Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ĂŒbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Die Raffzahnfraktion
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist Ihr Tagesanbruch, heute geht es um schamlose Volksvertreter, die Gleichstellung von Frauen und MĂ€nnern und ein brisantes Interview:
WAS WAR?
Sechs Fraktionen hat der Deutsche Bundestag, doch in Wahrheit gibt es noch eine siebte: die Fraktion der RaffzĂ€hne. Ihre Mitglieder nutzen ihre Stellung und ihren Einfluss, um sich die Taschen vollzumachen, und kennen dabei keine Skrupel. Drei Abgeordnete stehen nun am Pranger, weil ihre Raffgier aufgeflogen ist. Sie besaĂen nicht das RĂŒckgrat, ihre Machenschaften selbst einzugestehen, erst Journalisten vom "Spiegel", der "SĂŒddeutschen Zeitung" und anderen Medien haben sie aufgedeckt: Georg NĂŒĂlein, jahrelanger Strippenzieher der CSU, soll einem Maskenhersteller Zugang zu Bundesministerien verschafft und dafĂŒr 660.000 Euro kassiert haben â das riecht nach Korruption. Nikolas Löbel von der CDU soll 250.000 Euro eingestrichen haben, ebenfalls fĂŒr die Vermittlung eines MaskengeschĂ€fts. Axel Fischer (CDU) soll vom autokratischen Regime in Aserbaidschan, das kĂŒrzlich einen Angriffskrieg gegen Armenien angezettelt hat, dafĂŒr bezahlt worden sein, die deutsche und die europĂ€ische AuĂenpolitik zu infiltrieren.
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Drei krasse FĂ€lle innerhalb weniger Tage: Nicht nur die Unionsfraktion, auch die Spitzen von CSU und CDU sind in Aufruhr. Der Dreifachskandal erwischt sie zum Auftakt des Superwahljahrs, schon bei den Landtagswahlen in Baden-WĂŒrttemberg und Rheinland-Pfalz am kommenden Sonntag könnte er wichtige Stimmen kosten. Zumal es ja nicht bei den drei Beschuldigten bleibt. Man erinnert sich an Philipp Amthor, den alerten CDU-Bundestagsabgeordneten aus Mecklenburg-Vorpommern, der fĂŒr eine dubiose Computerfirma lobbyierte und sich dafĂŒr VergĂŒnstigungen schmecken lieĂ. Auch seine KaltschnĂ€uzigkeit lieĂ viele WĂ€hler fassungslos zurĂŒck.
Nicht alles bleibt im Graubereich der Korruption. Noch mehr Abgeordnete verdienen sich ganz legal nebenbei eine goldene Nase â aber natĂŒrlich nutzt auch ihnen dabei ihr Mandat im deutschen Parlament. Die Transparenzorganisation Abgeordnetenwatch veröffentlicht alljĂ€hrlich die Liste der Top-Kassierer. Eine Auswahl: Peter Ramsauer (CSU) hat in mehreren Jahren mindestens 896.000 Euro neben seiner TĂ€tigkeit als Volksvertreter hinzuverdient. Ulla Schmidt (SPD): 207.500 Euro. Christian Lindner (FDP-Chef): 424.500 Euro. Gregor Gysi (Linkspartei): 470.000 Euro. Tino Chrupalla (AfD-Chef): 402.500 Euro. Im sechsstelligen Bereich sind alle Parteien auĂer den GrĂŒnen vertreten. Selbst wenn man jedem Abgeordneten zugesteht, dass er hier oder da fĂŒr einen Vortrag, einen Aufsatz, ein Aufsichtsratsmandat oder ein privates GeschĂ€ft eine Entlohnung erhĂ€lt, bleibt bei diesen "nebenher" verdienten Riesensummen ein schaler Beigeschmack. UnabhĂ€ngig von den oben Genannten stellt sich zudem generell die Frage, ob Abgeordnete wirklich immer unabhĂ€ngig abstimmen, wenn sie im Bundestag die Hand heben.
Der Bundestag soll das ganze Volk vertreten. Doch in Wahrheit reprĂ€sentiert er manche Milieus stĂ€rker als andere und manche gar nicht. Die Abgeordneten sollen den Menschen dienen, doch einige erwecken den Eindruck, dass ihr Mandat auch der AuffĂŒllung ihres Portemonnaies dient. Allen voran die CDU/CSU-Fraktion, die in diesen Tagen wie eine Truppe wirkt, in der Amigos und Handaufhalter nach GutdĂŒnken ihre schmierigen GeschĂ€fte machen können. Daran Ă€ndern auch die Appelle der Partei- und Fraktionsvorsitzenden wenig, die Herrn NĂŒĂlein und Herrn Löbel aufgefordert haben, ihre Mandate sofort und nicht erst, wie angekĂŒndigt, in einigen Monaten niederzulegen. HĂ€tten die Parteivorsitzenden Armin Laschet und Markus Söder, der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ein aufrichtiges Interesse an Transparenz, dann hĂ€tten sie lĂ€ngst in ihren Reihen aufgerĂ€umt. Dann hĂ€tten sie nicht den soeben beschlossenen Kompromiss zum Lobbyregister verwĂ€ssert.
