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Nach Markus Söders Test-Patzer: Machtkampf in CDU/CSU wird wieder spannend


Was heute wichtig ist
Es wird wieder spannend

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.08.2020Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Markus Söder muss im Corona-Krisenmanagement Fehler einräumen.Vergrößern des Bildes
Markus Söder muss im Corona-Krisenmanagement Fehler einräumen. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es lief alles so gut für ihn. Die anderen schossen sich mit Fehlern selbst ins Aus – er glänzte neben der Kanzlerin als kompetenter Krisenmanager, kletterte in die Umfrage-Stratosphäre und sah von dort oben gönnerhaft dem kleinen Armin, dem bemühten Jens und den beiden anderen zu, wie hießen sie noch gleich, ach ja, Friedrich und Norbert, wie sie sich abmühten. Hätte man noch vor einer Woche die Deutschen direkt abstimmen lassen, wer als Merkels Nachfolger ins Kanzleramt einziehen soll, die Mehrheit hätte wohl "Markus Söder!" gerufen.

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Seit gestern dürften viele ins Grübeln geraten sein. Die Probleme bei der Auswertung von mehr als 85.000 Corona-Tests in Bayern sind mit dem Wort "Panne" unzureichend beschrieben. Es ist ein Debakel. Ganz fix sollte der Aufbau des Testsystems starten, der Ministerpräsident persönlich verfügte, dass es von heute auf morgen loszugehen habe. Also ging es los. Also kamen die Reisenden. Also ließen sie sich testen. Und dann? Chaos. Der vom Landesvater mit vielen schönen Worten im Scheinwerferlicht verkündete Ablauf funktionierte vorne und hinten nicht. 44.000 Menschen mussten eine Woche oder länger auf ihren Befund warten – darunter auch 900 Personen, deren Corona-Test positiv ausgefallen war: Sie bewegten sich weiter fröhlich durch Deutschland, während sie ansteckend waren und damit ein akutes Gesundheitsrisiko für andere Leute darstellten.

Warum dauerte das so lange? Weil die Getesteten an Autobahnraststätten und Bahnhöfen Name, Anschrift und Telefonnummer per Kugelschreiber oder Bleistift in Formulare notieren mussten – die dann wiederum von Ehrenamtlichen des Roten Kreuzes mit den Rachenprobennummern abgeglichen und abgetippt wurden. Einzeln. Zehntausende Formulare. Zahlendreher bei der Handynummer? Unleserliche Handschrift? Sie können sich denken, wo das endete. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) sah dem Treiben sichtlich überfordert zu, ihr Chef unterschätzte das Problem und begnügte sich nach ersten kritischen Presseberichten mit einem bedauernden Tweet. Natürlich wie üblich mit einer Prise Eigen-PR versehen: Besuch an der Waterkant abgesagt, denn "Bayern geht vor."

Dass diese schnoddrige Reaktion keine gute Idee war, konnte Herr Söder spätestens gestern Morgen beim Blick in die Zeitungen und ins Internet feststellen: Da brandeten ihm harsche Kritik, Zweifel an seinen Führungsqualitäten, scharfe Angriffe der Opposition, aber auch Verwunderung aus den eigenen Reihen entgegen. Es dauerte bis zum späten Nachmittag, ehe sich der CSU-Chef soweit berappelt hatte, dass er sich vor die Presse traute. Dort konnte er seinen Ärger dann gar nicht oft genug betonen: "hoch ärgerlich", "sehr ärgerlich", "sehr, sehr ärgerlich", "wirklich sehr ärgerlich" sei der Fall. "Für mich ist klar: Das ist ein Fehler, und zwar kein kleiner, sondern ein schwerer."

Während man dieser ministerpräsidentiellen Abbitte lauschte, konnte man sich unweigerlich fragen, warum der Regierungschef das zweimalige Rücktrittsangebot seiner Gesundheitsministerin eigentlich nicht angenommen hat. Söder nannte zwei Gründe: Erstens habe "die Melanie" nicht persönlich gepatzt, sondern die "Panne" nur zu verantworten. Eine ebenso lapidare wie taktisch geschickte Wendung: Man erklärt das Problem zum Problemchen, wälzt die Verantwortung auf die Untergebene ab und sieht großzügig darüber hinweg, dass Leute schon aus nichtigeren Gründen zurückgetreten sind. Zweitens befand Herr Söder, gehöre es "in schwierigen Zeiten dazu, dass man sich unterhakt: Fehler geschehen, müssen aufgeklärt werden und dürfen sich nicht wiederholen". Auch diese Feststellung ist in ihrer bewundernswerten Schlichtheit geradezu genial. Denn wer wollte da widersprechen? Wer würde noch mutmaßen, dass der wahre Grund für seinen Langmut mit der strauchelnden Kollegin ein ganz anderer sein dürfte? Markus Söders Machtsystem beruht unter anderem darauf, dass er sein Kabinett mit schwachen Ministern besetzt. Denn zwischen Zwergen kann der Sonnenkönig umso heller strahlen. So gesehen ist Frau Humls Organisationsdebakel die Garantie für ihre Weiterbeschäftigung.

