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Coronavirus in Deutschland – wenn die Ausgangssperre kommt


Was heute wichtig ist
Wenn die Ausgangssperre kommt

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 18.03.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Wartende vor einem Supermarkt in Barcelona müssen in einer Schlange Abstand halten. In ganz Spanien gilt eine zweiwöchige Ausgangssperre. Vorräte einzukaufen ist erlaubt.Vergrößern des Bildes
Wartende vor einem Supermarkt in Barcelona müssen in einer Schlange Abstand halten. In ganz Spanien gilt eine zweiwöchige Ausgangssperre. Vorräte einzukaufen ist erlaubt. (Quelle: Emilio Morenatti/AP/dpa)

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Hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Welt kämpft gegen ein hochgefährliches Virus, aber viele Menschen nehmen die Bedrohung immer noch auf die leichte Schulter. Manch notorisch übellauniger Morning-Briefing-Autor polemisiert gegen Merkel, Söder, Macron und andere Spitzenpolitiker. In normalen Zeiten kritisiert man sie als führungsschwach – nun zeigen sie angesichts der Corona-Krise endlich mal Führungsstärke, also kritisiert man sie halt dafür. So ist das mit dem "Thesenjournalismus": Er nimmt immer jene Position ein, die dem Autor größtmögliche Befriedigung und größtmöglichen Beifall aus den Schmuddelecken des Internets verschafft. Brrr!

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Aber auch draußen in der realen Welt haben viele Leute den Ernst der Lage noch nicht begriffen. Ein kurzer Rundblick in einer deutschen Großstadt gestern Nachmittag: In einem Straßencafé sitzen betagte Damen und lassen sich ihren Cappuccino bringen. Nebenan klampft ein Straßenmusikant. Ein Trödler, der nach Maßgabe der Bundesregierung eigentlich seinen Laden hätte schließen müssen, wirbt mit Billigpreisen. Ein Herrenausstatter bittet Kunden auf einem Schild darum, laut zu klopfen, um eingelassen zu werden. Währenddessen in einer anderen Großstadt: Menschentrauben hocken in Cafés und Parks, genießen die erste Frühlingssonne. Zu normalen Zeiten würde man sie ihnen gönnen. Aber die Zeiten sind nicht normal.

Das Verhalten vieler Bürger ist nicht nur leichtsinnig. Es ist eine mutwillige Gefährdung anderer Menschen, die von dem Virus angesteckt werden könnten. Dabei kann jeder, der es begreifen will, in drei Minuten verstehen, wie gefährlich so ein Verhalten ist. Dafür reicht es schon, zum Beispiel diese kurze Animation meiner Kollegen Arno Wölk und Jerome Baldowski anzusehen: Sie zeigt, wie sich Sozialkontakte auf die Verbreitung des Coronavirus auswirken – ohne, mit begrenzten sowie mit rigorosen Einschränkungen. Falls Sie heute nur Zeit für einen einzigen Artikel haben, es sollte dieser sein.

Gestern Abend dann kamen die Eilmeldungen Schlag auf Schlag: +++ 20.22 Uhr: Binnen 24 Stunden 345 weitere Corona-Todesfälle in Italien +++ 20.32 Uhr: Sechster Todesfall in Baden-Württemberg +++ 21.01 Uhr: Erster Todesfall durch Coronavirus in Hessen +++ 22.41 Uhr: Erstes Corona-Todesopfer in Schleswig-Holstein +++ (mehr)

Jetzt zählt jede Stunde. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat das verstanden. Er fordert im Kampf gegen das Virus ein noch schnelleres und entschlosseneres Handeln von Bund und Ländern: "Ich glaube, wir brauchen ein Stück mehr Tempo in der deutschen Politik." Wie recht er damit hat, verdeutlicht diese Grafik meiner Kollegen von Statista:

Und diese Grafik zeigt, wie sich die Gefahr bannen lässt, indem man rigoros handelt, wie es nach anfänglichem Zögern die Behörden in China getan haben:

Noch aber nimmt die Zahl der Infektionen hierzulande sprunghaft zu – und droht so, unser Gesundheitssystem schon bald in eine ähnlich prekäre Lage zu bringen wie das in Oberitalien.

