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Psychologin über US-Präsident: "Donald Trump befeuert Verschwörungstheorien"


Psychologin über US-Präsident
"Donald Trump befeuert Verschwörungstheorien"

InterviewVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 17.10.2020Lesedauer: 4 Min.
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Donald Trump: Der US-Präsident verbreitet gern Verschwörungsmythen.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Der US-Präsident verbreitet gern Verschwörungsmythen. (Quelle: imago-images-bilder)

Warum sind Verschwörungstheorien so populär? Die deutsche Psychologin Anni Sternisko, die in New York forscht, hat dafür gleich mehrere Erklärungen.

t-online: Frau Sternisko, was sind die typischen Merkmale von Verschwörungstheorien?

Anni Sternisko: Es gibt drei klassische Merkmale: Im Zentrum einer Verschwörungstheorie steht immer eine Gruppe von Menschen, die ein bösartiges Ziel verfolgt und im Geheimen agiert. Dabei muss man verschiedene Arten von Verschwörungstheorien unterscheiden. Manche sind in eine übernatürliche Erzählung eingebettet. So sind etwa die Anhänger der Reptiloiden-Theorien davon überzeugt, dass fiktionale Wesen uns insgeheim kontrollieren. Andere Verschwörungstheorien wiederum orientieren sich an konkreten realen Ereignissen. Dazu zählt die Idee, dass der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September von der Bush-Regierung arrangiert wurde.

Warum sind Verschwörungstheorien für so viele Menschen anziehend?

Verschwörungstheorien sprechen ganz fundamentale menschliche Bedürfnisse an wie etwa den Wunsch nach Gemeinschaft und Ansehen. Die Querdenker 711-Bewegung und die Anti-Corona-Demonstrationen bieten die Möglichkeit, Teil einer eng verbundenen und vermeintlich überlegenen Gruppe zu werden. Ein anderes Bedürfnis besteht darin, die Welt um uns herum zu verstehen, ihr Sinn zuzuschreiben, und sie zu beeinflussen. Nehmen wir die Ermordung von John F. Kennedy und den Unfalltod von Lady Diana. Beides waren unerwartete Ereignisse, die die Menschen tief erschütterten. Die daraus resultierenden Verschwörungstheorien halfen den Menschen, diesen Ereignissen Sinn zu geben und verringerten so die Angst, dass ihnen selbst möglicherweise etwas widerfahren könnte. Da wurde dann John F. Kennedy durch das FBI ermordet und Lady Diana durch das Königshaus. Der Glaube an Verschwörungstheorien ist oft ein Versuch, das Gefühl von Ohnmacht zu überwinden und sich wieder handlungsfähig zu fühlen.

Wer fühlt sich besonders von so etwas angesprochen?

Manche Menschen scheinen eine natürliche Tendenz zum Verschwörungsglauben zu haben. Andere neigen zu Verschwörungstheorien erst dann, wenn sie ihre Bedürfnisse nicht befriedigt sehen. Insbesondere dann, wenn sie sich machtlos, verunsichert und von der Mehrheitsgesellschaft entfremdet fühlen. Oft sind es Leute, die nach Erklärungen suchen.

Erleben wir deshalb auch immer wieder, dass Prominente wie zuletzt der Sänger Michael Wendler plötzlich anfangen, solche Erzählungen zu verbreiten?

Jenseits von Ferndiagnosen: Zu Verschwörungsglauben neigen oft Menschen, die sich einzigartig fühlen möchten und gesehen werden wollen. Wer öffentlich Verschwörungsvideos verbreitet, weiß, dass er damit Normen bricht und aneckt. Die Aufmerksamkeit, die solch unkonventionelles Verhalten auf sich zieht, potenziert sich natürlich mit dem Prominenten-Status. Im Übrigen sind Verschwörungsaussagen mit einem Gefühl von Überlegenheit verbunden: Ich bin so besonders, dass ich als eine/r der Wenigen erkannt habe, welcher geheime Plot hinter einem Ereignis steckt. Auch im Fall Wendler sehen wir, dass Menschen, die nicht an seine Verschwörungstheorien glauben, als unwissend und naiv dargestellt werden.

