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Tagesanbruch: Vor 102 Jahren endete der 1. Weltkrieg – was Europa gelernt hat


Was heute wichtig ist
Dem Menschenfresser ausgeliefert

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 11.11.2020Lesedauer: 6 Min.
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Auf dem Vogesen-Pass Collet du Linge stehen die Grabkreuze unzähliger Soldaten.Vergrößern des Bildes
Auf dem Vogesen-Pass Collet du Linge stehen die Grabkreuze unzähliger Soldaten. (Quelle: imago images)

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Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Sie waren junge Burschen, Anfang oder Mitte zwanzig. Viele von ihnen waren noch grün hinter den Ohren, als sie begeistert an die Front fuhren. Die einen wollten es "den Deutschen zeigen", die anderen wollten "die Franzosen verklopfen" und "die Tommys vermöbeln". Sie riefen "auf in den Kampf, mir juckt die Säbelspitze!" und brüsteten sich: "Viel Feind, viel Ehr!" Als sie dann da waren, an der Front, erstarben ihnen die flotten Sprüche auf den Lippen. Dann starben sie selbst. Sie krepierten in Schützengräben und im Matsch der Schlachtäcker. Neuartige Maschinengewehre mähten in einer Minute ganze Kompanien nieder, Gasgranaten vergifteten Menschen und Tiere zuhauf. Jeder sechste französische, jeder siebte deutsche und jeder achte britische Soldat überlebte das Gemetzel nicht, unzählige weitere verloren Arme, Beine, Ohren, Augen, Kiefer. Auf beiden Seiten ließen auch zahlreiche Intellektuelle ihr Leben, so viele junge Dichter, Musiker und Maler starben, bevor sie mit ihrer Kunst statt mit Blei die Welt erobern konnten. Ein einzelnes Leben zählte nichts in diesem Inferno, die Generäle auf beiden Seiten schwadronierten nur vom "Menschenmaterial", das sie in die "Blutmühle" warfen, um den Gegner "auszubluten".

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Der 21-jährige Student Gerhard Gürtler aus Breslau diente als Artillerist in Flandern. Er schrieb: "Die Erde bebt und zittert wie ein Stück Sülze, Leuchtkugeln erhellen die Dunkelheit mit ihrem weißen, gelben, grünen und roten Licht und lassen die langen, einsamen Pappelstümpfe unheimliche Schatten werfen. Und wir sitzen zwischen Bergen von Munition, teilweise bis zu den Knien im Wasser, und schießen und schießen, während rings um uns Granate um Granate den lehmigen Boden aufwühlt, unsere Stellung zerfetzt, Bäume ausreißt, das Haus hinter uns dem Erdboden gleichmacht und uns mit nassem Dreck bewirft, so dass wir aussehen, als kämen wir aus dem Moorbad. Das Schlachtfeld ist eigentlich nichts anderes als ein ungeheuerlich großer Friedhof." Der Regisseur Sam Mendes hat den Grabenkrieg in Nordfrankreich in seinem Film "1917" eindrücklich visualisiert, jeder erwachsene Europäer sollte ihn anschauen.

Weiter südlich, in den Vogesen, erhebt sich der Hartmannswillerkopf, ein markanter Aussichtspunkt. Die Elsässer nennen ihn bis heute "Berg des Todes" oder "Menschenfresser". Als ich ein kleiner Junge war, zeigte mir mein Großonkel, in dessen Kopf noch eine Kugel aus einem anderen Krieg steckte, die Überreste des Schlachtfelds: Die französischen und deutschen Schützengräben verliefen zum Teil nur drei Meter voneinander entfernt. Dort kämpften die Soldaten um jeden Zentimeter Boden, viermal wechselte die Anhöhe ihren Besatzer. Irgendwann waren 30.000 Männer totgeschossen, aber der Frontverlauf hatte sich nicht geändert.

Am Ende kostete der große Krieg fast zehn Millionen Soldaten das Leben. In den beteiligten Staaten Deutschland, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich und Bulgarien auf der einen Seite sowie Frankreich, Großbritannien, Russland, Serbien, Belgien, Italien, Rumänien, Japan und USA auf der anderen starben weitere sieben Millionen Zivilisten. Erster Weltkrieg hat man das Gemetzel erst später genannt, als Deutschland den nächsten globalen Krieg entfesselt hatte.

Es mag sein, dass Sie vieles von dem, was ich Ihnen heute Morgen berichte, bereits wissen. Oder Sie wollen es lieber gar nicht so genau wissen. Ich erzähle es Ihnen trotzdem. Wenn ich mich in unserer heutigen Welt umgucke und all die Kriege und Konflikte sehe, den wieder erstarkenden Nationalismus und die Geschichtsvergessenheit vieler Leute, dann denke ich: Wir können gar nicht oft genug daran erinnern, wohin Feindseligkeit, Chauvinismus und Größenwahn führen können. Allerdings gehört zur Geschichte des Infernos auch sein Schluss: Heute vor 102 Jahren endete der Erste Weltkrieg mit dem Waffenstillstand von Compiègne. Weite Regionen Europas lagen in Trümmern, noch Schlimmeres sollte bald folgen, aber an diesem Tag kehrte zeitweise der Frieden ein.