Italienische Wissenschaftler appellieren an uns, schneller und strikter als bisher zu reagieren: "Unterschätzen Sie nicht die Gefahr. Italien hat das eine Woche lang getan", sagt Roberto Burioni, einer der bekanntesten Virologen Italiens. "Deutschland braucht eine Vollbremsung, einen Lockdown, mindestens so, wie ihn Italien jetzt hat", fordert Stephan Ortner, Direktor des Forschungsinstituts Eurac Research in Bozen. "Wenn Deutschland das nicht sofort macht, bekommt man auch dort die Zahlen nicht mehr in den Griff." Und er warnt uns: "Halbherzige Maßnahmen schaden jetzt mehr, als sie nützen. Je länger man mit der Ausgangssperre wartet, desto mehr Leute werden dann, wenn sie kommt, schon infiziert sein und in Wohnungen weitere anstecken."

Zu viele Menschen in unserem Land sind nicht bereit, den Empfehlungen der Bundesregierung Folge zu leisten. Dagegen hilft nicht gutes Zureden, dagegen hilft nur eine von Polizei und Bundeswehr durchgesetzte Ausgangssperre wie in Italien, Spanien, Frankreich, Belgien. Bundesweit einheitlich und zentral aus Berlin gesteuert, statt im föderalistischen Klein-Klein zerfleddert. Formal braucht es dafür die Ausrufung des nationalen Notstands. Es ist höchste Zeit. Jetzt.


Immerhin einen Notfallplan haben sich die Bundesregierung und die Bundesländer schon ausgedacht: Reha-Zentren, Hotels und Hallen sollen umfunktioniert werden. Wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 braucht man zur Bewältigung des kommenden Ansturms nämlich viel Platz. Diesmal allerdings werden es Bewohner unseres eigenen Landes sein, die ihr Zuhause verlassen und ein anderes Dach über dem Kopf brauchen – weil sie an Covid-19 zu schwer erkrankt sind, um im eigenen Heim ohne medizinische Betreuung zu genesen. So viele sind zu erwarten, dass man sortieren und Prioritäten setzen muss. Die leichtesten Fälle finden zur Not auch in Mehrzweckhallen Platz. Wenn der Andrang groß ist, gibt es die Eintrittskarte für ein echtes Krankenhaus nur noch für ernste Krankheitsverläufe.

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Für diese Patienten sollen die bestehenden Kapazitäten auf der Intensivstation durch provisorische Einrichtungen verdoppelt werden. Nach den erforderlichen Betten und Gerät, heißt es in dem Plan, solle man bitte auch mal im Krankenhauskeller schauen. Das ist leider kein Witz. Was man im Keller allerdings nicht finden wird, sind ausgebildete Pflegekräfte, an denen herrscht sowieso schon Mangel. Aber jede Hand wird gebraucht, denn das Coronavirus trifft einen von fünf Erkrankten so schwer, dass es ohne Krankenhaus – oder Hotel, Reha-Einrichtung, zur Not eben auch irgendeine Halle – nicht gehen wird.

Das deutsche Gesundheitssystem ist gut aufgestellt, haben Gesundheitsminister Spahn und seine Kollegen aus den Ländern in jedes verfügbare Mikrofon gesagt, und das mag im internationalen Vergleich sogar stimmen. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass es, wenn eine Epidemie wie Covid-19 ihre wahre Wucht entfaltet, eine solche Kategorie eigentlich nicht mehr gibt. Kein Gesundheitssystem hält routinemäßig so große Überkapazitäten vor, dass eskalierende Fallzahlen aufgefangen werden könnten, ohne dass an allen Ecken und Enden improvisiert wird und im Krankenhaus jeder, der Beine hat, arbeitet bis zum Umfallen. So, wie es in Italien schon jetzt Realität ist.

Es ist nicht einmal das Ziel der Notfallplanung, diese Überbelastung zu verhindern. Denn das geht nicht. Verhindert werden soll stattdessen, dass die Ärzte in Deutschland auf Intensivstationen, wo die Patienten auf den Gängen liegen, dieselben Entscheidungen treffen müssen wie jetzt ihre Kollegen in Italien: nämlich, wer das Beatmungsgerät bekommt. Und wer nicht. Wer stirbt.

Doch die Mediziner auf Station haben das Heft des Handelns gar nicht selbst in der Hand. Sie müssen eine Weichenstellung ausbaden, für die sie nicht verantwortlich sind. Diese Weichen stellen wir. Jeder einzelne von uns, und zwar jetzt. Darüber, wie groß die Welle sein wird, die über Ärzte und Pflegekräfte hereinbricht, wird lange vorher das Urteil gefällt. Es gehört zu den seltsamen, nicht intuitiven Eigenschaften der Epidemie, dass kleine Veränderungen im Vorfeld nur wenige Wochen später zu einem radikal anderen Ergebnis führen – in blindem Gehorsam den Gesetzen der Mathematik folgend, nach denen exponentielles Wachstum zu Beginn kinderleicht und später nur noch mit extremen Maßnahmen beeinflusst werden kann.

