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Die nächste Corona-Welle kommt: Es wird vor allem eine Gruppe treffen


Tagesanbruch
Die nächste Corona-Welle trifft vor allem eine Gruppe

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.09.2021Lesedauer: 7 Min.
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Auf einer Intensivstation in Halle an der Saale werden Covid-19-Patienten behandelt.Vergrößern des Bildes
Auf einer Intensivstation in Halle an der Saale werden Covid-19-Patienten behandelt. (Quelle: Waltraud Grubitzsch/dpa-bilder)

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Es wird noch mal stürmisch

Die Tage werden kürzer, die Gedanken wandern zum Herbst: fallende Blätter, erste Stürme, wir räumen die Gartenmöbel in den Schuppen. "Es stieg aus allen Dingen ein Schmerz und der ging um", dichtete Else Lasker-Schüler einstmals. Dieser Tage denken wir eher an eine andere Erscheinung der Natur, die uns im Herbst heimsucht: an ein Virus. An eine Welle. Da ersetzt Anspannung die Melancholie. Was bringt der Herbst? Bleibt alles gut? Oder wird es noch mal schlimm? Seit Corona unser Leben umgekrempelt hat, sind die Fragen weniger poetisch geworden. Und die Antworten nicht leichter.

Werfen wir also einen Blick auf die Lage und räumen zunächst ein paar Selbstverständlichkeiten aus dem Weg: Wer geimpft ist, ist geschützt und braucht eine gravierende Covid-Erkrankung nicht zu fürchten. Diese Erkenntnis ist inzwischen mit Bergen von Daten untermauert. Man muss das trotzdem noch einmal so deutlich wiederholen, weil das bedrohliche Gemurmel von "Impfdurchbrüchen", "schwindender Immunität" und "Ansteckung trotz Impfung" den einen oder anderen in Verwirrung stürzt. Ja, all das gibt es – aber es bringt Geimpfte nicht in Gefahr. Es bedeutet lediglich: Infizieren kann man sich immer noch, vielleicht begleitet von ein paar kleineren Malaisen. Je länger die Impfung bereits zurückliegt, desto leichter kann das passieren. Aber es ist nicht schlimm. Haken dran.

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Die zweite, leider brutalere Binsenwahrheit: Wer ungeimpft ist, geht gesundheitlich harten Zeiten entgegen. Die Variante Delta ist zwei- bis dreimal so ansteckend wie das ursprüngliche Coronavirus, und obendrein – das ist eine neue Erkenntnis – landen die Infizierten doppelt so oft im Krankenhaus wie bei der gefürchteten Alpha-Variante des letzten Winters. Falls Sie bisher gezögert haben, zumal wenn Sie über Dreißig sind, und um Himmels willen, wenn Sie schon die Fünfzig passiert haben, sollten Sie sich jetzt schleunigst impfen lassen. In der Wissenschaft gibt es kein "Ja, aber" mehr, keine knifflige Abwägung, kein "Vielleicht". Der Konsens ist einhellig: Ohne Impfschutz sollte niemand in den Herbst gehen.

Nachdem das geklärt ist, verlassen wir den Boden des Vertrauten. Denn Delta entfaltet Nebenwirkungen, die unsere gesamte Strategie gegen das Virus betreffen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die ersehnte Herdenimmunität – also der Moment, in dem genug Menschen geimpft sind, um das Virus in unserer Gesellschaft endgültig kaltzustellen – nicht erreichbar ist. Niemals. Selbst wenn so gut wie jeder, der kann, sich den Piks geben lässt. Denn nicht nur ist das Virus ansteckender geworden, was die Quote derer, die für die Herdenimmunität geimpft sein müssen, ohnehin in die Höhe treibt. Es kommt noch heikler: Dem Delta-Virus gelingt es häufiger als seinen Vorgängern, sich in die Geimpften hinein und wieder hinaus zu mogeln, sodass die Kette der Ansteckungen trotz Impfung nicht oft genug unterbrochen wird.

