Dokumente aufgetaucht: "Wir haben bereits die Zusage"
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Die AfD behauptet, nichts vom Versand einer Gratiszeitung an NRW-Haushalte gewusst zu haben. Interne Dokumente lassen Zweifel daran aufkommen. Der Partei droht eine Millionenstrafe wegen illegaler Parteispenden.
Vorweg: Die beteiligten AfD-Politiker bestreiten, dass es sich so abgespielt hat. Ihre Version steht damit im Widerspruch zu Dokumenten, die Correctiv und Frontal 21 vorliegen.
Diese deuten auf Folgendes hin: Demnach erhΓ€lt im MΓ€rz 2017 Andreas Keith, Wahlkampfleiter der AfD in Nordrhein-Westfalen, eine Anfrage des Essener Kreisverbands der Partei. Die Parteikollegen wollen das, was alle im Wahlkampf wollen: mehr Geld fΓΌr Zeitungsanzeigen und Flyer fΓΌr den Landtagswahlkampf. Doch Keith bleibt entspannt. Denn er weiΓ offenbar etwas, was die Kollegen noch nicht wissen.
Interne Dokumente aufgetaucht
Laut Unterlagen, die Correctiv und Frontal 21 vorliegen, antwortet Keith dem Essener Parteichef Stefan Keuter am 30. MΓ€rz 2017 β und damit vor den Landtagswahlen: "Wir haben bereits die Zusage, dass vor dem Wahlwochenende, entweder direkt davor, oder aber eine Woche vorab ein Extrablatt in HΓΆhe von 4,1 Millionen StΓΌck landesweit erscheinen wird." Neben den GroΓplakaten in Essen werde es somit eine "flΓ€chendeckende" Werbung geben.
Und tatsΓ€chlich: Vor der NRW-Landtagswahl im Mai erhalten Millionen Haushalte in NRW ein zehnseitiges "Extrablatt". Die Zeitung schΓΌrt vor allem Angst vor Zuwanderung. Sie enthΓ€lt Artikel wie: "Kippt auch bald Ihr Viertel?" Am Ende steht die Empfehlung: "Wollen wir so leben? Besser AfD wΓ€hlen."
Sowohl Keith als auch Keuter behaupten energisch, nichts von der Gratiszeitung vor ihrem Versand gewusst zu haben. "Falsch ist, dass unser Mandant die Empfehlung, keine Zeitungsanzeigen zu schalten, damit begrΓΌndet hΓ€tte, dass kurz vor der Landtagswahl in NRW ein Extrablatt erscheinen werde", schreibt ein Anwalt der Kanzlei HΓΆcker im Auftrag von Andreas Keith. "Dies ist schon deshalb falsch, weil unserem Mandanten gar nicht bekannt war, dass vor der Landtagswahl ein Extrablatt erscheint."
Stefan Keuter sagt, dass er in seinen Unterlagen den zitierten Schriftverkehr nicht finden kΓΆnne. Keuter sitzt heute fΓΌr die AfD im Bundestag.
Partei darf nichts von "Parallelaktionen" wissen
Doch sollten die beiden ParteifunktionΓ€re tatsΓ€chlich von der Gratiszeitung gewusst haben, wie die Correctiv und Frontal21 vorliegenden Dokumente nahelegen, dann steht die AfD vor einem weiteren Problem. Denn die AfD war nicht der Herausgeber des "Extrablatt", sondern der in Stuttgart ansΓ€ssige "Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bΓΌrgerlichen Freiheiten".
Das Parteiengesetz erlaubt es Vereinen, fΓΌr Parteien zu werben. Die Werbung muss jedoch eine sogenannte "Parallelaktion" sein. Eine Partei darf also nichts von ihr wissen und ihre eigenen WerbemaΓnahmen mit der Hilfe von auΓen koordinieren. Tut sie es doch, muss sie die Kosten der Werbung in ihren Rechenschaftsberichten offenlegen. Und genau das hat die AfD nicht getan. In ihren Berichten fehlt das "Extrablatt" aus dem NRW-Wahlkampf.
