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Tagesanbruch – Desaströs: Seehofer "ein Fall für die fristlose Kündigung"


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.07.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Horst SeehoferVergrößern des Bildes
Horst Seehofer (Quelle: Hannibal Hanschke/Reuters-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es ist schon irre: Da treibt Horst Seehofer erst die Union und die Bundesregierung an den Rand des Zusammenbruchs, dann brüstet er sich mit dem Ergebnis der Last-Minute-Einigung, fährt anschließend nach Österreich – und wirft, als er dort auf Widerstand trifft, seine eigene Forderung mal eben über Bord: "Wir werden weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtlinge verantwortlich machen, für die es nicht zuständig ist." Zack: Mit einem Satz einen zentralen Punkt der mühsam ausgehandelten CDU/CSU-Einigung abgeräumt. "Seehofer holt sich eine Abfuhr in Wien", urteilt die "Neue Zürcher Zeitung" und mokiert sich über das "deutsche Zurückkrebsen". "Seehofer prallt an der Wiener Wand ab", kommentiert die "Süddeutsche Zeitung".

Gestern am späten Abend dann die Eilmeldung: CDU, CSU und SPD haben sich im Koalitionsausschuss auf ein gemeinsames Asylpaket geeinigt. Wer sich diese Einigung genauer anschaut, stellt zweierlei fest:

Erstens hat die SPD dafür gesorgt, dass aus den zusammengestoppelten "Maßnahmen" der Union eine verantwortungsvolle Asylpolitik wird, inklusive eines schnellen Einwanderungsgesetzes für Fachkräfte.

Zweitens: Von den Punkten, derentwegen Seehofer die dreiwöchige Regierungskrise angezettelt hat, ist im Kern nichts übrig geblieben. Die "Transitzentren" heißen jetzt "Transferzentren", zurückgeschickt werden nur noch Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Staat ein Asylverfahren begonnen haben (also nicht wie bisher geplant alle, deren Personalien anderswo registriert wurden), und dabei geht es um – atmen Sie jetzt bitte tief durch und halten Sie Ihre Tasse fest, damit Sie den Kaffee nicht verschütten – "jeden Tag zwischen zwei und fünf Flüchtlinge". Ja, Sie haben richtig gelesen: zwischen zwei und fünf. O-Ton Seehofer.

Dafür hat der Bundesinnenminister also diesen ganzen Irrsinn angezettelt.

In der freien Wirtschaft würde man sagen: Wer so eine desaströse, destruktive Performance abliefert, ist ein klarer Fall für die fristlose Kündigung. Ich ahne, dass Seehofers Chefin das ähnlich sieht. Aber sie kann ihn halt nicht rauswerfen, ohne Gefahr zu laufen, anschließend selbst ihren Job zu verlieren. Das ist die Tragik der politischen Macht in diesem Land – einerseits. Andererseits ist es vielleicht auch ganz gut: Unser Verhältniswahlrecht begünstigt Koalitionsregierungen und zwingt die Mächtigen zu permanenten Kompromissen. "Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind", sagte der französische Friedensnobelpreisträger Aristide Briand. Immerhin das hat diese Bundesregierung zustande gebracht, wie der gestern Abend veröffentlichte ARD-Deutschlandtrend zeigt:

  • 78 Prozent der Bürger sind weniger oder gar nicht zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Das sind 15 Punkte mehr als im Vormonat.
  • Horst Seehofers Zustimmungswert stürzt massiv ab: minus 16 Punkte. Mit seiner Arbeit sind gerade einmal 27 Prozent der Befragten zufrieden.
  • 73 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass Seehofer mit seiner Attacke auf Kanzlerin Merkel die Union geschwächt hat.

Überall rumort es im Land. Wen man auch anspricht: Allerorten Kopfschütteln, Verärgerung, Fassungslosigkeit über diese Bundesregierung. Kürzlich habe ich im “Tagesanbruch“ über die Wunden geschrieben, die der Streit zwischen CDU und CSU geschlagen hat: bei den beteiligten Politikern, aber auch bei vielen Bürgern. In einem Video habe ich festgestellt, dass wir Bürger die größten Verlierer dieses Streits sind. Weil wir Politiker erlebt haben, die Probleme schaffen, statt sie zu lösen, weil die Politikverdrossenheit zunimmt.

"Politik ist ein brutales Geschäft in der Demokratie. Sie frisst ihre Amtsträger auf. Sie saugt ihnen das Leben aus dem Leib", schreibt unser Kolumnist Gerhard Spörl in seinem fulminanten Text, den ich Ihnen sehr empfehle.

Was mich hoffnungsfroh stimmt: Offenkundig wollen sich viele Bürger nicht mehr mit dem egoistischen, zynischen, kurzsichtigen Herumwursteln dieser Regierung abfinden. Sie sagen den Abgeordneten in ihren Wahlkreisen die Meinung, sie schreiben in Kommentarforen oder sie unterzeichnen Petitionen wie jene, die ich gestern im Internet fand: "Gegen die Verwahrlosung politischer Kultur" heißt sie und richtet sich an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. "Wir fordern, dass im öffentlichen Umgang unserer Repräsentanten miteinander und in den politischen Entscheidungsprozessen die Grundwerte der Verfassung eingehalten werden", heißt es dort. "Dazu gehören der respektvolle Umgang und Sachlichkeit, nicht Geltungssucht und eigennütziges Machtkalkül." Das sitzt.

