t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschlandInnenpolitik

Grünen-Politiker Kalbe aus Thüringen: "Haben Morddrohungen erhalten"


Grünen-Politiker schlägt Alarm
"Es ist ein strukturelles Versagen"

InterviewEin Interview von Julia Naue

31.07.2025 - 17:32 UhrLesedauer: 6 Min.
Der Grünen-Politiker Felix Kalbe posiert in Gotha für ein Foto.Vergrößern des Bildes
Felix Kalbe sitzt für die Grünen im Stadtrat in Gotha: Er beklagt zunehmende Anfeindungen. (Foto: Peter Riecke, felixkalbe.de) (Quelle: Peter Riecke, Herkunft: felixkalbe.de)
News folgen

Felix Kalbe macht seit Jahren für die Grünen Kommunalpolitik in Gotha. Er beklagt, dass die Anfeindungen gegen ihn und seine Partei zuletzt deutlich zugenommen hätten. Ans Aufgeben denkt der 30-Jährige allerdings nicht.

Sie schreiben von einem "verzweifelten Hilfeschrei": Der Grünen-Politiker Felix Kalbe hat mit seinem Parteikollegen Matthias Kaiser ein Schreiben an die Bundespartei geschickt. Und das hat es in sich. Die beiden Kommunalpolitiker aus dem thüringischen Gotha schildern darin Beschimpfungen und Angriffe, die sie als Grünen-Politiker im Alltag erleben. "Wir wissen nicht mehr weiter", heißt es in dem Brief, über den zuerst der "Spiegel" berichtete. Auch an Thüringens Innenminister Georg Maier haben sich die beiden gewandt.

Loading...

Nicht nur in Thüringen, wo die Partei vergangenes Jahr aus dem Landtag ausschied, haben es die Grünen schwer. Die Partei ist im Osten Deutschlands traditionell schwächer als im Westen. Sie schneidet nicht nur bei Wahlen schlechter ab als im Westen, sie hat dort auch viel weniger Mitglieder. Mancherorts richtet sich gegen die Partei sogar eine regelrechte Wut. Was das im Alltag bedeuten kann, schildert Kommunalpolitiker Kalbe im Gespräch mit t-online.

t-online: Herr Kalbe, welche Anfeindungen erleben Sie bei Ihrer Arbeit in der Kommunalpolitik?

Felix Kalbe: Es ist normal, dass man an einem Infostand beispielsweise angespuckt wird. Es ist normal, dass man sich Beleidigungen an den Kopf werfen lässt. Im Wahlkampf haben wir auf offener Straße Morddrohungen erhalten. Beim Plakatieren hören wir Sätze wie: "Die Plakate hängen wir eh wieder ab, wir hängen euch aber auf." Wir haben regelmäßig irgendwelche Sticker und Briefe am grünen Büro kleben – anfangs war der Inhalt vielleicht noch zum Schmunzeln. Das ist mittlerweile eskaliert. Da kleben dann auch Ku-Klux-Klan-Sticker oder es heißt so was wie "Grüne an die Ostfront".

Neulich hat jemand tagsüber mit einem Glasschneider eine Fensterscheibe des Büros zerstört. Auf einem Fenster stand drauf: "Volksverräter, tötet euch." Dann hat kurz danach bei einer Parteikollegin das Haus gebrannt: Da wurden zwei Mülltonnen angezündet, und das Feuer ist dann auf die Fassade übergesprungen. Und vor ungefähr zwei Wochen wurde ein Parteikollege auch tagsüber in der Innenstadt körperlich angegriffen. Dabei fielen Beleidigungen, bei denen man auch deutlich gemerkt hat, dass er als Grüner beleidigt wurde.

Denken Sie da nicht ans Aufgeben?

Mir liegt relativ viel an meiner Heimat. In Gotha bin ich aufgewachsen. Ich lebe hier total gerne. Und ich fände es schade, wenn man das alles zurücklassen müsste. Das ist vielleicht auch der große Pluspunkt einer Kleinstadt: Man kennt sich halt. Das ist das Wunderschöne. Ich fühle mich hier verwurzelt. Und ich habe hier viele Menschen, mit denen ich auch gut klarkomme und mit denen ich hier sehr, sehr gerne meine Zeit verbringe.

Ich will ungern hier weg und habe da eigentlich auch keine Lust drauf. Und deswegen geht es ja darum, für unsere Demokratie zu kämpfen. Und ich glaube tatsächlich, dass das hier Zustände sind, die unter Umständen auch in anderen Regionen irgendwann auftauchen könnten. Das heißt, es ist wahrscheinlich auch nur ein Weglaufen auf Zeit.

Grünen-Politiker Felix Kalbe posiert für ein Foto.
Felix Kalbe (Foto: Peter Riecke | Herkunft: felixkalbe.de) (Quelle: Foto: Peter Riecke | Herkunft: felixkalbe.de)

Zur Person:

Felix Kalbe, geboren 1994, ist seit 2019 Mitglied im Stadtrat von Gotha. In der Stadt in Thüringen mit 46.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Kalbe aufgewachsen. Er hat eigenen Angaben zufolge Evangelische Theologie und Marketing studiert und arbeitet als Fundraiser für den Caritasverband im Bistum Erfurt. Seit 2013 ist er Mitglied der Grünen.

Sie engagieren sich ja nun schon eine Weile in der Kommunalpolitik. Wann ist das denn so gekippt?

