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Tagesanbruch: Die größte Flüchtlingskrise könnte erst noch kommen


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

20.08.2018Lesedauer: 8 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Chengannur im südindischen Bundesstaat KeralaVergrößern des Bildes
Chengannur im südindischen Bundesstaat Kerala (Quelle: Aijaz Rahi/AP/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

vorab ein Hinweis, falls Sie es noch nicht gesehen haben: Den "Tagesanbruch" gibt es jetzt nicht mehr nur montags bis freitags, sondern auch am Wochenende als Audio-Format: Hier finden Sie ihn im Webplayer, hier auf Spotify und hier bei iTunes. In der ersten Folge ging es unter anderem um das schwierige Verhältnis von Rechtsstaat und Terrorabwehr sowie um die Zeitumstellung. Vielleicht mögen Sie mal hineinhören. Und natürlich finden Sie dort wie immer auch die Wochentagsausgaben zum Anhören.

Falls Sie lieber lesen als hören, ist hier der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Eine angenehme Sommersonne, nicht zu heiß, der Müßiggang der ausklingenden Ferienzeit, in der Politik wenig los, also vielleicht eine kleine Fahrradtour oder doch lieber ein Steak auf den Grill, dazu ein kühles Blondes, anschließend die Beine hochlegen, hach ja. So oder ähnlich werden wohl viele Menschen in unserem schönen Land das Wochenende genossen haben.

Andernorts sitzen sie auf den Dächern und zittern um ihr Leben. Zehntausende. Weitere 800.000 Menschen sind zwar schon runter von den Dächern, bangen aber nun in Notunterkünften, wie es wohl weitergeht mit ihnen, ihren Lieben, ihren Häusern, ihren Habseligkeiten – so diese denn noch nicht von braunen Fluten verschlungen wurden. 40 Flüsse sind in Südindien über die Ufer getreten, 80 Dämme mussten geöffnet werden. Die Wassermassen ergossen sich über Felder, Straßen, Städte, rissen Brücken und Hütten fort. Es fehlen Strom, Telefonleitungen, sauberes Trinkwasser, Seuchen drohen. In manche abgelegene Regionen hat der Krisenstab der Regierung immer noch keinen Kontakt. Es ist die schlimmste Flut seit 100 Jahren im Bundesstaat Kerala, und die Regierung tut sich schwer, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Wie sollte sie es auch schneller schaffen? Wie wird man einer Katastrophe Herr, die urplötzlich über ein Land hereinbricht, wie versorgt man von einem Tag auf den anderen eine Million Hilfsbedürftige?

Urplötzlich? Sind heftige Regenfälle in der Monsunsaison nicht normal? Sind sie – aber in diesem Jahr fallen sie außergewöhnlich stark aus, und es mehren sich die Stimmen, die das nicht für eine Laune der Natur halten. Indische Wissenschaftler machen den Klimawandel für das Extremwetter verantwortlich. Forscher des Potsdam-Institut für Klimafolgenschätzung berichteten schon vor fünf Jahren, dass der Klimawandel den indischen Monsun aus dem Gleichgewicht bringen könnte.

Die Folgen wären dramatisch – und können auch uns Europäer betreffen. Der Klimaforscher Joachim Curtius hat in einem Interview mit der "Frankfurter Neuen Presse" skizziert, wie sich unsere Welt durch die Erderwärmung verändert und wie radikal dies das Leben auf unserem Planeten beeinflussen wird: "Wenn Indien und Bangladesch unbewohnbar werden – und es gibt entsprechende Abschätzungen, dass das geschehen könnte – dann werden die Menschen nicht einfach nach Grönland oder Sibirien gehen können. Der Mittelmeerraum wird trocken werden, der Persische Golf Temperaturen von 50 oder 60 Grad erleben, regelmäßig. Dort wird niemand mehr leben können. Das wird auch auf uns massive Auswirkungen haben."

Auf uns? Jawohl, auf uns in Europa, in Deutschland. Das Wort Migration wird dann eine völlig andere Dimension annehmen, als die vergleichsweise kleine, mit der wir es derzeit im Munde führen. Haben wir, die wir am Grill die Sommersonne und das kühle Blonde genießen, diese Entwicklung schon verstanden? Tun die Regierungen in Berlin und den anderen europäischen Hauptstädten, in Washington, Peking, Moskau, Neu Delhi alles, wirklich alles, um den Klimawandel zu bekämpfen? Behandeln sie das Thema so, wie es ihm gebührt: mit der größten Aufmerksamkeit, dem intensivsten Einsatz, den umfangreichsten Investitionen? Haben sie erkannt, dass alle anderen Probleme und politischen Kämpfchen, mit denen sie sich den lieben langen Tag beschäftigen, im Vergleich zu dieser Mammutaufgabe nachrangig sind? Klare Antwort: nein. Ein dramatischer Fehler, der uns noch teuer zu stehen kommen kann.