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WAS STEHT AN?

Überall Sitzungen heute:

  • Der Bundesrat befasst sich in seiner letzten Versammlung vor der Sommerpause abschließend mit dem Familiennachzug für Flüchtlinge, der Entschädigung für Atomkonzerne und der Erhöhung der Abgeordnetendiäten. Wird wohl alles abnicken.
  • Das britische Kabinett trifft sich auf dem Landsitz Chequers, um zu überlegen, wie es aus dem Brexit-Schlamassel herauskommt. Premierministerin Theresa May hat ebenso wie viele Abgeordnete erkannt, dass der EU-Ausstieg dem Land viel mehr schadet als nutzt, und sucht nun händeringend nach "Alternativen" (vulgo: einem Weg, den Brexit abzublasen). Da in ihrer Ministerriege aber auch noch mehrere begeisterte Brexit-Fans sitzen, wird das heute wohl eine offene Feldschlacht. Allerdings hinter verschlossenen Türen.
  • In Wien treffen sich die Außenminister Deutschlands, Chinas, Frankreichs, Großbritanniens und Russlands, um gemeinsam mit ihrem iranischen Kollegen zu überlegen, wie sie US-Präsident Trump austricksen und das Atomabkommen retten können.

Vielleicht etwas weniger wichtig, aber dafür viel charmanter finde ich zwei andere Termine:

  • Heute werden die Zahlen für den Eurojackpot gezogen. Sagenhafte 90 Millionen Euro sind im Topf.
  • Heute ist der Tag des Kusses. Wenn Sie also jemandem, den Sie richtig gern mögen, eine Freude machen wollen (und er/sie sich darüber freut): Heute haben Sie DIE Gelegenheit. Falls Sie noch rasch Nachhilfe brauchen: So geht’s.

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Nach zwei unerträglich unsportlichen Tagen rollt heute endlich wieder der Ball. Gleich zwei Kracher beim WM-Viertelfinale: um 16 Uhr Uruguay–Frankreich, um 20 Uhr Brasilien–Belgien. Damit Sie vor dem Fernseher mitreden können, empfehle ich Ihnen die Kurzanalyse unseres WM-Reporters Benjamin Zurmühl: welches Team welche Stärken und Schwächen hat. Und wenn Sie dann immer noch keine gute Laune haben: Dieses wunderbare WM-Video meines Kollegen Martin Trotz versüßt Ihnen ganz bestimmt den Tag.

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WAS LESEN?

Woran denken Sie, wenn Sie "Russland" hören? An Latin Lover oder an Sibirien? Genau. Diese eher ungünstige Zuordnung treibt auch die Russen, genauer die russischen Männer, zur Zeit sehr um. Denn die Welt ist zu Gast bei Freunden, junge Russinnen lächeln auf Selfies mit ebenso jungen Argentiniern, Mexikanern, und anderen Männern aus attraktiven Klimazonen. "Zeit der Luder: Wie Russinnen bei der Weltmeisterschaft Schande über sich und das Land bringen", ereifert sich ein Moskauer Boulevardblatt, auch das Staatsfernsehen sorgt sich, und das Internet kommt aus dem Geifern sowieso nicht heraus.

Selber schuld, kommt der Konter von weiblicher Seite – das Männerdefizit in Russland sei dem örtlich ansässigen Exemplar ein bisschen zu sehr zu Kopfe gestiegen, das Engagement bei den Bemühungen um das andere Geschlecht lasse doch sehr zu wünschen übrig. Eben noch seien Ausländer eine nahezu unbekannte Spezies gewesen, zumal in der Provinz. Aber "plötzlich kommen in Scharen gut aussehende, gepflegte junge Männer ins Land", sagt eine Kulturwissenschaftlerin. Dadurch verändert sich etwas. Selbst bei den größten Machos unter den Russen, die einen ganz neuen Charakterzug an sich entdecken. Nämlich die Hysterie.

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Spektakulär ist ein zu kleines Wort für den Zweikampf, den sich Sebastian Vettel und Lewis Hamilton im Kampf um die Weltmeisterschaft liefern. Die Formel 1 ist so spannend wie seit zehn Jahren nicht mehr – und ausgerechnet jetzt stehen zwei Rennen auf dem Programm, die aus psychologischer Sicht kaum wichtiger sein könnten. "Jetzt geht es mental so richtig zur Sache", schreibt mein Kollege Tobias Ruf in seiner Kolumne.

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WAS FASZINIERT MICH?

Ich solle doch mal Popcorn mit Stäbchen essen, riet mir meine Kollegin Claudia Hamburger. Also mit diesen chinesischen Essstäbchen. Jedes Popcorn einzeln. Oder Wasser nicht aus einem Glas trinken, sondern wie ein Kätzchen mit der Zunge aufschlecken. Wieso denn das, dachte ich, ich mache mich doch nicht zum Affen. Dann las ich ihren Text. Und nun schmeckt mir mein Essen viel besser. Probieren Sie’s doch gleich beim Frühstück oder Mittagessen auch mal aus!

Ich wünsche Ihnen einen genüsslichen Tag und dann ein schönes, sonniges Wochenende.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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