU-Innenminister beendet. Dass die SPD über viele Jahre Teil dieser Regierungen war? Lässt Scholz gekonnt weg. Seine Koalition dankt es ihm mit tosendem Applaus, zwischendurch ertönen gar Jubelrufe.
Embed
Merz in Erklärnot: Von Scholz ist es klug, die Tür offen zu lassen
Und Scholz ist noch lange nicht fertig. Der wichtige Teil für ihn kommt erst noch. Er macht eine kurze Pause, fährt einen Gang runter und sieht jetzt geradezu Richtung Merz.
"Tja, Herr Merz, dann haben Sie angeboten, dass wir auch gemeinsame Sache machen", sagt er. Der Oppositionsführer schüttelt den Kopf. "Nein, nein." Scholz grinst jetzt. "Doch, doch." Dann fügt er hinzu: "Sie haben sogar angeboten, ich soll meine Koalition sprengen, das wäre 'ne super Sache." Und dann legt er den Finger direkt in die Wunde. Scholz unterstreicht, es sei gut gewesen, dass Merz dieses Angebot gemacht habe. Weil eine Schlammschlacht hier nicht das Richtige sei, die demokratische Mitte stattdessen gemeinsam nach Lösungen suchen sollte. Weil es gut gewesen wäre, wenn das geklappt hätte. Die Tür dafür stehe weiterhin offen. Trotz schlechter Erfahrungen beim sogenannten Deutschlandpakt, immerhin habe man es schon einmal versucht. Bloß ohne Erfolg.
"Sie haben sich in die Büsche geschlagen", ruft Scholz. Und jetzt tue Merz das schon wieder. Der Vorwurf, er sitzt – und trifft im Kern, was viele in der Union seit spätestens Dienstagabend beschäftigt. Offen wird keiner etwas sagen. Doch hinter vorgehaltener Hand sind längst nicht alle zufrieden damit, wie die vergangenen zwei Wochen abgelaufen sind.
Ein Oppositionsführer, der Schlagzeilen will statt Ergebnisse
Zu Recht. Denn erst über sämtliche Kanäle anzukündigen, man wolle gemeinsam etwas verändern, um dann nach nur zwei Gesprächen die Reißleine zu ziehen? Das lässt sich nur schwer erklären.
Der Vorwurf, Merz schwinge in diesem Fall nur große Reden, übernehme aber im entscheidenden Moment keine Verantwortung, weil er nicht bereit sei, um Lösungen zu ringen – er trifft zu. Scholz gelingt es, das Bild eines Oppositionsführers zu zeichnen, der Schlagzeilen statt Ergebnisse will.
Und wer die Rhetorik des CDU-Vorsitzenden in den vergangenen Tagen beobachtet hat, der wundert sich doch etwas über seine heutige Antwort auf den Kanzler. Denn plötzlich sagt Merz, die Ampel brauche die Union doch eigentlich gar nicht. Nur im Falle einer Grundgesetzänderung, das sei hier nicht der Fall. Und dann gelte: "Das Nein zu ihren Vorschlägen muss aus der Mitte des Parlaments kommen." Ein ziemlicher Umschwung von "Ich kann es besser" hin zu "Das ist nicht unsere Aufgabe".
Scholz' Botschaft war heute: Noch regiere ich. An diesem Mittwoch hat der Kanzler zumindest für den Moment gezeigt, dass er sich gegen Merz immer noch aufbäumen kann.
- Eigene Recherche