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Ukraine-Flüchtlinge: Wie sie zu undankbaren Nörglern erklärt werden


Prorussische Propaganda
Wie Ukraine-Flüchtlinge zu undankbaren Nörglern erklärt werden

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 26.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Propaganda-Opfer: Sechs junge Ukrainerinnen und Ukrainer erzählten in einem Video von ihrem Leben in Berlin. Sie finden sich in einem völlig verzerrten Zusammenschnitt als Beleg wieder, dass БЕЖЕНЦы, die Flüchtlinge, undankbar sind.Vergrößern des Bildes
Propaganda-Opfer: Sechs junge Ukrainerinnen und Ukrainer erzählten in einem Video von ihrem Leben in Berlin. Sie finden sich in einem völlig verzerrten Zusammenschnitt als Beleg wieder, dass БЕЖЕНЦы, die Flüchtlinge, undankbar sind. (Quelle: Roman Kondratiev)

Ein Video wird im Netz vielfach geteilt, auch in rechten Kreisen. Es zeigt Ukrainer, die sich über Zustände in Deutschland beklagen. Doch die Geschichte dahinter ist eine ganz andere.

Das Wetter ist schön, das Gras grün und die Absicht eindeutig: Nach Deutschland gekommene junge Ukrainer erklären in Videointerviews, wie das neue Leben in Deutschland für sie so ist. Eine Woche später können sie auch schildern, wie man plötzlich im Mittelpunkt einer internationalen Kampagne zur Desinformation landet.

Prorussische und rechtspopulistische Kanäle verbreiten einen völlig einseitigen Zusammenschnitt mit der Sammlung weniger Sekunden langer negativer Aussagen. Nun heißt es: die undankbaren, unverschämten Ukrainer. t-online und ZDFheute haben Spuren dieser Propaganda bis nach Belarus verfolgt.

Seit dem 18. Mai sorgt ein Video für Wirbel, das eine Minute und sechs Sekunden lang ist und sechs Ukrainerinnen und Ukrainer zeigt, die es infolge des russischen Angriffskriegs nach Berlin verschlagen hat und die angeblich kein gutes Haar an Deutschland lassen. Es ist mit "Kein Ort, an dem man leben möchte" betitelt und Reaktionen darauf zeigen sich deutlich in einem Tweet des früheren Berliner AfD-Chefs Georg Pazderski: "Dankbarkeit sieht eigentlich anders aus, das habe ich zumindest mal gelernt."

Zusammenschnitt aus 46 Minuten

Pazderski blendet die Vorgeschichte aus. Die lautet so: Zwei Tage vor dem 18. Mai hatte der 27-jährige Videoblogger Roman Kondratiev ein 46 Minuten langes Video hochgeladen, das einen ganz anderen Eindruck vermittelt. "Meine Absicht war, einen historischen Zeitabschnitt zu dokumentieren."

Kondratiev, ein seit acht Jahren in Berlin lebender Ukrainer, wollte ausgewogen zeigen, wie nach Deutschland geflüchtete Ukrainer ihre Situation erleben, was sie mögen an Berlin und Deutschland und was auch nicht und wie es für sie weitergehen soll. "Die Menschen sind froh, in Berlin sicher zu sein, aber sie lieben auch ihre Heimat und manche Dinge, die dort anders sind. Das ist keine Undankbarkeit."

Tadel für Müll, Lob für Mülltrennung

Sie sagen dort auch Dinge, die auch viele Deutsche stören und ein interessantes Bild von außen vermitteln: Kartenzahlung sei in manchen Geschäften erst ab einem Mindestbetrag oder auch gar nicht möglich, Behördenvorgänge dauerten manchmal sehr lange, in Berlin liege mancherorts lange Müll.

In dem manipulativen Zusammenschnitt sieht man Lina Bishep aus Charkiw sagen, das Geld, das sie als Geflüchtete erhält, reiche nicht für ein normales Leben. Damit endet der Ausschnitt. Im Originalvideo erläutert sie dagegen auch, dass es eine große Auswahl an guten Lebensmitteln gebe, die günstig seien. Sie könne sich beispielsweise aber nicht ständig einen Kaffee leisten, da viele Dienstleistungen teuer seien.

Im Originalvideo sprechen die Ukrainerinnen und Ukrainer auch davon, wie ruhig es ist in Berlin, sie loben Mülltrennung und Pfandsystem, sie sprechen vom vielen Grün und wie das Vorbild sein könnte für Städte in der Ukraine. Was daraus gemacht worden sei, "sieht aus wie aus dem Handbuch 'Propaganda für Anfänger'", sagt Bishep. Die Absicht dahinter sei klar: "Einen Konflikt heraufbeschwören zwischen Deutschen und Ukrainern mit einer Minute aus einem fast 47-minütigen Video."

Videos gehen auf Gruppe aus Belarus zurück

Pazderski war nicht der Erste, der den Zusammenschnitt teilte. Das begann in prorussischen Kanälen. Die Quelle könnte in Belarus liegen, dem Land, dessen Präsident Alexander Lukaschenko eng an Putins Seite steht. In mehreren Varianten, die inzwischen durch das Netz geistern, ist immer das Wasserzeichen einer Gruppe zu sehen, die sich übersetzt "Gelbe Pflaumen" nennt. Oppositionsmedien in dem Land rechnen "Gelbe Pflaumen" dem Lukaschenko-Regime zu.

Lukaschenko selbst lobte sie in einer Pressekonferenz explizit. Investigativjournalist Anton Motolko traut der Gruppe auch zu, ein Video von ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland als Chance zu erkennen und zu nutzen, um Stimmung zu machen. "Ähnliches haben sie früher schon gemacht. Sie werden von der Regierung finanziert und haben auch die Ressourcen", sagt Motolko zu t-online.

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Auf eine Anfrage von t-online kam von dem Kanal keine Antwort. Es ist auch möglich, dass der manipulative Beitrag nicht ursprünglich von dort stammt. Metadaten zeigen, dass er bereits am Mittag des 17. Mai erstellt worden ist, rund 20 Stunden vor dem Posting.

Bisher sind aber auch keine Versionen bekannt, in denen das Wasserzeichen von "Gelbe Pflaumen" fehlt. Dafür liegt darüber in vielen Videos noch ein zweiter Schriftzug, "Roter Oktober". Das ist ein im April entstandener deutschsprachiger Kanal mit prorussischer Propaganda.

Russische Propagandakanäle vorne dabei

Deren Version wurde auch von Alina Lipp verbreitet, "Putins deutscher Infokriegerin" mit fast 150.000 Abonnenten. Sie lebt seit Monaten in Donezk und betreibt einen zweisprachigen Telegram-Kanal, der schon wiederholt mit Fakes zur Stimmungsmache gegen Ukrainer aufgefallen ist.

Außerdem landete das Video in einer Reihe mit weiteren Videos, die alle die gleiche Botschaft von Ukrainern als angeblich schlechten Gästen in Deutschland vermitteln. Der Kanal heißt "Satellit" und ist offenbar Etikettenschwindel von "Sputnik", Putins Auslandssender, der in der EU nicht mehr senden darf.

Filmemacher Roman Kondratiev sagt, er habe die Schnipsel aus seinem Beitrag in mehreren prorussischen Kanälen gesehen und auf Telegram gemeldet. "Ich und viele andere auch." Genutzt hat es nichts.

Verwendete Quellen
  • Telegram
  • Video-Gespräch mit Roman Kondratiev
  • E-Mail-Austausch mit Lina Bishep
  • E-Mail-Anfrage an "Gelbe Pflaumen"
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