Daran habe ich gestern gedacht, als eine Eilmeldung auf meinem Handy bimmelte: Die Staaten der Europäischen Union haben sich mit dem Europaparlament auf den billionenschweren EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre geeinigt. Einige Beobachter halten ihn für einen mauen Kompromiss, manche Journalisten bemängeln, dass immer noch zu wenig Geld in Bildung und Digitalisierung fließe, und ja klar, Ungarn und Polen haben noch Vorbehalte. Mag alles richtig sein. Aber wichtiger ist doch etwas anderes: Inmitten der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten gehen die europäischen Staaten nicht aufeinander los, sondern stehen zusammen. Die EU ist handlungsfähig, und ihre Mitgliedsländer leisten größte Anstrengungen, um die Krise gemeinsam zu überwinden und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich pathetisch klinge, aber ich halte das für eine wunderbare Nachricht. Erst recht heute, an diesem historischen Datum.

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WAS STEHT AN?

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron gedenkt heute Vormittag in einer Zeremonie am Pariser Triumphbogen des Weltkriegsendes. Der 11. November ist in Frankreich ein Feiertag. Die sterblichen Überreste des für seine Schilderungen des Krieges bekannten Schriftstellers Maurice Genevoix werden in die Ruhmeshalle Panthéon überführt. Hier erfahren Sie mehr über Genevoix.


Ebenfalls in Paris wird das Friedensforum eröffnet. Ziel ist es, Staats- und Regierungschefs, Organisationen der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften eine Plattform zum Austausch zu bieten und damit den Frieden voranzubringen. Klasse.


Die EU-Kommissare wollen heute den ausgehandelten Vertrag über den Kauf des Anti-Corona-Impfstoffs von Biontech und Pfizer billigen. Außerdem sollen sie die Kooperation der nationalen Gesundheitsbehörden stärken, denn dabei hat die EU bisher kaum Kompetenzen.


Angela Merkel widmet der Digitalisierung keine große Aufmerksamkeit, hat sich aber einen "Digitalrat" geschaffen, in dem einige kluge Köpfe alles Mögliche besprechen, was später im Regierungshandeln keine Rolle mehr spielt. Heute wollen die Mitglieder sich die Freiheit herausnehmen, dem Bundeskabinett einige Ideen vorzustellen, wie man möglicherweise unter Umständen irgendwann "neue gesellschaftliche Gruppen für Gründungen von Digitalunternehmen gewinnen kann". Vermutlich endet die Initiative ebenso umständlich, wie sie klingt.


In Ungarn tritt eine nächtliche Corona-Ausgangssperre in Kraft: Von 20 bis 5 Uhr dürfen die Bürger ihre Wohnungen nicht verlassen, außerdem müssen alle Gaststätten schließen, Schüler ab der achten Klasse haben nur noch Digitalunterricht.


In Köln und Düsseldorf würde um 11.11 Uhr eigentlich die Karnevalssaison beginnen. Gut, dass es das Wort eigentlich gibt.


WAS LESEN?

Donald Trump geriert sich wie ein beleidigtes Kind und weigert sich, seine Wahlniederlage einzugestehen. Seine Steigbügelhalter in der republikanischen Partei lassen ihn gewähren, wie unser Reporter Johannes Bebermeier aus Washington berichtet. Zwar dürfen wir darauf hoffen, dass der Spuk in einigen Wochen vorbei ist. Trotzdem wird mit Joe Biden als Präsident keinesfalls alles gut. Herr Trump war nur das Symptom eines viel größeren Problems, analysiert mein Kollege Patrick Diekmann.


Die Bedeutung des Impfstoffs von Biontech lässt sich gar nicht hoch genug einschätzen. Warum allein die Aussicht auf eine mögliche Erlösung von der Corona-Pandemie so wichtig für die Wirtschaft ist, erklärt Ihnen unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld.


In Dänemark sollen 17 Millionen Nerze getötet werden, weil die Tierchen ein mutiertes Coronavirus auf den Menschen übertragen. Das zeigt: Wir haben eine Mitschuld an der Pandemie, findet meine Kollegin Sophie Loelke.


Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat einen Podcast gestartet, um das Bewusstsein für die größte Freiheitseinschränkung und Wirtschaftsbedrohung der Welt zu schärfen: die Klimakrise. Welche Fehler sie der Bundesregierung vorwirft, hat sie meinem Kollegen Steven Sowa erzählt.


Fast zweieinhalb Jahre sind seit dem WM-Debakel der deutschen Nationalmannschaft vergangen, und noch immer steht der Bundes-Jogi in der Kritik. Christoph Daum nimmt den Cheftrainer in Schutz: "Er hatte überhaupt keine Chance, seinen Umbruch konsequent durchzuziehen", sagt er im Interview mit meinem Kollegen Dominik Sliskovic.


WAS AMÜSIERT MICH?

Dieses Corona ist doch eine Erfindung der Regierung!!! Woher ich das weiß? Na, schauen Sie doch mal hier!!!! Und klicken Sie auf dem Bild rechts unten den Ton an!!!!!

Ich wünsche Ihnen einen heiteren Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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