Ich glaube, den generellen Punkt, an dem das gekippt ist, den gibt es so nicht. Es ist eher so, dass das ein Prozess war. Als wir vor sechs Jahren Kommunalwahlkampf gemacht haben, war das die Hochphase von Fridays for Future. Da gab es viel Umbruch, viele Prozesse auch in der Gesellschaft, die gedauert haben. Damals war aber ein Dialog möglich. Da gab es auch diejenigen, die nicht mit uns reden wollten. Okay, das ist immer so. Da gab es auch Leute, die einem am Wahlkampfstand gesagt haben, was ihre Probleme sind mit der Partei. Das ist völlig okay. Man muss ja auch nicht Grün wählen, aber ein Diskurs sollte halt irgendwie stattfinden.

Dann kam Corona. Da gab es wenig Outdoor-Veranstaltungen, wenig Berührungspunkte, bei denen man in ein Gespräch einsteigen oder mit Leuten interagieren konnte. Dann kam die Phase, in der der Ukraine-Krieg ausbrach. Da muss ich sagen, das muss man auch als Partei einräumen: Wenn man einen wirklich radikalen Paradigmenwechsel hat, das ist so ein Angriffskrieg, braucht es Formate, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Bündnis 90/Die Grünen hat sich immer auf die Fahne geschrieben, Friedenspartei zu sein. Das sind wir auch. Aber plötzlich muss man eine Grundposition vollkommen überdenken und muss sich entscheiden, zum Beispiel Rüstungsexporte durchzuführen.

Der richtige Austausch ist zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen, weil auch ein persönliches Treffen, eine persönliche Diskursrunde nicht möglich war – sowohl aufgrund der Corona-Beschränkungen als auch einfach aufgrund der drängenden Zeit. Man kann auch nicht sagen, wenn ein Land auf brutalste Weise Land angegriffen wird, ich brauche jetzt erst mal ein halbes Jahr Zeit, um eine Debatte zu führen, wie wir uns verhalten. All das hat diese gesellschaftliche Entwicklung ziemlich beschleunigt, es hat sich radikalisiert.

Haben Sie sich da in der Kommunalpolitik von der Partei alleingelassen gefühlt?

Es ist logisch, dass man als Kommunalpolitiker in die Bresche springen und anfangen muss, zu interagieren. Wir sind ja diejenigen, die hier greifbar sind, die ansprechbar sind für die Menschen. Und ich glaube, wir sind da auch an vielen Stellen Projektionsfläche für manche bundespolitische Entscheidung, die getroffen wird. Auch wenn wir damit als Kommunalpolitiker überhaupt nichts zu tun haben.

Loading...
Loading...

Die Parteispitze hat sich nach ihrem Hilferuf betroffen gezeigt. Was erwarten Sie denn nun konkret von der Partei?

Ich glaube, eine Patentlösung gibt es dafür erst mal nicht. Ich denke, es ist eine Struktur, die hier einfach fehlt, die aber auch generell im Osten fehlt. Schauen Sie nur mal, wie wenig ostdeutsche Bundestagsabgeordnete es bei den Grünen gibt. Wir haben auch nicht die Mitgliederstrukturen wie ein westdeutscher Kreisverband. Es gibt hier auch eine Art Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Parteien.

Und jetzt in Thüringen merken wir sehr akut auch, dass eine Landtagsfraktion weggebrochen ist nach der Landtagswahl. Und da ist es halt mit hauptamtlichem Personal zum Beispiel sehr dünn geworden. Und das macht es uns extrem schwierig. Wir sind bei uns zwei Kommunalpolitiker, die noch verbleiben. Die jetzt versuchen müssen, mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen, Meinungsaustausch zu ermöglichen. Und wir machen das im Ehrenamt.

Die Partei versucht, ihr Problem im Osten anzugehen. Es gab neulich einen Vorstoß der Parteispitze, im September wird es auch einen Ost-Kongress geben. Und Parteichef Felix Banaszak will eine Art Zweigstellen-Wahlkampfbüro in Brandenburg an der Havel eröffnen. Ist das nur Symbolpolitik? Oder kann das wirklich Veränderung bringen?

Ich glaube, dass es zumindest so weit führen kann, dass man dann Zeit hat, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, sofern unser Anliegen weiter forciert wird und hier auch Personal existiert. Dann kann das ein Beitrag sein, von unserer Seite als Partei aus, etwas gegen die Spaltung in der Gesellschaft zu tun. Und etwas, das einfach auch einen Dialog vielleicht wieder unterstützen kann. Ich glaube nicht, dass es ein Allheilmittel gibt. Und ich glaube auch nicht, dass wir alleine als Grüne ein gesamtgesellschaftliches Problem lösen können. Dafür ist es auch einfach viel zu groß.

Es ist auch ein innenpolitisches Problem. Und es gibt seitens des Thüringer Innenministers nur rudimentäre Versuche, innenpolitisch Prävention zu betreiben. Wenn niemand ermittelt werden kann als Täter, wenn niemand dingfest gemacht werden kann, dann folgt auch keine Repression. Es gibt keine abschreckende Wirkung.

Und die Menschen, die unter Umständen Gewaltpotenzial haben und Hasskriminalität verüben, die werden dadurch eher noch ermutigt, wenn es heißt, dass das Verfahren eingestellt wird. Weil sie merken, dass hier niemand zur Rechenschaft gezogen wird.

Das ist das, was in Thüringen jetzt am drängendsten ist. Dass man zeigt, die Polizei ist bei den Ermittlungen erfolgreich, und dass das Land personelle Ressourcen bereitstellt. Das Kernproblem ist, dass nicht genügend Beamte vorhanden sind. Es ist ein strukturelles Versagen. Das ist das Akuteste, was wir bekämpfen müssen. Danach müssen wir uns den Ursachen widmen.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel


Bleiben Sie dran!
App StorePlay Store
Auf Facebook folgenAuf X folgenAuf Instagram folgenAuf YouTube folgenAuf Spotify folgen


Telekom