So kann das nicht weitergehen. Sowohl im Bundestag als auch in den Bundesministerien braucht es endlich volle Transparenz: Welcher Lobbyist hat an welcher Passage welches Gesetzesentwurfes mitgeschrieben? Welcher StaatssekretĂ€r und welcher Abgeordnete hat sich wann genau mit welchem EinflĂŒsterer getroffen und worĂŒber genau gesprochen? Welcher Parlamentarier hat welche Summen von wem bekommen â nicht als abstrakte "Nebenverdienst"-Posten vermerkt, sondern exakt ausgewiesen, mit vollen Namen, Datum, Belegen und konkreter Gegenleistung?
NĂŒĂlein, Löbel und Fischer sind keine EinzelfĂ€lle. Sie sind AuswĂŒchse eines undurchsichtigen GefĂ€lligkeitsgestrĂŒpps, das Deutschlands Demokratie unterminiert. Dieses GestrĂŒpp muss rigoros gelichtet werden, um das Vertrauen in das wichtigste demokratische Gremium des Landes wiederherzustellen. Solange die betreffenden Parteien den Eindruck erwecken, ihnen seien wohlfeile AnkĂŒndigungen wichtiger als echte Transparenz, wĂ€hrend ihre Vertreter weiter lukrative Deals machen, liegt ein Schatten ĂŒber dem Parlament und der Regierung. Das ist ein verheerendes Signal, erst recht in einem Superwahljahr. Die SchlĂŒsse daraus muss jeder WĂ€hler selbst ziehen.
Was genau haben Prinz Harry und Herzogin Meghan nun in ihrem ersten Interview erzĂ€hlt, seit sie ihre royalen Pflichten aufgegeben haben? Meine Kolleginnen Jennifer Doemkes und Maria Bode haben die Nacht durchgemacht, um Sie auf Stand zu bringen. Hier ist ihre Zusammenfassung. Falls Sie sich das vollstĂ€ndige GesprĂ€ch zu GemĂŒte fĂŒhren wollen: RTL zeigt das Interview heute ab 15 Uhr, Vox ab 22.15 Uhr.
WAS STEHT AN?
Seit 100 Jahren wird am 8. MĂ€rz der Internationale Frauentag begangen â in Berlin seit zwei Jahren als gesetzlicher Feiertag. Dass diese Institution im Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter gerade in Corona-Zeiten wichtig bleibt, liegt auf der Hand: Frauen stellen nicht nur das Gros des Personals in Pflegeberufen und sind deshalb besonderen Belastungen ausgesetzt â sie ĂŒbernehmen auch zu Hause verstĂ€rkt das Homeschooling und die (unbezahlte) Betreuungsarbeit. Eine Studie der Unternehmensberatung PwC kommt zu dem Schluss, dass die Pandemie bereits erzielte Fortschritte bei der Gleichstellung zunichtemacht: "Bis Ende 2021 wird die Situation von berufstĂ€tigen Frauen voraussichtlich auf das Niveau von 2017 abfallen", schreiben die Autoren.
Auch das werden die Spitzenpolitiker heute wĂ€hrend ihren diversen Veranstaltungen bedenken. BundesprĂ€sident Steinmeier und seine Frau Elke BĂŒdenbender sprechen etwa zum Thema "Digitalisierung ist weiblich!". Vorab diskutieren Expertinnen in fĂŒnf digitalen Workshops, auch meine Kollegin Anna Aridzanjan ist dabei. In unserer Redaktion nehmen wir den Frauentag zum Anlass, um unsere neue Serie "Finanzen fĂŒr Frauen" zu starten. Darin ergrĂŒndet meine Kollegin Christine Holthoff zum Beispiel, warum Altersarmut oft weiblich ist und wie sich die LohnlĂŒcke zwischen Frauen und MĂ€nnern schlieĂen lĂ€sst. AuĂerdem gibt sie praktische Tipps fĂŒr die Geldanlage. Den Auftaktartikel lesen Sie hier.