Dieses trübe Gesamtbild wird durch erfreuliche Nachrichten aufgehellt, aber auch verkompliziert: Ja, Geimpfte können ansteckend sein, sie sind es aber immerhin nicht so lange und nicht so stark wie Ungeimpfte. Wer trotz Impfung schnieft und hustet, in dessen Nase und Rachen findet sich viel Virus – sogar genauso viel wie bei denen, die sich der Nadel bisher verweigert haben. Aber die Viren der Geimpften sind mit Antikörpern regelrecht zugekleistert und deshalb viel weniger geeignet, Covid-19 an angehustete Mitmenschen weiterzugeben. Wie viel weniger genau? Tja, das ist leider nicht so einfach zu ermitteln. Am Ende können wir nur feststellen: Die Herdenimmunität ist keine sichere Bank mehr. Die Geimpften bauen voraussichtlich keinen uneinnehmbaren Schutzwall für alle anderen mehr auf. Anders gesagt: Wir müssen uns damit abfinden, dass das Virus früher oder später jeden Ungeimpften erwischt.

Immerhin in einer Hinsicht vereinfacht das die Dinge. Bisher war die Impfung ein Akt der Solidarität, zum Schutz all derer, die auf ihre Spritze noch warten mussten (was nun vorbei ist) – oder die aus medizinischen Gründen dauerhaft verzichten müssen. Doch auch dieser Kreis ist zum Glück kleiner geworden und wird absehbar weiter schrumpfen. Die US-Gesundheitsbehörde empfiehlt die Impfung inzwischen auch in der Schwangerschaft, da es bei Schwangeren und ungeborenen Kindern keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko durch die schützende Spritze, sehr wohl aber durch das attackierende Virus gibt. Gleiches gilt für Stillende. Es kommt also Bewegung in die Sache, auch wenn sich die Kollegen in den deutschen Gremien noch nicht aus der Deckung trauen. An einer anderen wichtigen Front zeichnet sich ab, dass Menschen mit Immunschwäche dem Virus nicht länger ausgeliefert sind, sondern von einer dritten Impfdosis profitieren.

Das Endspiel gegen Corona sieht deshalb ganz einfach aus: Wenn wir nicht länger der Herdenimmunität hinterherlaufen müssen – weil wir es nicht können –, dann ist jeder seines Glückes Schmied. Wer sich impfen will, tut das nicht aus Solidarität, sondern zum Selbstschutz. Und wer nicht will, der badet es eben aus. Die Verblendung mag Impfskeptikern die Gesundheit oder gar das Leben kosten. Aber das ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen und nicht länger eine unsolidarische Unverschämtheit. Die Moralkeule können wir künftig also stecken lassen.

Eine entscheidende Hürde muss unser Land allerdings noch nehmen: Zwar wird sich jeder Ungeimpfte früher oder später infizieren – aber es sollten nicht alle auf einmal sein. Denn wer über 50 Jahre alt und ungeschützt ist, führt sein persönliches Endspiel gegen Covid-19 oft im Krankenhaus. Die Impfquote in dieser Gruppe reicht vorne und hinten nicht aus, um die Intensivstationen vor einem exponentiell wachsenden Ansturm zu schützen. Wenn man dort aber vor lauter Andrang nicht mehr durch die Tür kommt, trifft das auch Unfallopfer, Herzinfarktpatienten, Schwerkranke aller Couleur – und das geht dann doch wieder uns alle etwas an. Auch die jüngeren Ungeimpften tragen ihren Teil zu dieser Misere bei, selbst wenn für sie der Krankenwagen nicht so oft anrücken muss. Anders als alle, die ihren Arm schon für Biontech und Co. hingehalten haben, sind die jungen Zauderer ungebremst infektiös. Die beginnende Herbstwelle ist also das Werk der Ungeschützten. Bei ihnen entsteht sie, bei ihnen kann sie ungehindert wachsen – und bei ihnen muss man der Welle das Wasser abgraben.

