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SPD-Parteitag in Berlin: Der Kurs von Esken und Walter-Borjans ist gefährlich


SPD und die große Koalition
Kommen sie damit wirklich durch?

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 05.12.2019Lesedauer: 5 Min.
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Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans präsentieren den Kompromiss: Wie reagiert der Parteitag auf die abgeblasene Revolution?Vergrößern des Bildes
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans präsentieren den Kompromiss: Wie reagiert der Parteitag auf die abgeblasene Revolution? (Quelle: Fabrizio Bensch/Reuters-bilder)

Sie wollten vieles anders machen als die anderen – und machen nun doch einiges genau so. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mussten die Revolution absagen. Das ist gefährlich für sie.

Politik ist Kompromiss und Kompromiss ist meist unangenehm. Besonders unangenehm ist er für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die angetreten waren, um als SPD-Chefs nicht mehr so viele Kompromisse zu machen. Vor allem wenn es um die große Koalition geht.

Nun mussten sie schon Kompromisse machen, bevor es so richtig losgeht für sie, sogar sehr weitreichende. Das rüttelt am Selbstverständnis der beiden und hat das Potenzial, sie nachhaltig zu beschädigen, noch bevor sie vom SPD-Parteitag am Wochenende überhaupt offiziell gewählt worden sind.

Die Revolutionäre mussten ihre Revolution absagen.

Die drei Versprechen

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind von den Mitgliedern als Versprechen gewählt worden, genauer gesagt als drei Versprechen. Die beiden gehörten bislang nicht zur ersten Reihe der SPD-Politiker. Sie sollen als frische Gesichter auch personell die Erneuerung der Partei verkörpern – und mit dem bisherigen Establishment brechen.

Esken und Walter-Borjans sind aber auch für das Versprechen neuer Inhalte gewählt worden. Inhalte, die schon in ihrem Wahlkampf sehr detailliert waren und deutlich linker als die der derzeitigen Regierungs-SPD. Ein Mindestlohn von 12 Euro etwa, mehr Investitionen und eine Abkehr von der schwarzen Null, mehr Klimaschutz, einen CO2-Einstiegspreis von 40 Euro, allgemeinverbindliche Tarifverträge und vieles, vieles mehr.

Und sie sind für ihr Versprechen zur großen Koalition gewählt worden. Dieses Versprechen lautete niemals: in jedem Fall raus. Aber es lautete immer: raus, wenn wir unsere wichtigsten Inhalte mit der Union nicht umsetzen können.

Zumindest war das bis zum Montag noch so.

Brutal brüskiert

Dann wurde verhandelt, unter enormem Zeitdruck. Der SPD-Mitgliederentscheid endete am Samstag, nicht mal eine Woche vor Beginn des Parteitags am Freitag. Der Entscheid endete mit einem neuen Führungsduo, auf das die meisten im Willy-Brandt-Haus nicht gewettet hatten. Und vor allem endete er mit einem Duo, das vieles anders machen wollte als bisher, und das nun auf Regierungsmitglieder, Ministerpräsidenten und eine Bundestagsfraktion getroffen ist, die lieber nicht so viel anders machen wollen.

Der einflussreiche niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil setzte gleich am Montag den Ton und ließ wissen, dass er von Nachverhandlungen in der großen Koalition nichts halte. Und als sei das nicht genug, warnte er Esken und Walter-Borjans auch noch davor, zu sehr auf soziale Themen zu setzen. Viel brutaler hätte er die neuen Chefs nicht brüskieren können. Weitere Skeptiker folgten, der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering etwa und andere einstige SPD-Größen.

Esken und Walter-Borjans arbeiteten derweil an dem wichtigsten Leitantrag des Parteitags: den zur Halbzeitbilanz der großen Koalition. Die neuen Mächtigen wie Kevin Kühnert sollen mitgeredet haben. Kühnert, der Esken und Walter-Borjans mit den Jusos offen unterstützt hatte und jetzt Vizevorsitzender werden will. Es sollen aber auch die eigentlich nicht mehr ganz so Mächtigen wie Olaf Scholz eingebunden worden sein. Denn sie mussten überzeugt werden, weil sie durch die Vorsitzwahl zwar nicht mehr ganz so mächtig sind, aber immer noch mächtig genug.

Vorübergehend die Waffen gestreckt

Am Dienstag sah es kurze Zeit so aus, als würden Esken und Walter-Borjans die Waffen strecken. Ein erster Entwurf des Leitantrags wurde durchgesteckt. Darin war weder von einer Erhöhung des CO2-Preises die Rede, noch von einem Mindestlohn von zwölf Euro. Und führende SPD-Politiker gaben sich zugleich alle Mühe, eine Diskussion über die Zukunft der großen Koalition gleich komplett abzumoderieren.