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Jeder BundesbĂŒrger soll nun einmal pro Woche einen kostenlosen Corona-Schnelltest angeboten bekommen â auch dann, wenn er keine Symptome hat. Auf einen positiven Befund folgt ein PCR-Test, bei einem negativen Ergebnis erhĂ€lt der Getestete eine Bescheinigung als Nicht-Infizierter. Diese Strategie soll â neben den Impfungen â die zweite wichtige Voraussetzung fĂŒr weitere Lockdown-Lockerungen darstellen. Doch jedes Bundesland regelt die Schnelltests anders, vielerorts gibt es noch gar keine. Wer kann sich also ab heute wo testen lassen? Meine Kollegin Sandra Simonsen verschafft Ihnen den Ăberblick.
Ăber acht Minuten lang kniete der weiĂe Polizist auf dem Hals des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd: "Ich kann nicht atmen", flehte der 46-JĂ€hrige mehrfach, aber der Beamte Derek Chauvin bohrte sein Knie weiter in Floyds Hals, ignorierte schreiende Passanten. Dann war der auf einem Handyvideo aufgezeichnete Todeskampf vorbei. Die Bilder dieses brutalen Polizeieinsatzes im US-Bundesstaat Minnesota am 25. Mai vergangenen Jahres â Anlass war der Verdacht, Floyd habe mit einem gefĂ€lschten 20-Dollar-Schein Zigaretten gekauft â gingen um die Welt. In den USA lösten sie wochenlange Proteste aus. Entsprechend aufgeladen sind die Erwartungen, wenn heute in Minneapolis der Prozess gegen Derek Chauvin beginnt â das Gericht ist abgeriegelt, die Polizei ist im GroĂeinsatz, Soldaten der Nationalgarde patrouillieren. Dem inzwischen entlassenen Polizisten, der auf Kaution freikam, wird Mord zweiten Grades ohne Vorsatz vorgeworfen. Darauf stehen bis zu 40 Jahre Haft. Heute werden die Geschworenen ausgewĂ€hlt, die Hauptverhandlung beginnt am 29. MĂ€rz.
WAS LESEN?
Kim Jong Un, Xi Jinping, Wladimir Putin: Diese Namen nennt Anne Applebaum, wenn man sie nach den gefĂ€hrlichsten Politikern der Welt fragt. Und von wem geht die gröĂte Gefahr fĂŒr Deutschland aus? Auch das hat die Historikerin und Pulitzer-PreistrĂ€gerin meinen Kollegen Sven Böll und Marc von LĂŒpke verraten. Ihre brisanten Anmerkungen zur internationalen Politik lesen Sie hier.
Kanzlerin Merkel hat die Corona-Lage gegenwĂ€rtig nicht im Griff, und das ganze Land trĂ€gt Schaden davon: Der Tagesanbruch vom Samstag hat auĂerordentlich viele Reaktionen ausgelöst â viele zustimmende und viele anlehnende. AusdrĂŒcklich fĂŒr alle bedanke ich mich herzlich. Denn das ist ja das Schöne in einer lebendigen Demokratie: dass jeder seine Meinung haben kann und auch die Meinungen anderer Menschen respektiert.
Warum lÀuft das Impfen in den USA so viel besser als in Deutschland? Deutlich mehr als zwei Millionen Amerikaner bekamen zuletzt pro Tag eine Spritze in den Arm. Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold beschreibt, wie er die amerikanische Impfmaschinerie selbst erlebt hat, und gelangt zu einem klaren Schluss: Die Leistung der USA muss die deutsche Bundesregierung beschÀmen.
Die SPD hat zwar ihr Wahlprogramm fertiggestellt, aber einen klaren gesellschaftspolitischen Kurs lĂ€sst sie weiterhin vermissen. Die Vorsitzende Saskia Esken und der heimliche Vorsitzende Kevin KĂŒhnert gebĂ€rden sich als Gesinnungspolizisten und grenzen Veteranen wie Wolfgang Thierse aus; das linke Berliner Milieu ist ihnen wichtiger als eine breite Basis in der Gesamtbevölkerung. So ist die SPD auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, kommentiert Joachim KĂ€ppner in der "SĂŒddeutschen Zeitung".
Seit mehr als zwei Jahren prĂ€sentiert Ihnen meine Kollegin Svenja Dilcher regelmĂ€Ăig Allgemeinwissen-Tests auf t-online. Das 100. Quiz ist besonders knifflig: Können Sie die Fragen beantworten, an denen die meisten Leserinnen und Leser gescheitert sind?
WAS AMĂSIERT MICH?
Nicht so leicht, das mit der political correctness.
Ich wĂŒnsche Ihnen einen richtig guten Tag.
Herzliche GrĂŒĂe,
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
Anmerkung: Der Absatz, in dem die Nebenverdienste einzelner Abgeordneter erwÀhnt werden, wurde nachtrÀglich umformuliert, um klarzustellen, dass es keine Verdachtsmomente gegen die Genannten gibt, sondern sich das Problem möglicher Einflussnahme auf die Entscheidungen von Parlamentariern im Allgemeinen stellt.
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