Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Parteibüros "Die AfD fällt hier am stärksten auf"

Parteibüros sind für Bürger direkte Zugänge zu den Parteien. Die AfD sticht durch eine ungewöhnliche Verteilung in Deutschland hervor.
Parteibüros sind Anlaufstellen im Alltag, Diskussions- und Vernetzungsorte – und immer häufiger auch Ziele von Attacken. Mehr als 9.000 davon gibt es in Deutschland. Aber welche Partei hat die meisten? Und nach welcher Strategie verteilen die Parteien sie im Land?
Melinda Fremerey, Ökonomin beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW), hat diese Fragen mit einem Team untersucht. Dabei hat sie festgestellt: Die AfD folgt einer anderen Logik als andere Parteien.
t-online: Frau Fremerey, Sie haben ein wenig beachtetes Phänomen untersucht, nämlich wie Parteien, unter anderem mit Bürger- und Parteibüros, lokal präsent sind im Leben der Menschen in Deutschland. Was haben Sie herausgefunden?
Melinda Fremerey: Es gibt mehr als 9.000 Parteianlaufstellen, also Kreisgeschäftsstellen, Abgeordnetenbüros oder dergleichen in ganz Deutschland. Davon gehören die meisten zu Union und SPD – sie haben jeweils über 3.000 Anlaufstellen im ganzen Bundesgebiet. Die AfD hat mit knapp 500 am wenigsten solcher Einrichtungen. Wirklich interessant wird es aber bei der Verteilung.
Warum?
Bei Union, SPD, FDP und Grünen liegt die absolute Mehrheit ihrer Parteianlaufstellen, nämlich jeweils ungefähr 90 Prozent, im Westen. Die AfD fällt hier am stärksten auf, sie legt einen größeren Fokus als alle anderen Parteien auf den Osten: Sie pflegt knapp die Hälfte ihrer Büros in Ostdeutschland, hinzu kommen außerdem einige mobile Bürgerbüros. Das ist ein größerer Anteil auch als bei der Linken, die ein Drittel ihrer Parteibüros im Osten hat.

Zur Person
Melinda Fremerey ist Ökonomin beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Sie hat Volkswirtschaftslehre in Köln studiert und in Düsseldorf promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Politische Ökonomie, Regional- und Wettbewerbsökonomik.
Der Westen ist doppelt so groß in der Fläche und hat sechsmal so viele Bewohner wie der Osten.
Deswegen ist der Fokus der AfD so auffällig. Im Osten hat sie mehr Anlaufstellen als FDP und Grüne zusammen. Im Gegenzug haben FDP und Grüne im Westen jeweils mehr als dreimal so viele Standorte wie die AfD.
Die AfD ist im Osten stärkste Kraft, sie holt dort ihre größten Erfolge. Welche Rolle spielt für diesen Erfolg die lokale Präsenz dort?
Das ist nicht einfach zu beantworten, weil es da eine Forschungslücke gibt. Das Thema ist insgesamt wenig untersucht, repräsentative Daten fehlen ebenso wie Studien zum Zusammenhang zwischen Wahlverhalten und lokaler Präsenz. Deswegen haben wir uns dem Thema so gut es geht angenähert.
Wie?
Wir haben zuerst die bei Google als "Politische Partei" gekennzeichneten Orte zusammengetragen. Auch hier fiel die AfD aus dem Raster: alle anderen Parteien listen ihre Parteizentralen, Abgeordneten- und Bürgerbüros auch bei Google, die AfD tut dies eher auf den Webseiten der Landesverbände als bei Google. Diese Standorte haben wir zusätzlich von den Webseiten der AfD zusammengesucht und händisch ergänzt. Dann haben wir uns den Zusammenhang zwischen Repräsentanz der Parteien und ihrem Erfolg bei den Bundestagswahlen 2021 und 2025 angesehen.
Was haben Sie da mit Blick auf die AfD festgestellt?
Die AfD ist in kleinen Gemeinden, die in ländlichen Regionen liegen, wo sie sehr hohe Wahlergebnisse erzielt, oft gar nicht mit Büros vertreten.
Was folgern Sie daraus?
Vermuten lässt sich, dass es hier ein Gefühl des Abgehängtseins geben könnte, von dem die AfD profitiert. Wir nehmen aber auch an, dass sich für die AfD dort ihre Strategie auszahlt, stark auf soziale Medien und Kanäle zu setzen, die andere Parteien nicht so stark bedienen. So erreicht sie die Menschen trotzdem.
In der Politik gilt die Regel: Bundestagswahlen werden im Westen gewonnen, weil dort mit Abstand die meisten Wähler sitzen. Könnte ihr bisheriger Fokus auf den Osten, was Büros angeht, in Zukunft zum Nachteil für die AfD werden?
Ich denke nicht. Unsere Daten passen zur Diskussion: Die AfD funktioniert zum Teil eher wie eine Bewegung, nicht wie eine Partei. Sie kann bei Wählern enorm stark abschneiden, auch wenn sie nicht vor Ort präsent ist.
- Gespräch mit Melinda Fremerey