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"Ehrenmorde" – Unsere Integrationspolitik gibt sich gefährliche Blößen


Tagesanbruch
Mord. Es ist Mord.

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 12.08.2021Lesedauer: 7 Min.
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Bahnhof Südkreuz in Berlin (Archivbild): Hier sollen die Brüder die Leiche ihrer Schwester in einem Koffer transportiert haben.Vergrößern des Bildes
Bahnhof Südkreuz in Berlin (Archivbild): Hier sollen die Brüder die Leiche ihrer Schwester in einem Koffer transportiert haben. (Quelle: imago-images-bilder)

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Unser Land, unsere Regeln

Ein Reizwort erkennt man schon von Weitem. "Ehrenmord" zum Beispiel. Ehre und Mord gehören nicht mal in denselben Satz, schon gar nicht in denselben Begriff. Skandalöse Verbrechen schwingen in den drei Silben mit, die schlimmsten Auswüchse fehlgeschlagener Integration. Und während wir noch vor Schreck die Augen aufreißen, können wir aus dem Augenwinkel schon die Hetzer erahnen, die sich am rechten Spielfeldrand zur Ausschlachtung des Themas warmlaufen.

Wir wollen diesem seltsamen Begriff lieber ein "sogenannt" voranschicken, damit gar nicht erst jemand auf den Gedanken kommt, die bloße Erwähnung der Ehre mache die Brutalität tolerierbar oder gar ehrenwert. Aber über das Phänomen müssen wir sprechen, denn gerade ist in Berlin eine afghanische Frau einer solchen Tat zum Opfer gefallen. Nun wird sogar darüber debattiert, ob man nicht besser von Femizid sprechen sollte, also der Tötung einer Frau allein aufgrund ihres Geschlechts. Die Berliner Integrationssenatorin Elke Breitenbach jedenfalls wollte zunächst vom "Ehrenmord" nichts hören (bevor sie angesichts des Protests zurückruderte) – zu verharmlosend erschien ihr der Begriff. Wir dürfen ihr eine gute Absicht unterstellen, aber die sogenannten "Ehrenmorde" gehören trotzdem in eine eigene Kategorie. Sie haben nicht automatisch etwas mit Gefühlen wie Eifersucht oder mit häuslicher Gewalt zu tun, in der Männer ihre persönlichen Machtfantasien ausleben, was leider allzu häufig vorkommt und laut Kriminalstatistik zuletzt in einem einzigen Jahr 117 Frauen das Leben gekostet hat. Diese Täter sind übrigens mehrheitlich Deutsche.

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Die "Ehrenmorde" dagegen sind uns hierzulande zum Glück fremd. Im jüngsten Fall waren – mutmaßlich – zwei jüngere Brüder des Opfers eigens aus Bayern nach Berlin gereist, um ihre Schwester zu ermorden. Sie musste allem Anschein nach sterben, weil ihr Lebensstil nicht den Moralvorstellungen der Verdächtigen entsprach. In Deutschland kommen solche Fälle vor, aber sie sind relativ selten: Drei bis zwölf pro Jahr, unter Berücksichtigung der Dunkelziffer, waren es im Schnitt bis 2005. Zu diesem Schluss kommt das Max-Planck-Institut in einer Studie für das Bundeskriminalamt. Ein bemerkenswertes Ergebnis der Untersuchung: Die Täter sind fast immer Migranten der ersten Generation. Unter ihren Kindern und Enkeln, die bereits in Deutschland geboren sind, kommt das Verbrechen so gut wie nicht mehr vor. Anders gesagt: Wer sich an den brutalen "Ehrenkodex" gebunden fühlt, hat ihn selbst aus der Fremde mitgebracht. Hier verkümmert er und verschwindet. Immerhin.

Vielleicht hat es deshalb viel zu lange gedauert, bis die Justiz mit dem Delikt angemessen, nämlich streng, ins Gericht gegangen ist. Vor 1995 ließen die Richter oft Milde walten. Aus heutiger Sicht ist das so schwer zu verstehen, dass wir uns wenigstens der Form halber mit der Logik der nachsichtigen Urteile vertraut machen sollten. Vereinfacht gesagt lautet die so: Die Täter kannten das ja gar nicht anders von zuhause. Wer einen anderen Menschen tötet, muss wenigstens begreifen, dass er Unrecht tut – sonst fehlen die niederen Beweggründe. Ein Urteil des Bundesgerichtshofes hat mit dem übertoleranten Spuk allerdings schon vor einem Vierteljahrhundert Schluss gemacht.

