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Corona-Krise: Wie die Demokratie durch Korruptionsaffären unterminiert wird


Tagesanbruch
Die Raffzahnfraktion

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.03.2021Lesedauer: 7 Min.
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Alexander Dobrindt und Ralph Brinkhaus: Auf ihrer Bundestagsfraktion lastet der Korruptionsverdacht.Vergrößern des Bildes
Alexander Dobrindt und Ralph Brinkhaus: Auf ihrer Bundestagsfraktion lastet der Korruptionsverdacht. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist Ihr Tagesanbruch, heute geht es um schamlose Volksvertreter, die Gleichstellung von Frauen und Männern und ein brisantes Interview:

WAS WAR?

Sechs Fraktionen hat der Deutsche Bundestag, doch in Wahrheit gibt es noch eine siebte: die Fraktion der Raffzähne. Ihre Mitglieder nutzen ihre Stellung und ihren Einfluss, um sich die Taschen vollzumachen, und kennen dabei keine Skrupel. Drei Abgeordnete stehen nun am Pranger, weil ihre Raffgier aufgeflogen ist. Sie besaßen nicht das Rückgrat, ihre Machenschaften selbst einzugestehen, erst Journalisten vom "Spiegel", der "Süddeutschen Zeitung" und anderen Medien haben sie aufgedeckt: Georg Nüßlein, jahrelanger Strippenzieher der CSU, soll einem Maskenhersteller Zugang zu Bundesministerien verschafft und dafür 660.000 Euro kassiert haben – das riecht nach Korruption. Nikolas Löbel von der CDU soll 250.000 Euro eingestrichen haben, ebenfalls für die Vermittlung eines Maskengeschäfts. Axel Fischer (CDU) soll vom autokratischen Regime in Aserbaidschan, das kürzlich einen Angriffskrieg gegen Armenien angezettelt hat, dafür bezahlt worden sein, die deutsche und die europäische Außenpolitik zu infiltrieren.

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Drei krasse Fälle innerhalb weniger Tage: Nicht nur die Unionsfraktion, auch die Spitzen von CSU und CDU sind in Aufruhr. Der Dreifachskandal erwischt sie zum Auftakt des Superwahljahrs, schon bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am kommenden Sonntag könnte er wichtige Stimmen kosten. Zumal es ja nicht bei den drei Beschuldigten bleibt. Man erinnert sich an Philipp Amthor, den alerten CDU-Bundestagsabgeordneten aus Mecklenburg-Vorpommern, der für eine dubiose Computerfirma lobbyierte und sich dafür Vergünstigungen schmecken ließ. Auch seine Kaltschnäuzigkeit ließ viele Wähler fassungslos zurück.

Nicht alles bleibt im Graubereich der Korruption. Noch mehr Abgeordnete verdienen sich ganz legal nebenbei eine goldene Nase – aber natürlich nutzt auch ihnen dabei ihr Mandat im deutschen Parlament. Die Transparenzorganisation Abgeordnetenwatch veröffentlicht alljährlich die Liste der Top-Kassierer. Eine Auswahl: Peter Ramsauer (CSU) hat in mehreren Jahren mindestens 896.000 Euro neben seiner Tätigkeit als Volksvertreter hinzuverdient. Ulla Schmidt (SPD): 207.500 Euro. Christian Lindner (FDP-Chef): 424.500 Euro. Gregor Gysi (Linkspartei): 470.000 Euro. Tino Chrupalla (AfD-Chef): 402.500 Euro. Im sechsstelligen Bereich sind alle Parteien außer den Grünen vertreten. Selbst wenn man jedem Abgeordneten zugesteht, dass er hier oder da für einen Vortrag, einen Aufsatz, ein Aufsichtsratsmandat oder ein privates Geschäft eine Entlohnung erhält, bleibt bei diesen "nebenher" verdienten Riesensummen ein schaler Beigeschmack. Unabhängig von den oben Genannten stellt sich zudem generell die Frage, ob Abgeordnete wirklich immer unabhängig abstimmen, wenn sie im Bundestag die Hand heben.

