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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zweifel an Spahn-"Entlastungspapier" "Verdreht, geschönt, weggelassen"

Die "FAZ" berichtet in der Maskenaffäre über ein vermeintlich neues Papier, das Jens Spahn entlaste. Die Grünen und der Sudhof-Bericht widersprechen dem.
Die Grünen zweifeln am Wert eines Papiers aus dem Gesundheitsministerium, das von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als Entlastung für Jens Spahn in der Maskenaffäre gewertet wird. "Das sogenannte Entlastungspapier aus der 'FAZ' ist nichts anderes als ein altbekanntes PR-Manöver von Jens Spahn – erstellt lange nach den Maskendeals, extra zu seiner eigenen Verteidigung", sagt Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen t-online. Es sei weder neu noch geheim, auch der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof habe es vorgelegen.
Das besagte Papier für den Haushaltsausschuss ist auf März 2021 datiert und kann unter anderem auf einer Internetseite der bayerischen SPD abgerufen werden. Der Inhalt macht zunächst einmal in der Tat einen entlastenden Eindruck, allerdings ohnehin nur in einem Teil der Affäre, bei dem es um die Lieferungen der Firma Emix geht. Die Firma hatte dem Ministerium Masken zu zum Teil hohen Preisen verkauft, bei denen relevante Mengen Qualitätsmängel aufwiesen.
Zwei verschiedene Preise? Nicht wirklich
Das Gesundheitsministerium des damaligen Ministers Jens Spahn schreibt in dem Papier im März 2021, also etwa ein Jahr nach dem eigentlichen Vertragsabschluss, dass Emix "einer der wenigen Lieferanten war, welcher zu Beginn der Pandemie große PSA-Mengen verlässlich, kurzfristig, termingerecht und in solider Qualität liefern konnte".
Unter anderem seien "150 Mio. FFP2/KN95-Masken zum durchschnittlichen Preis von 5,58 EUR pro Maske" bestellt worden, heißt es weiter im Papier. Die Preise hätten sich "bei Abschluss der Verträge im marktüblichen Rahmen" befunden.
Die "FAZ" stellt nun unter anderem heraus, dass im Bericht der Sonderermittlerin Sudhof von "FFP2-Stückpreisen von 6,42 bis 7,08 Euro" die Rede sei. Das stimmt zwar, widerspricht aber gar nicht dem Papier aus dem Gesundheitsministerium, das die "FAZ" anführt.
Denn bei den vom Bund an Emix bezahlten "Stückpreisen von über 7 Euro", die Sudhof für "schwer nachvollziehbar" hält, handelt es sich um Bruttopreise. Im Papier des Gesundheitsministeriums ist erkennbar der entsprechende Nettopreis von 5,58 Euro pro Maske angegeben.
Dahmen: "verdreht, geschönt, weggelassen"
Grünen-Gesundheitspolitiker Dahmen kritisiert das Papier zudem grundsätzlich. "In diesem Spahn-Vermerk werden erneut wesentliche Fakten verdreht, geschönt oder ganz weggelassen", sagt Dahmen. Er verweist unter anderem darauf, dass "zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit Emix längst mehr als genug Maskenlieferungen im Zulauf waren".
Der Sudhof-Bericht zeige außerdem, sagte Dahmen, "dass Jens Spahn mehrfach vom eigenen Ministerium dazu aufgefordert wurde, gegen Emix Schadensersatz zu fordern – wegen mangelhafter Qualität und ausbleibender Lieferungen". Der aber habe sich dagegen entschieden.
Tatsächlich verweist auch das Papier aus dem Gesundheitsministerium darauf, dass in einer "Klarstellungsvereinbarung" unter anderem wegen ausbleibender Lieferungen die vertragliche Liefermenge lediglich reduziert und Lieferfristen zugunsten von Emix verlängert worden sind. Ein Entgegenkommen des Bundes.
Sudhof führt Streit über Qualitätsmängel an
Bei der Qualität der Emix-Masken heißt es im Papier aus dem Gesundheitsministerium, Emix habe "fehlerhafte Ware verzugslos und komplikationslos" ausgetauscht. Die Fehlerquote sei bei FFP2-Masken mit 14,7 Prozent "eine der niedrigsten im Bereich der Direktbeschaffungen des Bundes".
Diese Darstellung erscheint laut Sudhof-Bericht jedoch mindestens unvollständig und beschönigend. Denn die Sonderermittlerin bemängelt, dass zunächst 48 Prozent der FFP2-Masken vom TÜV Nord als mangelhaft eingeschätzt worden seien. Das Ministerium habe trotzdem einen "Großteil dieser FFP2-Masken als mangelfrei" anerkannt und bezahlt.
An anderer Stelle führt Sudhof dazu aus, Emix selbst habe anders als der TÜV nur 20 Prozent der FFP2-Masken als fehlerhaft angesehen. In der "Klarstellungsvereinbarung" dann "verständigte man sich auf die von der Fa. Emix ohnehin eingeräumten Anteile mangelhafter Ware, welche abzuholen und mangelfrei erneut zu liefern sei", schreibt Sudhof. Also eben nicht alle vom TÜV Nord beanstandeten Masken.
Sudhof schlussfolgert zur "Klarstellungsvereinbarung" in ihrem Bericht: "Im Lichte der Marktlage im Mai 2020 erschließt sich jedenfalls nicht, inwiefern der Emix-Vergleich die Interessen des Bundes angemessen abbildet."
Sudhof kannte das angeblich neue Papier
Die Darstellung Sudhofs im Fall Emix geht lediglich aus der ungeschwärzten Version ihres Berichts hervor, der inzwischen verschiedenen Medien und auch t-online vorliegt. Dort wird auch klar, dass Sudhof das Papier aus dem Gesundheitsministerium kannte und bei ihrer Arbeit berücksichtigte. Sie zitiert daraus und nennt es als Quelle in den Fußnoten.
In der ursprünglich vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Version des Sudhof-Berichts sind die Passagen zu Emix großflächig geschwärzt. Schwärzungen in internen Behördendokumenten sind im Falle einer Veröffentlichung durchaus üblich, wenn es um Persönlichkeitsrechte oder Geschäftsgeheimnisse geht und eine Firma Passagen deshalb zum Beispiel nicht freigibt. In der Schweiz ermittelt die Staatsanwaltschaft Zürich derzeit wegen Wucher bei Maskenlieferungen gegen Emix. Das Gesundheitsministerium des Bundes und Bayerns haben sich dem als "Privatkläger" angeschlossen.
Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn sieht sich nach eigenen Aussagen trotz allem durch das Papier gestärkt. Er sagte der "FAZ": "Wir haben dem Parlament damals schriftlich und mündlich regelmäßig zu allen Themen berichtet." Das Papier bestärke den Eindruck, "dass Sachverhalte im Sudhof-Papier selektiv berücksichtigt oder gewichtet wurden. Der bürokratische Blick im Nachhinein wird der damaligen Notlage nicht gerecht."
- Eigene Recherchen
- Sudhof-Bericht in geschwärzter und ungeschwärzter Fassung
- bayernspd.de: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Pandemiebedingte Direktbeschaffungen Persönlicher Schutzausrüstung von der Fa. EMIX Trading GmbH (PDF-Datei)
- faz.net: "Maskenaffäre: Spahn sieht sich durch internes Papier entlastet" (kostenpflichtig)
- faz.net: "Maskenaffäre: Internes Papier entlastet Jens Spahn und Emix" (kostenpflichtig)
- capital.de: "Masken-Deals: Lauterbach will Geld von Masken-Millionären zurückholen"