Der Parteilinke Karl Lauterbach, ein offener Gegner der großen Koalition, warnte auf Twitter davor, sich unglaubwürdig zu machen: "Es kann nicht sein, dass wir mit Groko-Kritik in Ämter gewählt werden, um dann, einmal im Amt, ohne Verbesserungen der Lage in der Groko weitermachen."

Die Verhandlungen gingen weiter, und am Donnerstag stellten Walter-Borjans und Esken einen "Kompromiss-Leitantrag" vor. Mehr als eine Stunde später als geplant, weil die Diskussionen im Parteivorstand auch an diesem Tag länger dauerten.

Der Kompromiss, über den der Parteitag am Freitag debattieren soll, enthält nun mehr konkrete Inhalte als am Dienstag. Das Grundproblem für Esken und Walter-Borjans löst er aber nicht.

Konkreter als am Dienstag, unkonkreter als zuvor

Die SPD will in vier Themenfelder mit der Union über Inhalte sprechen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen: Investitionen, Klima, Arbeit und Digitalisierung. Die Forderungen fallen zwar konkreter aus als im ersten Entwurf, es wurde also nochmal nachgeschärft. Aber sie sind immer noch deutlich unkonkreter, als Esken und Walter-Borjans in ihrem Wahlkampf versprochen hatten.

Investitionen dürften nicht an der schwarzen Null scheitern, heißt es im Leitantrag etwa, und Wirtschaftsinstitute hätten einen Bedarf für die nächsten zehn Jahre von 450 Milliarden Euro errechnet. Es müsse nachhaltiger und langfristiger investiert werden, wie und wie viel genau, bleibt aber offen.

Bei der Klimapolitik wird ein sozial gerechter und wirksamer CO2-Preis gefordert, wozu die "derzeitigen Maßnahmen" weiterentwickelt werden müssten. Auch von einem höheren CO2-Preis ist die Rede, aber eben nicht mehr von einem Einstiegspreis von 40 statt 10 Euro.

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Auf dem Arbeitsmarkt soll die Tarifbindung gestärkt werden und auch der Mindestlohn erhöht. Die zwölf Euro stehen auch wieder drin, allerdings als perspektivisches Ziel, nicht mehr als Sofortmaßnahme, die besonders Esken bislang gefordert hatte. Und bei der Digitalisierung sollen die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur zwar ausgeweitet werden, von einer eindeutigen Staatsaufgabe ist aber nichts mehr zu lesen.

Das ist schmerzhaft für Esken und Walter-Borjans, weil sie die bisherige SPD-Führung oft dafür kritisiert haben, schon mit Kompromissforderungen in die Verhandlungen mit der Union zu gehen, und so schlechtere Ergebnisse für die SPD herauszuholen.

Kein Plan fürs Scheitern

Noch folgenreicher für das Duo, und auch für die Zukunft der großen Koalition ist aber: Es ist im Leitantrag nur von Gesprächen mit der Union die Rede, nicht von Verhandlungen. Und es gibt weder einen Zeitpunkt, zu dem diese Gespräche abgeschlossen sein sollen, noch wird formuliert, was passiert, wenn sie scheitern.

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Das ist der größte Kompromiss für Esken und Walter-Borjans. Denn sie haben immer und immer wieder betont, dass sie die inhaltlichen Bedingungen für die Fortsetzung der großen Koalition wirklich als Bedingungen verstehen. Und dass sie rauswollen, wenn sie nicht erfüllt werden.

Nun steht im Leitantrag nur, dass die SPD-Führung beauftragt wird, mit der Union über die "neuen Vorhaben" zu sprechen. Und dass der Parteivorstand anschließend bewerten wird, "ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind". Viel unverbindlicher lässt sich das kaum formulieren.

Chancen der großen Koalition sind wieder gewachsen

Die Chancen, dass die große Koalition die Legislaturperiode zu Ende bringt, sind damit wieder deutlich gewachsen. Die Chancen, dass Esken und Walter-Borjans die SPD schnell erneuern können, nicht gerade.

Als die bald neuen Vorsitzenden den Leitantrag am Donnerstag vorstellten, war die Begeisterung dann auch gedämpft. Ein Kompromiss könne "nicht die reine Lehre dessen sein, von dem wir überzeugt sind", sagte Esken. Aber es sei ein guter Kompromiss, es gehe in die richtige Richtung.


Ob der Parteitag das auch so sieht, ob die Delegierten dem Führungsduo ohne Weiteres durchgehen lassen, dass es sich schon vor ihrer offiziellen Wahl von Kernpositionen verabschiedet, wird sich am Freitag zeigen. Die Parteilinke um Hilde Mattheis hat schon einen Gegenantrag angekündigt. "Der SPD-Parteitag muss über die große Koalition entscheiden", sagte sie. Ob darüber dann wirklich abgestimmt wird, ist zwar fraglich. Aber die Debatte um die große Koalition wird munter, so viel ist klar.

Noch ist die Revolution nicht ganz tot.

Verwendete Quellen
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