Noch wichtiger sind aber drei andere Erkenntnisse aus dem bayerischen Corona-Test-Flop.

Erstens: Die bürokratischen Prozesse sind in Deutschland vielerorts hoffnungslos veraltet. Wenn das halbe Land wegen Bleistiften und Kugelschreibern in Aufregung geraten muss, stimmt grundsätzlich etwas nicht. Hätten wir eine voll digitalisierte Verwaltung mit einem effizienten Gesundheitsdaten-Management oder wenigstens einer einheitlichen Bürger-ID, wie beispielsweise in Estland, wäre der Fehler ebenso wenig passiert wie viele andere Verzögerungen, Versäumnisse und Umständlichkeiten in deutschen Behörden.

Zweitens: In Corona-Krisenzeiten liegen Licht und Schatten, Erfolg und Rückschlag, Ruhm und Schande nah beieinander. Das Virus ist tückisch, und der Umgang mit ihm ist es erst recht. Das bekommen die Krisenmanager täglich zu spüren – egal, ob sie Spahn (verbummeltes Konzept für Urlaubsrückkehrer), Braun (Fehler in der Corona-App), Laschet (verfrühte Lockerungen) oder eben Söder heißen. Wer eben noch hochgejubelt wurde, kann im nächsten Moment böse auf die Nase fallen. Die Lehre daraus ist: frühzeitig Pläne machen, schnell kommunizieren und lieber zu wenig als zu viel versprechen.

Drittens: Die Kanzlerkandidatur in der Union ist offener als je zuvor. Markus Söder mag sich einige Wochen lang im Umfragehoch gesonnt haben, aber das heißt noch lange nicht, dass er in gut einem Jahr die Bundestagswahl gewinnen könnte. Armin Laschet hat zu Beginn der Krise gepatzt, rudert nun aber wieder ins Rampenlicht zurück und beweist Gespür für relevante Themen: Während König Markus sich auf Kutschfahrt mit der Kanzlerin abzulichten beliebte, stürzte sich Laschet ins Getümmel des Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Das Signal: Dort muss man Europas drängende Probleme lösen, nicht unter Goldstuck im Spiegelsaal auf Herrenchiemsee. Jens Spahn wiederum wird Herrn Laschets Comebackversuch mit gemischten Gefühlen beobachten. Bisher hat er sich seinem Tandem-Chef untergeordnet, aber die Rufer, die ihn zum Kandidaten küren wollen, werden lauter. In den Umfragen ist er nach Kanzlerin Merkel der beliebteste CDU-Politiker. Und Friedrich Merz? Der musste sich nach seinen beiden Interviews auf t-online.de viel Kritik anhören. Vor allem seine Forderung, Deutschlands Schulen ruck, zuck zu digitalisieren, erntete Spott von FDPlern, Grünen und Bedenkenträgern. Er wird es gern gehört haben: Viel Feind, viel Ehr.

Fazit: Es ist noch alles offen im großen Kandidatenrennen der Union. Es wird wieder spannend, und sogar ein Überraschungscoup ist noch möglich. Apropos: Was macht eigentlich Daniel Günther?

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WAS STEHT AN?

Es war schon fast unter Kontrolle, aber immer wieder gibt es neue Hotspots, rund um den Globus. Erst breitet es sich schleichend aus, dann folgt ein plötzlicher Ausbruch. Nein, wir reden nicht über ein Virus. Sondern über die Aktivität einer Gruppe, die wir fast schon für Geschichte hielten: die Terrororganisation "Islamischer Staat".

Für uns in Europa ist es zunächst beruhigend, dass wir die neuesten Orte der Gewalt erst einmal nachschlagen müssen. Cabo Delgado? Eine vernachlässigte Provinz im abgelegenen Norden Mosambiks, einem der ärmsten Länder der Welt. Mocimboa da Praia? Ein Hafenstädtchen ebendort. Über ihm weht seit vorgestern die schwarze Fahne des IS. Die Nachricht aus der finstersten Provinz werden nicht nur Anhänger der Organisation, sondern auch einige Träger sehr teurer Anzüge aufmerksam zur Kenntnis genommen haben. Denn nicht weit entfernt, vor der Küste des Landes, befinden sich riesige Gasvorkommen, deren Ausbeutung von internationalen Ölkonzernen wie Total und ENI mit Milliardeninvestitionen vorbereitet wird.

