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Vorsondierungen von Grünen und FDP: Bloß nicht Muppetshow


Schwierige Sondierungen
Bloß nicht die aus der Muppetshow


Aktualisiert am 06.10.2021Lesedauer: 6 Min.
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Erste Gesprächsrunde: Nach den Gesprächen zwischen den Grünen und FDP, trafen sich Baerbock und Habeck nun auch mit den Konservativen. (Quelle: reuters)

Die Vorsondierungen sind durch, bald wollen Grüne und FDP entscheiden, mit wem sie regieren. Hat die Union überhaupt noch eine Chance? Oder treiben die Parteien nur ihren Preis für ein Bündnis mit der SPD hoch?

Vielleicht denkt Armin Laschet in diesem Moment: Mir läuft die Zeit davon.

Vielleicht denkt er auch einfach: Es ist vorbei.

Dienstagmittag, kurz nach halb zwei Uhr in Berlin, der Noch-CDU-Chef schaut gen Himmel. Davon trennt ihn allerdings das Dach einer Fabrikhalle, also schaut Laschet an die Decke. Neben ihm stehen Annalena Baerbock, Robert Habeck und Markus Söder auf einer kleinen Bühne, sie geben eine gemeinsame Pressekonferenz. Sie wollen erklären, wie die gerade geführten Gespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition zwischen Grünen und der Union so liefen.

Armin Laschet nimmt den Blick von der Decke und fängt demütig an: "Für uns war noch einmal wichtig: Die CDU und CSU haben diese Wahl nicht gewonnen, wir liegen auf Platz zwei." Es sei im Bezug auf ein Jamaika-Bündnis mit den Grünen "nicht so, dass Gegensätze nicht überwindbar sind".

Als die anderen sprechen, kratzt sich Laschet an der Wange. Wieder geht sein Blick nach oben. Und irgendwann hält er dann seine Hände hinterm Rücken verschränkt, als wäre er ein Grundschüler, der seine Matheprüfung vor der gesamten Klasse ablegen muss.

Armin Laschet weiß wahrscheinlich: Es hätte einen Befreiungsschlag zwischen Grünen und Union gebraucht, um die Chancen für ein Jamaika-Bündnis merklich zu erhöhen. Doch statt eines Befreiungsschlags gab es an diesem Dienstag eher ein vorsichtiges Herantasten. Und vielleicht ist das zu wenig, weil die Ampelkoalition schon seit Tagen als das wahrscheinlichere Szenario für die künftige Bundesregierung gilt. "Ob der weitere Weg so geht", sagt Laschet dann noch über Jamaika, "das entscheiden natürlich FDP und Grüne."

Tiefer kann man kaum in die Knie gehen.

Eine Sache ist klar

Und trotzdem ist an diesem Dienstag nur eine Sache völlig klar: Alle Parteien, die miteinander eine Dreierregierung bilden könnten, haben sich nun zu bilateralen Gesprächen getroffen. Die FDP redete mit den Grünen und der Union, die SPD mit der FDP und den Grünen. Festgelegt haben sich die beiden Königsmacher aber immer noch nicht. Mindestens Dienstag und Mittwoch wollen sie noch nachdenken.

Sonderlich überraschend ist das nicht, denn Grüne und FDP müssen gerade einen komplizierten Balanceakt hinbekommen: Sie wollen so lange wie möglich Verbündete bleiben, damit sie dem größeren Partner gemeinsam möglichst viel abverhandeln können. Denn zusammen sind sie nach der Wahl stärker als Union und SPD alleine – so ihr Argument.

Doch in Wahrheit neigen beide unterschiedlichen Regierungen zu: Die FDP will lieber Jamaika mit der Union, die Grünen lieber die Ampel mit der SPD. Um in einer möglichst guten Verhandlungsposition gegenüber den großen Partnern zu bleiben, dürfen beide ihre Zuneigung nicht zu offen zeigen. Zugleich muss sich irgendwann irgendjemand bewegen, damit sich die SPD nicht am Ende doch an einer großen Koalition mit der Union versucht – und Grüne und FDP plötzlich ganz raus sind.

Es ist also: kompliziert.

Im Abseits

Noch komplizierter macht es ein Tabubruch am Montag. Eigentlich war zwischen allen Verhandlungspartnern Verschwiegenheit vereinbart worden: Erst mal hinter geschlossenen Türen miteinander sprechen, bloß kein öffentlicher Druck, in Ruhe Vertrauen aufbauen. So weit der Plan. Doch am Montagmittag zitierte die "Bild"-Zeitung aus den Gesprächen zwischen FDP und Union vom Wochenende. "Wir haben ein Interesse an Jamaika! Habt Ihr es auch? Wollt Ihr es? Habt Ihr die Nerven? Seid Ihr geschlossen?" Das soll FDP-Chef Christian Lindner CDU und CSU gefragt haben.

In der FDP war der Verursacher schnell ausgemacht. Vize-Parteichef Johannes Vogel beschuldigte auf Twitter die Union, Lindner verbreitete den Tweet weiter und signalisierte dadurch Zustimmung. Wer die Informationen weitergegeben hat, ist bislang unklar: Mancher tippt auf Jens Spahn von der CDU, andere wiederum eher auf das Söder-Lager.

Aber dass überhaupt etwas öffentlich geworden ist, schadet der Verhandlungsposition der Union massiv. So gern man mit CDU und CSU koalieren würde, mit solchen Aktionen manövrierten sie sich selbst ins Abseits, heißt es hinter vorgehaltener Hand in der FDP.

"Verlässlichkeit und Vertrauen"

Auch Annalena Baerbock betont am Dienstag die "besondere Verantwortung" der demokratischen Parteien in dieser Lage, zu der "Verlässlichkeit und Vertrauen" gehöre. Man kann das als eindeutigen Wink interpretieren, dass die Union endlich aufhören soll zu quatschen.