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Das wird nicht jedem gefallen. Das Versprechen der Politik, einen Lockdown werde es nicht mehr geben, hat seinen Sinn, gilt aber nicht für alle. Wenn man die Gegenmaßnahmen dort ansetzt, wo das Virus grassiert, werden verschärfte Beschränkungen exklusiv die Ungeimpften treffen. Für sie wird sich das wie ein Aussperren anfühlen: nicht ins Restaurant, nicht zum Konzert, nicht auf die Party. Aber es hilft ja nichts. Erst wenn die Zahl der Zauderer so weit geschrumpft ist, dass wir die Sorge um überfüllte Kliniken vergessen, können auch die verbliebenen Impfboykotteure schalten und walten, wie sie das möchten. Das hält das Gemeinwesen aus. Bis es so weit ist, kann immerhin der Lockdown für alle zum Lock-out der Verursacher zusammenschnurren. Das ist ein großer Schritt nach vorn: Jeder hat die Wahl und trägt die Konsequenzen. Klar, es wird darüber noch mal stürmisch werden. Aber so ist das im Herbst. Ziehen wir uns warm an.


Brüder im Geiste

Reiseziele sind Ansichtssache. Als die Kanzlerkandidaten von CDU/CSU, Grünen und SPD in einem ARD-Interview gefragt wurden, wohin sie im Fall eines Wahlsiegs ihre erste Auslandsreise unternehmen würden, mochte sich Armin Laschet nicht festlegen ("Das würde ich erst dann machen, wenn es so weit ist"). Annalena Baerbock gab als Zielort Brüssel an ("weil deutsche Außenpolitik muss immer eine europäische sein"). Olaf Scholz wollte nach Paris fahren: "Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist zentral dafür, dass wir es schaffen, Europa voranzubringen", erklärte er.

Insofern liegt es nahe, dass der französische Präsident Emmanuel Macron heute zuerst den Finanzminister und Vizekanzler von der SPD im Élysée-Palast empfängt – zwei Tage vor Herrn Laschet, der am Mittwoch nach Paris reist. Gar nicht erst um einen Termin nachgesucht hat dagegen Frau Baerbock: Drei Wochen vor der Entscheidung halte sie es für angemessen, "so viel Zeit wie möglich für den Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zu nutzen, statt für ein Foto nach Paris zu fahren", hieß es dazu von den Grünen.

Neben dem Fototermin stehen heute allerdings noch ein paar andere Punkte auf dem Programm: etwa ein Treffen mit dem französischen Finanzminister Bruno Le Maire, mit dem Olaf Scholz den Corona-Rettungsplan für die EU ersonnen hat. Themen sollen der weitere Kampf gegen die Pandemie, ein Plan für einen internationalen Klimaclub und die Mindestbesteuerung von Unternehmen sein. Minister haben eben noch mehr zu tun als Wahlkämpfer.


Urteil im Schauprozess

Die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa hat vehement gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl im Sommer vergangenen Jahres protestiert. Als das Regime zuschlug, machte die 39-Jährige unverdrossen weiter. Sie wurde verhaftet und sitzt nun seit einem Jahr unter absurden Vorwürfen im Gefängnis. Während sich Diktator Alexander Lukaschenko auf eine Lieferung "modernster Rüstungsgüter" aus Russland und ein gemeinsames Großmanöver mit dem großen Bruder aus Moskau freut, wird heute im Minsker Willkürverfahren die Urteilsverkündung gegen Frau Kolesnikowa und den Anwalt Maxim Snak erwartet. Beiden drohen bis zu zwölf Jahre Haft – und die Proteste aus Deutschland verhallen.


Was lesen?

Rettungsflüge aus Kabul gibt es nicht mehr, nun fordern europäische Politiker gefährdete Afghanen auf, über die Nachbarländer zu fliehen. Doch das kommt einem Trip durch die Hölle gleich. Mein Kollege Patrick Diekmann hat mit Menschen vor Ort gesprochen.


Steuern hoch oder runter? Wenn es ums Geld der Bürger geht, unterscheiden sich die Wahlprogramme der Parteien deutlich. Meine Kollegin Christine Holthoff gibt Ihnen den Überblick.


Weil die Union immer noch im Umfragekeller herumirrt, hat Armin Laschet nun doch ein Unterstützer-Team präsentiert. Die "Süddeutsche Zeitung" hält davon überhaupt nichts.


Was amüsiert mich?

Herr Laschet hat endlich ein Team.

Ich wünsche Ihnen einen dynamischen Wochenbeginn. Morgen schreibt Annika Leister den Tagesanbruch, von mir lesen Sie am Mittwoch wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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