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Am Freitag schrieb ich im Tagesanbruch über die unheimliche Macht von Facebook. Der Milliardenkonzern kontrolliert die Kommunikation von Milliarden Menschen. Wegen unzähliger rassistischer und hasserfüllter Postings in die Kritik geraten, versucht das Unternehmen nun, stärker durchzugreifen – ist damit aber offenkundig überfordert. Jüngstes Opfer dieser Überforderung ist unsere t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor. Haarsträubend!

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WAS STEHT AN?

Es ist noch gar nicht so lange her, da berichteten wir Journalisten täglich über die Krise in Griechenland. Nach jahrzehntelangem politischem Missmanagement, gebeutelt von Klientelismus, Korruption und ineffektiven Behörden, stand das Land kurz vor der Staatspleite – und wurde erst im letzten Moment davor gerettet. Europäische Zentralbank, Europäische Kommission und Internationaler Währungsfonds bewahrten den griechischen Staat vor dem Kollaps. Fast 274 Milliarden Euro haben sie seit dem Jahr 2010 nach Athen überwiesen. Eine gigantische Summe. Das hat viel Kritik heraufbeschworen, gerade hier in Deutschland. Die Bundesbürger müssten für die Sünden der Griechen bluten, hieß es. Diese Unkenrufe haben sich nicht bewahrheitet, im Gegenteil: Die Bundesbank hat durch die Griechenland-Kredite bisher kein Geld verloren – sondern an den Zinsen fast drei Milliarden Euro verdient.

Heute endet das dritte und (hoffentlich) letzte Hilfsprogramm, ab jetzt soll sich Griechenland wieder aus eigener Kraft finanzieren. Ministerpräsident Alexis Tsipras feiert diesen Schritt als großen Erfolg; nach anfänglichem Zaudern hat seine linksgerichtete Regierung ein striktes Sparprogramm durchgezogen, das nun einige Früchte trägt: Die Wirtschaft wächst wieder (ein bisschen), die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen (zumindest ein wenig), der Haushalt ist wieder im Plus (wenn man den Schuldendienst rausrechnet).

Diese Erfolge haben allerdings einen hohen Preis, und den zahlen viele der knapp elf Millionen Bürger: Renten, Löhne und Arbeitslosenhilfe wurden um bis zu 50 Prozent gekürzt, die Steuern zum Teil drastisch erhöht, viele Sozialleistungen ganz gestrichen. Wozu das führt, habe ich mir vor einem Jahr in Athen angesehen: Einerseits war ich von der lebendigen Kulturszene und der spürbaren Solidarität in der Bevölkerung beeindruckt – andererseits sah ich auch: Immer mehr Menschen rutschen in die Armut, können sich das Nötigste nicht mehr leisten, neue Kleidung, regelmäßig warmes Essen, eine geheizte Wohnung. Und immer mehr junge Leute verlassen ihre Heimat, weil sie dort keine Perspektive sehen: Mehr als eine halbe Million Griechen sind seit Beginn der Krise ausgewandert, um in Deutschland, anderen europäischen Ländern oder Amerika zu arbeiten. Dieser "Brain Drain" ist vielleicht die größte Gefahr für das schöne Land, das wir so oft nur mit Strand, Meer und antiken Ruinen assoziieren. Wenn immer mehr junge Menschen mit Tatkraft, Kreativität und neuen Ideen verschwinden, dann schwindet auch die Chance auf eine rosige Zukunft und den ersehnten Wirtschaftsaufschwung.

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Denn die Probleme gehen nicht einfach weg, sie bleiben da. "Noch immer türmt sich in Athen ein gewaltiger Schuldenberg von etwa 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – der mit Abstand höchste Wert in Europa", analysieren die Journalisten Takis Tsafos und Alkimos Sartoros. "Entscheidend dürfte sein, ob Griechenland künftig genug Investitionen sichern kann." Privates Geld aus dem Ausland soll also dabei helfen, die Krise endgültig zu meistern. Ja, das ist eine Chance. Aber zugleich ein Risiko: Verkauft die Regierung unter dem Schuldendruck ihr Tafelsilber – zum Beispiel Häfen an die Chinesen und Flughäfen an die Deutschen – bleibt dann genug Vermögen im Land oder droht dieses zu einer fremdgesteuerten Wirtschaftskolonie zu werden? In Athen habe ich diese Frage und die Angst vor einem "Ausverkauf" oft gehört. Das konnte ich, bei aller Sympathie für einen soliden Reformkurs, nachvollziehen.

