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Bundeswehreinsatz in Afghanistan | Veteranin: "Ohne die Amerikaner hätten wir mehr Gefallene"


Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan
"Dann hat der Einsatz keinen Sinn gemacht"

  • Saskia Leidinger
InterviewVon Saskia Leidinger

Aktualisiert am 02.07.2021Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Soldaten auf dem Flughafen Wunstorf: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist beendet.Vergrößern des Bildes
Soldaten auf dem Flughafen Wunstorf: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist beendet. (Quelle: Hauke-Christian Dittrich/ap-bilder)

Die Bundeswehr sollte Afghanistan zusammen mit den Nato-Truppen stabilisieren. Jetzt ist sie abgezogen

Vier Mal war Dunja Neukam in Afghanistan im Einsatz, zuerst als Intensivpflegerin und später als Psychologie-Feldwebel. Mit viel Optimismus ging sie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 an den Hindukusch, wo auch die Sicherheit Deutschlands verteidigt werden sollte.

Doch ein Anschlag im Jahr 2003 änderte alles. Sie musste den Tod von Kameraden verkraften und haderte mit dem Sinn des Einsatzes. Heute betreut sie im Vorstand des Veteranenverbandes ehemalige Einsatzveteraninnen und hat für sich ein klares Fazit nach 20 Jahren Afghanistan gezogen.

t-online: Frau Neukam, nach zwanzig Jahren ist die Bundeswehr aus Afghanistan offiziell abgezogen. Die letzten Soldaten sind wieder in Deutschland. Sie waren selbst vier Mal in Afghanistan, zuletzt 2010. Wie geht es Ihnen mit diesem Abzug?

Dunja Neukam: Die Bedrohungslage wurde in letzter Zeit größer und deshalb bin ich froh, dass die Kameraden jetzt raus sind. Zumal wir allein ohne die Amerikaner und die Nato sowieso nichts ausrichten könnten. Für die Bevölkerung hätte ich mir aber etwas anderes gewünscht.

Wie haben Sie das Land und die Menschen vor Ort wahrgenommen?

Am Anfang war es vor Ort recht locker. Die Afghanen waren freundlich uns gegenüber, die Kinder sind hinter den Autos hergerannt und wir haben ihnen dann Süßigkeiten und Wasser gegeben. Auch haben wir im Lazarett die Zivilbevölkerung behandelt, denn die medizinische Versorgung vor Ort war eine Katastrophe. Manche hatten Krankheiten wie Parasiten, die gibt es bei uns fast nicht mehr. Man sah den Menschen auch die jahrelangen Kriege an.

Welche Begegnungen sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Wir haben einen zweieinhalb Jahre alten Jungen behandelt. Der hatte einen Tumor auf dem Auge. Um sein Kind behandeln zu lassen, hat sich der Vater Geld geliehen und ist mit dem Kind zuerst zu Fuß in das nächste Dorf, dann dort mit einem Eselkarren weiter in das nächstgrößere Dorf und von da aus mit dem Bus zu uns ins Krankenhaus. Das Auge konnten wir dann zwar nicht mehr retten, aber wenigstens ist der Junge an seiner Krankheit nicht gestorben.

Ehemalige Afghanistan-Soldaten sagen oft, dass die Bundeswehr zu blauäugig in diesen Einsatz gegangen ist. Woran machen Sie das fest?

Natürlich haben wir gewusst, was in diesem Land zuvor alles passiert war und dass die Lage schwierig ist. Aber wir dachten: Wir haben andere Voraussetzungen als damals die Sowjetunion. Zum einen sind viele internationale Kräfte vor Ort und jeder will dieses Land stabilisieren. Dann hatte zuvor der afghanische Nationalheld Ahmad Schah Massoud die Taliban im Norden vertrieben und viele Afghanen wollten Frieden. Daher dachte ich, wir bekommen das hin. Aber vielleicht waren wir als Bundeswehr an der Stelle zu blauäugig, denn solche Partisanenkämpfe wie es sie auch in Vietnam gab, hatten wir zuvor nicht mitgemacht.

War die Bundeswehr denn auf den Einsatz genügend vorbereitet?

Historiker Sönke Neitzel hat gesagt, die Bundeswehr ist in den 20 Jahren Afghanistan-Einsatz erwachsen geworden. Genau so sehe ich das auch. Ich war vier Mal vor Ort und jedes Mal wurde die Vorbereitung professioneller. Am Anfang sind wir noch mit ungepanzerten Fahrzeugen rausgefahren, was aber nach unserem Auftrag in Ordnung war. Wir hatten nicht mit so massiver Gegenwehr gerechnet. Das hatte sich dann aber komplett geändert.

Inwiefern?

Es fehlte an Großgerät und es gab auch Berichte, dass in einem Gefecht die Munition ausgegangen war. Das wurde nachgeordert, genau wie gepanzerte Fahrzeuge und Panzerhaubitzen. Die anderen waren uns da immer einen Schritt voraus. Deshalb ist vollkommen klar: Hätten wir die Amerikaner in den Gefechten nicht dabeigehabt, hätten wir noch viel mehr Gefallene.

Dieser Wendepunkt kam im Juni 2003. Ein Bus mit Bundeswehrsoldaten war auf dem Weg zum Flughafen. Die Soldaten sollten nach Hause zurückkehren, als ein mit Sprengstoff präpariertes Taxi explodierte. Vier Soldaten wurden getötet, mehrere schwer verletzt. Wie haben Sie diesen Anschlag erlebt?