FΓΌr den Parteienrechtler Martin Morlok ist das Schreiben des AfD-FunktionΓ€r Keith aus dem NRW-Wahlkampf 2017 ein klarer Hinweis auf eine "verdeckte Parteispende". Hier habe sich die Partei die Spende entgegen der Vorschriften zu eigen gemacht und diese nicht angezeigt.
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Stefan Keuter, damals AfD-Chef in Essen und heute fΓΌr die Partei im Bundestag, behauptet auf Anfrage zunΓ€chst, vor dem Erscheinen des "Extrablatt" nichts von der Gratiszeitung gewusst zu haben. Er habe erst davon erfahren, als ihm Parteimitglieder von der Gratiszeitung in ihrem Briefkasten erzΓ€hlten.
Auf weitere Nachfrage sagt Keuter, er kΓΆnne sich an ein Schreiben von Keith zu dem "Extrablatt" nicht erinnern. "Der Ihnen offensichtlich vorliegende Schriftwechsel erscheint mir nicht authentisch, da im Kreis Essen nie Anzeigenwerbung geplant war."
Auch Alice Weidel betroffen
Mit den neuen Details ΓΌber das "Extrablatt" weitet sich die SpendenaffΓ€re der Partei noch einmal aus. Die Bundestagsverwaltung verlangt bereits die RΓΌckzahlung von gut 400.000 Euro wegen illegaler Wahlkampfspenden in den Jahren 2016 und 2017, die Correctiv und Frontal 21 aufgedeckt hatten. Die Schweizer Werbeagentur Goal AG hatte die Kosten von Wahlkampfplakaten in fΓΌnfstelliger HΓΆhe ΓΌbernommen. Die AfD verschwieg dies in ihren Rechenschaftsberichten, obwohl ParteifunktionΓ€re von der Hilfe aus der Schweiz wussten.
Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln bereits wegen mΓΆglicher VerstΓΆΓe der AfD gegen das Parteiengesetz. So zum Beispiel im Fall Alice Weidel: Der Kreisverband der Fraktionschefin erhielt 2017 eine GroΓspende von einem Schweizer Pharmakonzern. Der diente aber nach Recherchen des Rechercheverbunds aus WDR, NDR und SΓΌddeutscher Zeitung und anderer Medien nur dazu, die wahren Spender zu verschleiern. Auch die Namen, die die AfD spΓ€ter nachreichte, sind demnach zweifelhaft.
"Lobbycontrol" schΓ€tzt Wert auf 600.000 Euro
Stuft die Bundestagsverwaltung auch das "Extrablatt" als illegale Wahlkampfhilfe ein, kommt eine weitaus hΓΆhere Strafe auf die AfD zu als die bereits verhΓ€ngten 400.000 Euro β womΓΆglich in MillionenhΓΆhe. Denn wenn eine Partei mit einer Zuwendung gegen die Regeln verstΓΆΓt, muss sie in der Regel das Dreifache ihres Werts zurΓΌckzahlen.
Die Organisation "Lobbycontrol" schΓ€tzt den Wert des "Extrablatt" fΓΌr die Partei auf gut 600.000 Euro. So viel dΓΌrften laut Ulrich MΓΌller, Experte fΓΌr Parteienfinanzierung bei "Lobbycontrol", Druck und Versand gekostet haben. "Wenn das als Parteispende gewertet wird, dann muss die AfD mindestens 1,2 Millionen Euro Strafe zahlen, weil sie die Spende nicht angezeigt hat."
Alle Beteiligten dementieren
Der Stuttgarter Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit, der das "Extrablatt" herausgab, wollte eine Frage nach den Kosten des Gratiszeitung nicht beantworten. Der Vorsitzende des Vereins stritt ab, die Partei ΓΌber das "Extrablatt" informiert zu haben. Den AfD-FunktionΓ€r Keith kenne er gar nicht, sagt der Vereinsvorsitzende David Bendels. Er schrieb in einer Stellungnahme, dass er weder ein Parteimitglied noch einen FunktionΓ€r ΓΌber die geplante Verteilung des "Extrablatt" informiert habe.