Der Bundestag soll das ganze Volk vertreten. Doch in Wahrheit repräsentiert er manche Milieus stärker als andere und manche gar nicht. Die Abgeordneten sollen den Menschen dienen, doch einige erwecken den Eindruck, dass ihr Mandat auch der Auffüllung ihres Portemonnaies dient. Allen voran die CDU/CSU-Fraktion, die in diesen Tagen wie eine Truppe wirkt, in der Amigos und Handaufhalter nach Gutdünken ihre schmierigen Geschäfte machen können. Daran ändern auch die Appelle der Partei- und Fraktionsvorsitzenden wenig, die Herrn Nüßlein und Herrn Löbel aufgefordert haben, ihre Mandate sofort und nicht erst, wie angekündigt, in einigen Monaten niederzulegen. Hätten die Parteivorsitzenden Armin Laschet und Markus Söder, der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ein aufrichtiges Interesse an Transparenz, dann hätten sie längst in ihren Reihen aufgeräumt. Dann hätten sie nicht den soeben beschlossenen Kompromiss zum Lobbyregister verwässert.

So kann das nicht weitergehen. Sowohl im Bundestag als auch in den Bundesministerien braucht es endlich volle Transparenz: Welcher Lobbyist hat an welcher Passage welches Gesetzesentwurfes mitgeschrieben? Welcher Staatssekretär und welcher Abgeordnete hat sich wann genau mit welchem Einflüsterer getroffen und worüber genau gesprochen? Welcher Parlamentarier hat welche Summen von wem bekommen – nicht als abstrakte "Nebenverdienst"-Posten vermerkt, sondern exakt ausgewiesen, mit vollen Namen, Datum, Belegen und konkreter Gegenleistung?

Nüßlein, Löbel und Fischer sind keine Einzelfälle. Sie sind Auswüchse eines undurchsichtigen Gefälligkeitsgestrüpps, das Deutschlands Demokratie unterminiert. Dieses Gestrüpp muss rigoros gelichtet werden, um das Vertrauen in das wichtigste demokratische Gremium des Landes wiederherzustellen. Solange die betreffenden Parteien den Eindruck erwecken, ihnen seien wohlfeile Ankündigungen wichtiger als echte Transparenz, während ihre Vertreter weiter lukrative Deals machen, liegt ein Schatten über dem Parlament und der Regierung. Das ist ein verheerendes Signal, erst recht in einem Superwahljahr. Die Schlüsse daraus muss jeder Wähler selbst ziehen.


Was genau haben Prinz Harry und Herzogin Meghan nun in ihrem ersten Interview erzählt, seit sie ihre royalen Pflichten aufgegeben haben? Meine Kolleginnen Jennifer Doemkes und Maria Bode haben die Nacht durchgemacht, um Sie auf Stand zu bringen. Hier ist ihre Zusammenfassung. Falls Sie sich das vollständige Gespräch zu Gemüte führen wollen: RTL zeigt das Interview heute ab 15 Uhr, Vox ab 22.15 Uhr.


WAS STEHT AN?

Seit 100 Jahren wird am 8. März der Internationale Frauentag begangen – in Berlin seit zwei Jahren als gesetzlicher Feiertag. Dass diese Institution im Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter gerade in Corona-Zeiten wichtig bleibt, liegt auf der Hand: Frauen stellen nicht nur das Gros des Personals in Pflegeberufen und sind deshalb besonderen Belastungen ausgesetzt – sie übernehmen auch zu Hause verstärkt das Homeschooling und die (unbezahlte) Betreuungsarbeit. Eine Studie der Unternehmensberatung PwC kommt zu dem Schluss, dass die Pandemie bereits erzielte Fortschritte bei der Gleichstellung zunichtemacht: "Bis Ende 2021 wird die Situation von berufstätigen Frauen voraussichtlich auf das Niveau von 2017 abfallen", schreiben die Autoren.

Auch das werden die Spitzenpolitiker heute während ihren diversen Veranstaltungen bedenken. Bundespräsident Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender sprechen etwa zum Thema "Digitalisierung ist weiblich!". Vorab diskutieren Expertinnen in fünf digitalen Workshops, auch meine Kollegin Anna Aridzanjan ist dabei. In unserer Redaktion nehmen wir den Frauentag zum Anlass, um unsere neue Serie "Finanzen für Frauen" zu starten. Darin ergründet meine Kollegin Christine Holthoff zum Beispiel, warum Altersarmut oft weiblich ist und wie sich die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließen lässt. Außerdem gibt sie praktische Tipps für die Geldanlage. Den Auftaktartikel lesen Sie hier.