An dem Tag selbst war ich wieder in Deutschland. Vor meinem Abflug kam ein Kamerad zu mir und sagte: 'Dunja, sei froh, dass du nach Hause fliegst, hier wird es ungemütlich.' Da wussten manche schon, dass etwas passieren könnte. Mit einigen hatte ich auch noch meinen Geburtstag in Afghanistan gefeiert. Wieder gesehen habe ich sie dann im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Es war sehr schwer für mich zu sehen, dass der Kamerad jetzt mit amputiertem Bein hier liegt und um sein Leben kämpft. Kameraden, denen es körperlich bereits besser ging, kamen dann auf mich zu und umarmten mich als wäre ich eine Art Rettungsanker in dieser unwirklichen Situation. Das verbindet.

Wie hat Sie dieser Anschlag verändert?

Dieser Anschlag war unfassbar hinterhältig, aber hat einen auch auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, dass es auch Menschen gibt, die bereit sind uns zu töten. Das macht Angst und das macht wütend und es macht sehr misstrauisch. Ich war dann nicht mehr so offen, selbst in Deutschland nicht mehr.

Haben Sie sich jemals die Frage gestellt, ob der Einsatz Sinn ergibt?

Natürlich hinterfragt man den Einsatz, nachdem Soldaten gefallen oder verletzt wurden. Aber ich habe als Zeitsoldatin unterschrieben, dass ich einsatzwillig bin. Und wenn man dafür unterschreibt, die Hand hebt und auf die Fahne schwört, dann macht das was mit einem. Ich habe viele kleine Beispiele, bei denen wir geholfen haben, und darin sehe ich auch das Positive.

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Welche Fortschritte haben Sie gesehen?

Wir haben Frauen operiert, die riesige Tumore im Gesicht hatten, wir haben Schulen gegründet und ja, etwas klischeehaft, auch Brunnen gebohrt. Das klingt zwar lächerlich, aber für diese Familie, dieses Dorf war das in dem Moment wichtig. Auch haben Frauen zunehmend keine Burkas mehr getragen und es wurden kleine Geschäfte geöffnet. Die Menschen haben durch den Einsatz immerhin 20 relativ friedliche Jahre erlebt. Nur leider ist das alles gerade wieder dem Untergang geweiht.

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Die Taliban haben mittlerweile rund 100 von 400 Bezirken unter ihrer Kontrolle und zuletzt ein Propagandafoto geteilt, auf dem ein Taliban-Kämpfer zu sehen ist und dahinter Masar-i-Sharif, die Stadt, in der die Bundeswehr ihren Stützpunkt hatte. Wird dadurch die eigene Arbeit nicht wertlos?

Im Grunde hat der Einsatz keinen Sinn gemacht, wenn jetzt die Taliban wieder das Land erobern. Wir haben dort mit viel Geld Häuser aufgebaut, eine riesige Küche und Rosengärten, weil das Ganze nach Übergabe mal eine Universität werden sollte – und jetzt wird alles geplündert und geht kaputt. Das macht unzufrieden und ratlos. Vor allem, wenn man an die vielen gefallenen und verletzten Soldaten denkt und an diejenigen, die psychische Schäden davongetragen haben, die vielleicht erst nach Jahren offensichtlich werden.

Insgesamt sind 59 Soldaten gestorben. Sprechen wir in der Gesellschaft genug über diese Menschen, werden sie genug gewürdigt? Bei der Ankunft der letzten Maschine aus Afghanistan in Deutschland war noch nicht einmal die Verteidigungsministerin vor Ort.

Bei mir muss niemand klatschen, wenn ich aus dem Flugzeug aussteige und es muss nicht die Veteranenverehrung sein wie in den USA. Was aber wichtig wäre ist, dass die Gesellschaft, die die Soldaten durch das Parlament in einen Einsatz schickt, diese und ihre Familie gut versorgt. Vor allem im Bereich der psychischen Erkrankungen. Da hat sich aber auch die Bundeswehr lange schwergetan. Wie soll das dann eine Gesellschaft leisten, wenn das die Bundeswehr lange nicht tut? Zumal die Frage, ob wir in einen Einsatz gehen, besser durchdacht werden müsste. Es darf nicht einfach nur gesagt werden: Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt. Das versteht niemand.

Afghanistan ist nicht der einzige Einsatz der Bundeswehr. Erst vor wenigen Tagen hat es einen Anschlag auf Bundeswehrsoldaten im afrikanischen Mali gegeben. Machen wir die gleichen Fehler noch einmal?

Das können diejenigen, die in beiden Einsätzen waren, besser beurteilen. Aber wenn man hört, dass es an Material und Ausrüstung mangelt, dann scheint etwas nicht zu stimmen. Wir waren in Afghanistan einer der größten Truppensteller, hatten aber nicht immer das beste Material. Das funktioniert einfach in solch komplexen und asymmetrischen Kriegen nicht. Die Bundeswehr muss hier besser aufgestellt werden. Und wenn man in Mali jetzt zu der Erkenntnis kommt, dass wir, so wie wir aufgestellt sind, dort nichts ausrichten können, dann bringt das nichts und dann sollten wir auch eher früher rausgehen als später. Das ist allerdings eine schwierige Entscheidung.

Rückblickend betrachtet: Hat sich der Einsatz in Afghanistan gelohnt?

Wenn man das Große und Ganze betrachtet, dann vielleicht eher nicht. Aber diese vielen Menschen, denen wir geholfen haben, an denen ich auch hänge, die wären vielleicht ohne unsere Hilfe gestorben. Und da kann ich für mich sagen, da hat sich mein Engagement dann gelohnt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dunja Neukam
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