Andreas Keith lΓ€sst ΓΌber seinen Medienanwalt mitteilen, dass er weder den Verein noch die Schweizer Agentur Goal AG gekannt habe. Niemand habe ihn mitgeteilt, "dass die AfD WahlkampfunterstΓΌtzung in Form des Extrablattes oder aber anderer angeblich spΓ€ter durch die Goal AG oder den Verein fΓΌr Rechtsstaatlichkeit und bΓΌrgerliche Freiheiten finanzierte Werbemittel bekomme".
Bis heute streitet der Verein eine Verbindung zur AfD ab. Bendels hatte Correctiv gegenΓΌber in einem Interview 2017 gesagt, dass "die Geldspender anonym bleiben wollten". Der Verein hat nicht nur mit dem "Extrablatt", sondern auch mit Plakataktionen in mehreren LandtagswahlkΓ€mpfen die AfD unterstΓΌtzt. Er unterhΓ€lt Verbindungen zur Goal AG, jener Schweizer Werbeagentur, die ebenfalls Wahlkampfplakate fΓΌr die AfD organisierte β laut Bundestagsverwaltung auf illegale Weise.
Ein zweiter Hinweis
Die Bundestagsverwaltung hat die AfD zu einer Stellungnahme ΓΌber die Zusammenarbeit mit dem Verein fΓΌr Rechtsstaatlichkeit aufgefordert. "Die AfD hat uns dazu mitgeteilt, dass es sich um eine 'Parallelaktion' des genannten Vereins handele, also kein maΓgeblicher Vertreter der Partei mit dem 'Ob' und 'Wie' der Aktion jemals befasst gewesen sei", schreibt ein Sprecher des Bundestages.
Die AfD behauptet also, vom "Extrablatt" nichts gewusst zu haben. Das vorliegende Schreiben legt nahe, dass Wahlkampfleiter Keith ΓΌber die Gratiszeitung, seine StΓΌckzahl und die geplante Verteilung Bescheid wusste.
Es gibt noch einen zweiten Hinweis darauf, dass die AfD entgegen der eigenen Darstellung ΓΌber die Verteilung des "Extrablatt" im NRW-Wahlkampf im Bilde war.
Kassenwart packt aus
So soll der Essener AfD-Vorsitzende Stefan Keuter auf einer Vorstandssitzung des Kreisverbandes vor der NRW-Landtagswahl gesagt haben, dass in den Haushalten von Essen "eine Zeitschrift mit dem Namen Extrablatt verteilt" werde und "auch die wΓΌrde von den Sponsoren finanziert". Dies erklΓ€rte bereits 2017 der damalige Kassenwart des AfD-Kreisverband Essen, Klaus K., in einer eidesstattlichen Versicherung.
Sowohl Stefan Keuter als auch Andreas Keith weisen auch diese Darstellung energisch zurΓΌck. Keuter schreibt, er habe nichts derartiges gesagt.
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Klaus K. ist mittlerweile aus der AfD ausgetreten. Schon seit lΓ€ngerem bereiten die ominΓΆsen Spenden dem Mann Kopfzerbrechen. K. fΓΌhlt sich von der Partei allein gelassen. Er will sein Wissen offenlegen β weil er nicht fΓΌr das Fehlverhalten anderer in Haftung genommen werden will.
- Dies ist eine Recherche des gemeinnΓΌtzigen Recherchezentrums Correctiv.org in Zusammenarbeit mit dem ZDF-Magazin Frontal 21. Mehr ΓΌber Correctiv erfahren Sie hier. Frontal 21 sendet an diesem Dienstag, 14.5.2019, um 21 Uhr ebenfalls einen Beitrag zur Recherche.