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Jeder Bundesbürger soll nun einmal pro Woche einen kostenlosen Corona-Schnelltest angeboten bekommen – auch dann, wenn er keine Symptome hat. Auf einen positiven Befund folgt ein PCR-Test, bei einem negativen Ergebnis erhält der Getestete eine Bescheinigung als Nicht-Infizierter. Diese Strategie soll – neben den Impfungen – die zweite wichtige Voraussetzung für weitere Lockdown-Lockerungen darstellen. Doch jedes Bundesland regelt die Schnelltests anders, vielerorts gibt es noch gar keine. Wer kann sich also ab heute wo testen lassen? Meine Kollegin Sandra Simonsen verschafft Ihnen den Überblick.


Über acht Minuten lang kniete der weiße Polizist auf dem Hals des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd: "Ich kann nicht atmen", flehte der 46-Jährige mehrfach, aber der Beamte Derek Chauvin bohrte sein Knie weiter in Floyds Hals, ignorierte schreiende Passanten. Dann war der auf einem Handyvideo aufgezeichnete Todeskampf vorbei. Die Bilder dieses brutalen Polizeieinsatzes im US-Bundesstaat Minnesota am 25. Mai vergangenen Jahres – Anlass war der Verdacht, Floyd habe mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein Zigaretten gekauft – gingen um die Welt. In den USA lösten sie wochenlange Proteste aus. Entsprechend aufgeladen sind die Erwartungen, wenn heute in Minneapolis der Prozess gegen Derek Chauvin beginnt – das Gericht ist abgeriegelt, die Polizei ist im Großeinsatz, Soldaten der Nationalgarde patrouillieren. Dem inzwischen entlassenen Polizisten, der auf Kaution freikam, wird Mord zweiten Grades ohne Vorsatz vorgeworfen. Darauf stehen bis zu 40 Jahre Haft. Heute werden die Geschworenen ausgewählt, die Hauptverhandlung beginnt am 29. März.


WAS LESEN?

Kim Jong Un, Xi Jinping, Wladimir Putin: Diese Namen nennt Anne Applebaum, wenn man sie nach den gefährlichsten Politikern der Welt fragt. Und von wem geht die größte Gefahr für Deutschland aus? Auch das hat die Historikerin und Pulitzer-Preisträgerin meinen Kollegen Sven Böll und Marc von Lüpke verraten. Ihre brisanten Anmerkungen zur internationalen Politik lesen Sie hier.


Kanzlerin Merkel hat die Corona-Lage gegenwärtig nicht im Griff, und das ganze Land trägt Schaden davon: Der Tagesanbruch vom Samstag hat außerordentlich viele Reaktionen ausgelöst – viele zustimmende und viele anlehnende. Ausdrücklich für alle bedanke ich mich herzlich. Denn das ist ja das Schöne in einer lebendigen Demokratie: dass jeder seine Meinung haben kann und auch die Meinungen anderer Menschen respektiert.


Warum läuft das Impfen in den USA so viel besser als in Deutschland? Deutlich mehr als zwei Millionen Amerikaner bekamen zuletzt pro Tag eine Spritze in den Arm. Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold beschreibt, wie er die amerikanische Impfmaschinerie selbst erlebt hat, und gelangt zu einem klaren Schluss: Die Leistung der USA muss die deutsche Bundesregierung beschämen.


Die SPD hat zwar ihr Wahlprogramm fertiggestellt, aber einen klaren gesellschaftspolitischen Kurs lässt sie weiterhin vermissen. Die Vorsitzende Saskia Esken und der heimliche Vorsitzende Kevin Kühnert gebärden sich als Gesinnungspolizisten und grenzen Veteranen wie Wolfgang Thierse aus; das linke Berliner Milieu ist ihnen wichtiger als eine breite Basis in der Gesamtbevölkerung. So ist die SPD auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, kommentiert Joachim Käppner in der "Süddeutschen Zeitung".


Seit mehr als zwei Jahren präsentiert Ihnen meine Kollegin Svenja Dilcher regelmäßig Allgemeinwissen-Tests auf t-online. Das 100. Quiz ist besonders knifflig: Können Sie die Fragen beantworten, an denen die meisten Leserinnen und Leser gescheitert sind?


WAS AMÜSIERT MICH?

Nicht so leicht, das mit der political correctness.

Ich wünsche Ihnen einen richtig guten Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

Anmerkung: Der Absatz, in dem die Nebenverdienste einzelner Abgeordneter erwähnt werden, wurde nachträglich umformuliert, um klarzustellen, dass es keine Verdachtsmomente gegen die Genannten gibt, sondern sich das Problem möglicher Einflussnahme auf die Entscheidungen von Parlamentariern im Allgemeinen stellt.

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