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Manche Songs sind für die Ewigkeit geschaffen. Sie gehen direkt ins Blut, sie berühren etwas tief in uns drinnen, sie verschwinden nicht mehr aus unseren Ohren. "Kashmir" ist so ein Song, vor 43 Jahren von Led Zeppelin erschaffen. "Es war eine unglaubliche Herausforderung für mich", berichtete Sänger Robert Plant später. "Es war, als wäre das Lied größer als ich. Ich war wie versteinert. Ich war den Tränen nahe." Trotzdem bezeichnete er dieses Lied als seinen Lieblingssong. Heute wird er 70, dieser Robert Plant. Ich verneige mich ehrfürchtig vor diesem Bühnengiganten und höre mir jetzt gleich noch mal diese fantastische Liveaufnahme von "Kashmir" an. Dieser Rhythmus, diese Stimme! Manche Songs sind für die Ewigkeit geschaffen.

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WAS LESEN?

Wer Politik macht oder beschreibt, wird schnell in den Alltag hineingesaugt. Man spricht dann über Koalitionsverhandlungen, Kandidaten für den Fraktionsvorsitz oder die aktuelle Regierungskrise. Man spricht selten über: die Zukunft. Meine Kollegen aus unserem Politikressort wollen das ändern und fragen Spitzenpolitiker nach ihren Visionen für das Jahr 2036: Wie sollte sich unsere Gesellschaft bis dahin entwickelt haben? Und wie kommen wir dorthin? Den Anfang macht FDP-Chef Christian Lindner, mit dem Jonas Schaible über Klimaschutz, Männlichkeit und würdiges Leben im Alter gesprochen hat.

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Im Bundestag, in den Medien, in zig Studien: Ständig ist davon die Rede, dass wir Menschen immer älter werden. Kindern, die heute zur Welt kommen, wird vorausgesagt, dass sie 100 Jahre alt werden können. Doch jetzt ist etwas Unerwartetes geschehen: Forscher haben festgestellt, dass die Lebenserwartung plötzlich sinkt. Was ist geschehen? Meine Kolleginnen Larissa Koch und Juliane Wellisch wissen es.

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Das Rätsel des Bermudadreiecks: gelöst! Es ist schon viele Jahre her, dass diese Schlagzeile für Aufregung gesorgt hätte. Wildere Zeiten waren das: Mysteriöse Außerirdische hielten uns durch Ufo-Sichtungen in Atem, "dokumentiert" auf verwackelten, schummrigen Fotos. Ein geheimnisvoller Schneemensch zog durch unbekannte Täler fern im Himalaja. Aus den trüben, düsteren Gewässern von Loch Ness erhob ein Ungeheuer – vielleicht ein gewaltiges Relikt aus den Tagen der Dinosaurier – bedrohlich seinen Kopf.

Man möchte fast nostalgisch werden. Belegbarkeit ist der Tod des Verwunschenen, und sie hat den Wackelbildern den Garaus gemacht. Seit Handys noch im letzten Kaff den Luftraum überwachen, haben sich die Ufos zu diskreteren Planeten verkrümelt. Auf der Suche nach dem Schneemensch hatte selbst der unermüdliche Reinhold Messner irgendwann keine Lust mehr. Und ach, Nessie... Wenn es dich wirklich gäbe, hättest du ein paar Millionen Follower auf YouTube.

Im Bermudadreieck verschwanden Schiffe und Flugzeuge zuhauf auf geheimnisvolle Weise – tragisch für die Besatzungen, ertragreich für Bestsellerautoren wie Erich von Däniken, die das Tor zu einer fremden Dimension dahinter witterten. Immerhin ist das, was Forscher inzwischen als des Rätsels Lösung präsentieren, wenigstens ein bisschen geheimnisvoll: Monsterwellen werden längst nicht mehr als Seemansgarn abgetan. Die Wetterlagen im Bermudadreieck fördern das Auftreten der Riesenwogen. In der Mitte zwischen solch gigantischen Wasserbergen wird das Wellental so tief, dass ein großes Schiff "durchhängt" – und an den auftretenden Kräften zerbricht.

So simulierten es Meeresforscher in Southampton, und es erklärt, wie Ozeanriesen binnen Minuten spurlos in den Tiefen verschwinden können. Den verbliebenen Grusel bringen dann die Spaßbremsen aus der Versicherungsbranche zur Strecke. Die haben ausgerechnet, dass die Quote des Verschwindens im Bermudadreieck nicht höher ist als irgendwo sonst. Wir können also völlig, restlos, umfassend beruhigt sein. Nessie, bitte komm zurück!

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WAS AMÜSIERT MICH?

Die Männer vom Bau: sensible, mitfühlende, bei der Arbeit geradezu zärtliche Mitmenschen. Wussten Sie, klar. Dann sind Sie vielleicht ein Bauarbeiter? Für alle anderen: hier ist der Videobeweis. Aber wer würde nicht hinwegschmelzen, wenn er in so hübsche, kreisrunde, riesige und sehr, sehr gelbe Augen schaut? Sie doch auch!

Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in die Woche.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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