Auf den ersten Blick spielt sich in Cabo Delgado dieselbe Geschichte ab, die uns schon oft begegnet ist: arme Bevölkerung, abgehängte Jugendliche, keine Arbeit. Direkt vor der Nase: große Konzerne, großes Geld. Eine muslimische Bevölkerung, die von der katholischen Mehrheit des Landes als rückständig verachtet und zur leichten Beute muslimischer Hassprediger gemacht wird. Die örtliche Terrorgruppe tritt nach und nach immer mutiger auf, terrorisiert die Bevölkerung, erzwingt Unterstützung. Polizei und Regierungstruppen schlagen brutal zurück. Festnahmen ohne Sinn und Verstand, Misshandlung Unschuldiger. Unbezahlte und mies ausgerüstete Wehrpflichtige werden gegen die Islamisten in aussichtslose Gefechte geschickt, sprechen die örtliche Sprache nicht und bewegen sich unter der Bevölkerung wie ein Fremdkörper. Mehr als 100.000 Menschen sind auf der Flucht vor der Gewalt, mindestens tausend sind getötet worden. Es ist das Elend, das wir auch aus anderen Weltgegenden kennen, und es verheißt nichts Gutes.

Aber sobald man ein bisschen an der Oberfläche kratzt, kommt noch eine andere Geschichte zu Tage. Von den fetten Profiten des Gasgeschäfts wird Mosambik kaum etwas abbekommen, und die örtliche Bevölkerung gar nichts. Aber selbst im bitterarmen Cabo Delgado wird kräftig Geld verdient. Heroin, das aus Afghanistan den Weg über den Ozean gefunden hat, wird nach Südafrika weitergeschmuggelt und von dort nach Europa expediert. Es wird Elfenbein verschoben und mit Rubinen gedealt, die das unterentwickelte Land ebenfalls im Überfluss besitzt. Die Schmuggler, so heißt es, haben auf die Dienste der wehrhaften jungen Männer gerne zurückgegriffen. Die militanten Islamisten jedenfalls haben Zulauf nicht nur durch Zwang, Frust und Propaganda bekommen. Es ist ganz simpel: Sie haben Geld und zahlen gut.

Im vergangenen Jahr hat sich die lokale Miliz zum "Islamischen Staat" bekannt. Nun ist die Mini-Guerilla von einst als schlagkräftige Terrorgruppe ins Rampenlicht getreten. Der "Islamische Staat" stellt nur die Parolen und das Logo zur Verfügung – aber er nutzt die Erfolge, die im Sumpf aus Korruption, Schmuggel und Gewalt in seinem Namen errungen werden, um auf allen Propagandakanälen seinen Sieg zu proklamieren und eine einfache Botschaft an Verführbare rund um den Globus zu senden: Wir sind noch da! Wir kommen wieder! Die Orte im fernen Mosambik, von denen kaum einer etwas gehört hatte, gehen deshalb auch uns Europäer etwas an.


WAS LESEN?

Es ist die zentrale Frage der Corona-Pandemie: Wann wird es einen verlässlichen Impfstoff gegen das Virus geben? Statt konkreter Antworten gibt es bislang nur Prognosen. Einige Experten rechnen erst im Frühjahr 2021 mit einem Serum – andere halten es schon Ende dieses Jahres für möglich. Warum die Entwicklung so lange dauert, erklärt Ihnen meine Kollegin Melanie Weiner.


Donald Trump verwendet viel Zeit darauf, die Corona-Lage in den USA schönzureden. Kürzlich bescheinigte der US-Präsident seinem Land trotz steigender Infektionszahlen sogar eine positive Entwicklung in der Pandemie. Moment, oder hat er vielleicht recht? Meine Kollegen Philip Friedrichs und Axel Krüger zeigen Ihnen die überraschenden Erkenntnisse aus Amerika.


Am kommenden Sonntag wäre der unvergleichliche Literatursäufer Charles Bukowski 100 Jahre alt geworden. Vermutlich hatte jede Leseratte eine Phase, in der sie seine Geschichten aus dem prallen Leben verschlang. Das haben wir auch seinem Augsburger Verleger Benno Käsmayr zu verdanken. In der "Süddeutschen Zeitung" erinnert er sich an gemeinsame Drinks und die letzte Lesung.


WAS AMÜSIERT MICH?

Immer gut, einen Plan B zu haben.

Ich wünsche Ihnen einen vergnügten Freitag und dann ein schönes Wochenende. Am Montag schreibt mein Kollege Carsten Werner den Tagesanbruch, ich bin ab Dienstagmorgen wieder für Sie da.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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