Die Durchstechereien erwähnen Baerbock und Habeck bei der Pressekonferenz mit der Union dann zwar nicht mehr explizit. Alles Wesentliche hatte aber ohnehin schon Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Vormittag gesagt: Die Sache werfe "kein gutes Licht auf die Zustände in der Union", sagte er RTL/n-tv. "Das hat uns schon schwer irritiert."

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Am Mittag bleiben die Grünen betont uneindeutig. Baerbock sagt, man habe "konstruktiv und sachlich" miteinander gesprochen, geprägt "von einer Ernsthaftigkeit". In der Gesellschaftspolitik stünden Union und Grüne "eher weiter auseinander". Bei der Modernisierung des Landes und der ökologischen Transformation gebe es "gemeinsame Anliegen". Gerade Letzteres haben die Grünen immer wieder zur Voraussetzung jeglicher Regierung erklärt.

Habeck verweist auf "Schnittmengen", die ausgelotet worden seien, und auf "Trennendes", das es eben auch gebe. Und dann verweist er noch auf etwas, das dann doch eine Rolle spielt, auch wenn noch nicht klar ist, welche genau. Habeck sagt: "Das Gespräch war von der Ausgangslage geprägt, dass die SPD bei der Wahl vor der Union liegt."

Sie wollen nicht die zwei aus der Muppetshow sein

Mit dem Wahlgewinner, der SPD, haben die Grünen schon am Sonntag gesprochen. Um 20.36 Uhr treten die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil vor die Journalisten. Und es geht gleich suboptimal los.

"Herr Klingbeil beginnt, und dann kommen die beiden von den Grünen ...", kündigt eine SPD-Pressesprecherin das Statement des Trios an. "Die beiden aus der Muppetshow", spottet Baerbock, immerhin grüne Kanzlerkandidatin. Alle lachen, aber alle sind sich wohl auch bewusst, wie wichtig gerade solche Kleinigkeiten sind: Entweder man wird namentlich angekündigt, oder eben nicht.

Die beiden aus der Muppetshow, das sind Waldorf und Statler, die das Geschehen immer von der Tribüne aus kommentieren. Und das wollen die Grünen auf keinen Fall mehr. Sie wollen Augenhöhe, oder zumindest deutlich mehr als das alte Verhältnis von Koch und Kellner, mit dem Gerhard Schröder seine rot-grüne Koalition vor mehr als 20 Jahren beschrieben hatte.

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Hilfreich ist dabei auch nicht, dass die Sozialdemokraten ihren Generalsekretär zum Pressestatement schicken – und nicht wie die Grünen ihre Chefs oder ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Als Habeck danach gefragt wird, sagt er zwar, das sei kein Problem. "Wir nehmen es immer, wie es kommt." Andere werten es aber durchaus als unglückliches Signal.

Besonders Habeck schraubt an diesem Sonntag die Ansprüche an ein Bündnis mit der SPD hoch: Man habe im Gespräch "nach Dynamiken" gesucht, die "über die Schnittmengen hinaus" gehen. Soll heißen: Die vielen inhaltlichen Überschneidungen zwischen Grünen und SPD reichen den Grünen für ein Bündnis nicht aus.

Denn der "große Unterschied" sei ja, sagt Habeck, dass "die SPD seit vielen Jahren in der Regierung ist" – anders als Grüne und FDP. Es ist eine bemerkenswerte Aussage, weil sich Habeck damit über die einstigen Lagergrenzen hinweg mit der FDP verbrüdert, und eben nicht mit der linken SPD. Man habe aber "auch bei der SPD eine Bereitschaft gefunden und festgestellt, tatsächlich noch einmal neu zu starten", um die "liegengebliebenen Probleme lösen zu können", sagt Habeck dann noch. Immerhin.

Doch Euphorie zwischen Wunschpartnern klingt anders. Man will sich eben keinesfalls zu billig verkaufen.

Eine Entscheidung oder auch keine

Am Mittwochmorgen nun werden die verschiedenen Gremien von FDP und Grünen noch einmal getrennt beraten. Bei den Grünen werden sich die erweiterte Sondierungsrunde, der Bundesvorstand und der Parteirat zusammenschalten. Bei der FDP der Bundesvorstand. Ob beide dann gemeinsam eine Entscheidung für Sondierungen verkünden und wie das aussehen könnte, ist noch unklar.

Eigentlich steht noch nicht mal fest, ob es überhaupt eine Entscheidung für Union oder SPD geben wird. In der FDP gilt es als denkbar, eine Jamaika-Koalition und ein Ampel-Bündnis parallel zu verhandeln. So müsste man sich noch gar nicht festlegen und könnte den politischen Preis hochhalten. Getreu dem Motto: Was uns Armin nicht gibt, holen wir uns von Olaf – und machen ihn dafür zum Kanzler. Oder umgekehrt.

Armin Laschet sorgt jedenfalls schon mal für harte Verhandlungen vor – die er mit Unterstützung führen will. In diesen Tagen ist Laschets engster Vertrauter, der NRW-Staatskanzleichef Nathanel Liminiski bei den Verhandlungen aufgekreuzt. Im Bundestagswahlkampf blieb er noch in Düsseldorf und führte, wie aus der Union zu hören ist, die Regierungsgeschäfte in NRW für Laschet.

Doch nach der Pressekonferenz am Dienstag steigt Liminski mit Laschet gemeinsam in einen silbernen Audi. Die Szene wirkt ein wenig, als wolle Laschet sagen: Für dieses Gefecht hole ich sogar meinen wichtigsten Mann.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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