Stellen Sie nationale Unterschiede bei den Verschwörungsmythen fest?

Viele Verschwörungstheorien sind im Kern identisch, ihre Details werden jedoch oft an das jeweilige Land angepasst. Was in Deutschland die syrischen Flüchtlinge sind, sind in den USA zum Beispiel die Einwanderer aus Mexiko, die keine Papiere haben. In beiden Fällen aber werden die Erzählungen missbraucht, um die ohnehin schon vorhandene eigene Ablehnung verschiedener Bevölkerungsgruppen auf die Spitze zu treiben.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie aus?

Situationen, in denen Menschen existenzielle Ängste haben, sind immer ein Verstärker für Verschwörungstheorien. Womit wir wieder beim Gefühl der Ohnmacht wären. Hinzu kommt, dass Forscher täglich neue Erkenntnisse gewinnen. Dementsprechend ist auch die Politik nicht immer konsistent in ihren Aussagen und Maßnahmen zur Corona-Pandemie. Anfangs schien es, dass Masken nicht effektiv sind, jetzt herrscht vielerorts Maskenpflicht. Das verunsichert die Menschen zusätzlich und führt bei einigen zu Misstrauen oder gänzlicher Ablehnung der Experten. Verschwörungstheorien reduzieren die Komplexität dieser Pandemie mit vereinfachenden Erklärungen und suggerieren oft, dass man selbst Kontrolle über die Ereignisse erlangen kann. Das ist für viele attraktiv.

Haben Verschwörungstheorien auch wegen Trump Konjunktur?

Seit seinem Amtsantritt hat Präsident Trump die Normen rund um Verschwörungserzählungen verändert. Früher hat man sie oft nur hinter vorgehaltener Hand erzählen können und riskierte, als Spinner abgestempelt zu werden. Wenn heute einer der mächtigsten Männer der Welt über Twitter öffentlich Verschwörungstheorien befeuert, ermutigt das Menschen, selbst Verschwörungstheorien zu propagieren. Die außerordentliche Medienpräsenz von Trump sorgt zudem dafür, dass solche Verschwörungserzählungen ein großes Publikum erreichen. Selbst wenn sie im Nachhinein widerlegt werden, bleiben sie oft in den Köpfen der Menschen stecken.

Wie gefährlich sind Verschwörungstheorien für Demokratien?

Sie sind extrem gefährlich. Wir wissen aus der Forschung, dass sie zu Gewalt motivieren, die Stigmatisierung von Gruppen verstärken und mit politischem Extremismus verbunden sind. Auch gehen Menschen, die an bestimmte Verschwörungstheorien glauben, seltener zur Wahl und sind auch eher bereit, gegen das Gesetz zu verstoßen. Und eine jüngere Datenanalyse zeigt: Wer an Verschwörungen zum Thema Corona glaubt, praktiziert weniger Hygiene, hält weniger Abstand und steht Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus kritischer gegenüber.

Was hilft denn überhaupt gegen Verschwörungstheorien?

Verschwörungstheorien sind erfolgreich, weil sie oft den Nerv unserer Zeit treffen. Sie bieten vereinfachte Erklärungen für Ereignisse, die den Menschen Angst machen. Deshalb sollten wir nicht immer nur über die Symptome von Verschwörungstheorien sprechen, sondern auch über die Ursachen. Wenn wir beobachten, dass sich Menschen vermehrt Verschwörungstheorien zuwenden, um Bedürfnisse nach Erklärungen, Sicherheit und Gemeinschaft vermeintlich erfüllt zu bekommen, läuft in unserer Gesellschaft etwas grundsätzlich schief. Eine solche Entwicklung fordert uns zum Nachdenken auf: Wo versagen wir als Gesellschaft? Warum können wir die Bedürfnisse unserer Mitmenschen nicht erfüllen? Wo ist Handlungs- und Besserungsbedarf? In diesem Sinne sind Verschwörungstheorien auch eine Form der Gesellschaftskritik.

Die Recherche für diesen Beitrag wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung Washington im Rahmen des Transatlantic Media Fellowships unterstützt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Anni Sternisko
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