Gewiss, das Virus kann auf Türgriffen, Geländern, Handy-Oberflächen lauern – aber vor allem schleicht es sich bei persönlichen Begegnungen von Mensch zu Mensch heran. Über die Verbreitung der Krankheit – und darüber, auf welcher Seite des schmalen Grats zwischen Kontrolle und Katastrophe wir landen – entscheidet deshalb nur ein einziges Kriterium: ob wir jeden nicht zwingend erforderlichen Kontakt mit unseren Mitmenschen jetzt vermeiden, oder ob wir uns immer noch Freiheiten erlauben. Für die Freiheiten werden wir teuer bezahlen. Jedenfalls jene von uns, die um Atem ringen und auf einen weißen, abgenutzten Schutzanzug schauen werden. In dem jemand steckt, der uns das Beatmungsgerät geben kann und einen anderen dafür sterben lassen muss. Oder dem nichts anderes übrig bleibt, als sich abzuwenden. Das sollte man bedenken, wenn man für heute Abend, für morgen oder für das kommende Wochenende seine Verabredungen mit Freunden und Bekannten trifft. Die Weichen stellen wir. Hier und jetzt.


WAS STEHT AN?

In Wahrheit steht heute nur ein wichtiges Thema an: Die Bundesregierung muss schnellstens konsequent durchsetzen, dass sich sämtliche Bürger an die Schutzvorkehrungen halten. Jetzt.


WAS LESEN UND ANHÖREN?

Sehen Sie es mir bitte nach, aber auch heute empfehle ich Ihnen mehrere Beiträge zum Coronavirus:

Viele Menschen haben jetzt Fragen. Wissenschaftler können Antworten geben – und sie tun das ab sofort jeden Tag im Podcast "Tonspur Wissen" bei t-online.de. Unsere Moderatorin Ursula Weidenfeld spricht mit Experten aus dem Netzwerk der Leibniz Gemeinschaft: Virologen, Ökonomen, Psychologen, Historiker. "Wir alle müssen für die Corona-Folgen zahlen", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher in der ersten Folge. Hier können Sie ihn hören und kostenlos abonnieren.

Ab sofort erscheint "Tonspur Wissen" zum Coronavirus montags bis freitags, immer am Morgen, pünktlich mit dem Tagesanbruch. Sie finden die neuesten Folgen auch bei t-online.de und auf allen Plattformen wie Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Deezer und in allen Podcast-Apps. Mit einem kostenlosen Abonnement verpassen sie keine Ausgabe.


Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie lassen sich kaum abschätzen. Klar ist aber schon jetzt: Viele Firmen werden pleitegehen. Warum das im Einzelfall tragisch, für die gesamte Wirtschaft aber gar nicht so schlimm ist, auch das erklärt Ihnen Ursula Weidenfeld.


Hätten Sie vor vier Wochen gedacht, dass Menschen wegen Klopapier handgreiflich werden? Ich auch nicht. Ist aber so, zumindest in Einzelfällen. Die absurden Szenen aus Supermärkten haben meine Video-Kollegen Arno Wölk und Martin Trotz für Sie zusammengestellt.


Wie in den Supermärkten gilt auch in Deutschlands Apotheken: Keine Panik, es ist genug für alle da! Arzneimittelengpässe gibt es nicht. Trotzdem bereiten sich die Apotheken auf die Krise vor – zum Beispiel mit Zutrittsbeschränkungen. Unser Wirtschaftschef Florian Schmidt kennt die Details.


Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Covid-19 auch in den Flüchtlingslagern in Griechenland ausbricht. Uns steht eine beispiellose Katastrophe bevor, sagt der EU-Parlamentarier Erik Marquardt (Grüne) im Interview mit meiner Kollegin Madeleine Janssen.


So, und jetzt doch noch was ohne Corona: Laura Karasek, die Tochter des verstorbenen Literaturkritikers Hellmuth Karasek, moderiert eine eigene Show und schreibt leidenschaftlich gern Bücher. Mit meiner Kollegin Janna Halbroth hat sie über bedingungslose Liebe und bewundernswerte Frauen gesprochen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ja, man könnte jetzt noch allerhand tun.

Und weil wir es alle nötig haben, spendiere ich Ihnen heute noch einen zweiten Cartoon:

In diesem Sinne ist hier und jetzt Schluss: Ich wünsche Ihnen trotz der Krise einen schönen Tag. Bleiben Sie gesund!

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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