In den Ländern, aus denen die sogenannten "Ehrenmorde" zu uns herüberschwappen, würde man sich auch nur ein wenig solcher Strenge dringend wünschen, aber die Wirklichkeit sieht leider anders aus. In Pakistan, das in der bitteren Disziplin weit vorne liegt, sorgt die Ermordung von Angehörigen der eigenen Familie, die angeblich die Ehre beschmutzt haben, nur selten für Schlagzeilen, und für Gefängnis schon gar nicht. In den verarmten, gewaltgeplagten, waffenstarrenden Regionen entlang der pakistanisch-afghanischen Grenze sind Teenager schon dafür umgebracht worden, dass sie sich mit einem Mitglied des anderen Geschlechts im selben Zimmer aufgehalten haben. Vielleicht haben sie sogar gelacht! Musik gehört! Oder gar ein unschuldiger Kuss? Für die Mädchen kann das den Tod bedeuten, für die beteiligten Jungen mitunter auch.

Diese Geschichten stammen aus einer Welt, deren Lebensverhältnisse von unseren weit entfernt sind, wo Großfamilien, Dorfälteste und Stämme das Sagen haben und sich selbst die Armee nur voll aufmunitioniert hineintraut. Aber es geht auch näher dran. Im reichen Kuwait schlägt der Fluch der vermeintlichen Familienehre zu, in Jordanien, in Saudi-Arabien, und die Liste geht noch lange weiter. Meist wird die mörderische Sitte dem Islam angelastet, tatsächlich ist sie Ausdruck vergifteter regionaler Traditionen. Die Taten häufen sich dort, wo Traditionen am stärksten sind: auf dem Land eher als in der Stadt, jedenfalls, solange die Abwanderung in die Städte die Grenzen nicht verwischt. Die Gesetzgeber trauen sich an die archaischen Vorstellungen nicht heran. Die meisten betroffenen Staaten bürden den mordenden Verwandten leichtere Strafen als anderen Tätern auf.

Besonders irritierend sind die Erkenntnisse einer Erhebung, die vor zwei Jahren in sechs arabischen Staaten durchgeführt wurde. Demzufolge lehnt zwar eine Mehrheit der Befragten in allen Altersgruppen die sogenannten "Ehrenmorde" klar ab. Aber diejenigen, die das Töten für akzeptabel halten, sind unter den Jüngeren inzwischen häufiger zu finden als in der Generation ihrer Eltern. Über die Gründe können wir nur spekulieren, aber der Einfluss islamistischer Propaganda dürfte dabei eine Rolle spielen. Und die Aktivitäten ultrakonservativer Prediger, die seit Jahrzehnten aus Saudi-Arabien finanziert werden und so ihre extremen Moralvorstellungen unter die Leute bringen.

Der Mord von Berlin erinnert uns aber auch an unsere eigenen Verfehlungen. Es ist schon richtig: Die meisten Migranten verurteilen die brutalen Sitten so wie jeder andere Bürger hierzulande auch. Einige wenige bleiben aber doch, die erst einen raschen, harten Lernprozess durchlaufen müssen. Das geschieht nicht von selbst. Deshalb sollten wir ein Verbrechen wie das in Berlin, so selten es ist, als Warnzeichen dafür betrachten, dass unsere Integrationspolitik sich gefährliche Blößen gibt. Unser Land, unsere Regeln: Das muss jeder verstehen und respektieren. Sorgen wir also dafür, dass diese Botschaft auch bei dem Letzten ankommt. Das sind wir uns schuldig – und der Mehrheit der Eingewanderten, für die das selbstverständlich ist, ebenso.


Ring frei zur ersten Runde

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Eigentlich hätte er schon vor einer Woche durchs malerische Heidelberg spazieren und der badischen Weinstraße einen Besuch abstatten sollen – dann aber fiel dem Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet wohl auf, dass so schöne Wahlkampfbilder, vielleicht mit einem Gläschen Riesling in der Abendsonne, in seiner flutgebeutelten Heimat nicht so gut ankommen könnten. Also wurde der Kampagnenauftakt abgesagt. "Die Bewältigung der Hochwasserkatastrophe hat für Armin Laschet höchste Priorität, ihr wird er auch weiterhin seine volle Aufmerksamkeit widmen", hieß es aus seinem Umfeld. Nun aber ist Herr Laschet in den Wahlkampfring gestiegen: Gestern hat er in Frankfurt am Main Boxhandschuhe übergestreift, heute kämpft er sich durch den Osten: In Dresden steht der Besuch eines Halbleiterherstellers auf dem Programm, in Frankfurt (Oder) besichtigt er die Grenzbrücke und besucht die Europa-Universität Viadrina. Sein Einstieg in den Wahlkampf erscheint bitter nötig: Jüngsten Umfragen zufolge liegen CDU und CSU nur noch bei 23 Prozent, die Grünen verharren bei 20 Prozent, die SPD steigert sich auf 19 Prozent.
Apropos, die Konkurrenz ist heute natürlich auch nicht untätig: Olaf Scholz hat in Hamburg ein Heimspiel, Annalena Baerbock tritt nebenan in Pinneberg auf.


Mazel tov!

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Was amüsiert mich?

Dieser Bahngewerkschafter Weselsky, also echt!

Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Tag. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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