Die Ampel hat keine Zeit mehr
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
Diplomatie ist manchmal widersprΓΌchlich: Das, was ΓΆffentlich von den Verhandlern vieler LΓ€nder gesagt wird, ist die eine Sache. Was dann getan wird, wirkt jedoch bisweilen wie das genaue Gegenteil davon.
Das jΓΌngste Beispiel konnte man erst gestern in Genf erleben. "Wir haben deutlich gemacht, dass wir nicht die europΓ€ische Sicherheit ohne unsere VerbΓΌndeten und Partner diskutieren werden", hatte US-VizeauΓenministerin Wendy Sherman verkΓΌndet β und dann: Sherman traf sich in der Schweiz mit ihrem russischen Kollegen Sergej Rjabkow. Man suchte nach Kompromissen im Ukraine-Konflikt, nachdem Russland bis zu 100.000 Soldaten an der Grenze zusammengezogen hat und im Westen ein Einmarsch befΓΌrchtet wird. Russland wiederum fΓΌhlt sich von der Nato durch die Osterweiterung provoziert. Einen Durchbruch brachten die rund achtstΓΌndigen Verhandlungen nicht: Beide Seiten wollten nicht zurΓΌckweichen. Dabei ist die Lage brisant, sie kΓΆnnte zu einem Krieg in Europa fΓΌhren.
Embed
Es ging gestern also auch um die Sicherheit vor unserer HaustΓΌr. Dennoch waren europΓ€ische oder gar deutsche Vertreter nicht in Genf eingeladen. Die Bundesregierung als respektierte Vermittlerin zwischen Moskau und Kiew wird gegenwΓ€rtig wohl nicht gebraucht. Oder anders formuliert: Sie hat sich noch nicht als brauchbar erwiesen.
Die Ampelkoalition aus SPD, GrΓΌnen und FDP ist auΓenpolitisch unerfahren β im Gegensatz zur bisherigen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihre Stimme hatte weltweit Gewicht. Die Ampel dagegen hat noch nicht einmal eine einheitliche Stimme gefunden, wenn es um Russland und den Ukraine-Konflikt geht. Je nachdem, wen man gerade in den Regierungsparteien fragt, hΓΆrt man ganz unterschiedliche Ideen und Haltungen. Wladimir Putin weiΓ das und testet nun, wie weit er mit seinen Provokationen gehen kann.
Dass die neue Bundesregierung noch nach ihrer Haltung sucht, liegt vor allem an der Gaspipeline Nord Stream 2. Im Wahlkampf hatten die GrΓΌnen deren Baustopp verlangt. Mittlerweile ist die Leitung fertig und wartet auf die letzten Genehmigungen. Bei einer weiteren Eskalation in der Ukraine kΓΆnnte sie diese allerdings nie erhalten. So sieht es etwa Vizekanzler Robert Habeck: Einen "geopolitischen Fehler" hat er das Projekt in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" genannt. Bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine dΓΌrfe es "keine Denkverbote" geben.
Allerdings wird die AuΓenpolitik aus dem Kanzleramt gesteuert, heiΓt es zumindest von der SPD β und dort findet Olaf Scholz zu der UnterwasserrΓΆhre ganz andere Worte. Ein "privatwirtschaftliches Vorhaben" hat der Kanzler die Gasleitung genannt. Und SPD-GeneralsekretΓ€r Kevin KΓΌhnert forderte jΓΌngst, man mΓΌsse jetzt seinen "politischen Frieden" mit dem Projekt machen.
Frieden hΓ€tte auch gerne die Ukraine β doch Russland hindert das Land daran. Das liegt nicht nur an den Tausenden von Soldaten im Grenzgebiet der von Russland annektierten Halbinsel Krim oder dem Krieg mit den russischen Separatisten im Osten des Landes. Russland kann die Ostseepipeline auch als wirtschaftliches Druckmittel gegen die Ukraine nutzen. Denn nur ohne Nord Stream 2 bleibt die Ukraine ein wichtiges Transitland fΓΌr russische Gaslieferungen. Wer diese Perspektive vollstΓ€ndig ausblendet, spielt Wladimir Putin wissentlich in die Karten.
GΓ€nzlich geklΓ€rt haben die Sozialdemokraten ihre Haltung zur Pipeline allerdings noch nicht. Der AuΓenpolitiker Michael Roth sagte dem Deutschlandfunk, bei einer weiteren Eskalation in der Ukraine mΓΌssten "alle Optionen auf den Tisch".
Alle Optionen auf den Tisch bedeutet: Die RΓΆhre kΓΆnnte doch noch beerdigt werden. Das wΓ€re ein Weg, um den Provokationen des Kremls ein rasches Ende zu bereiten. Die Bundesregierung sollte nun schnell ihre Haltung finden.
Holen wir nun auf?
Eine "ErΓΆffnungsbilanz" zum Klimaschutz will Robert Habeck von den GrΓΌnen heute prΓ€sentieren. Bisherige ΓuΓerungen des Wirtschafts- und Klimaschutzministers lassen nichts Gutes vermuten: Deutschland habe einen "drastischen RΓΌckstand" im Kampf gegen die Erderhitzung. Nicht nur 2022 werde Deutschland seine eigenen Klimaziele verfehlen, sondern auch 2023.
Habeck will den Trend umkehren: Mit mehreren SofortmaΓnahmen soll die Kurskorrektur gelingen. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll kΓΌnftig von "ΓΌberragendem ΓΆffentlichen Interesse" sein: Denn bis 2030 soll sich deren Anteil in Deutschland auf 80 Prozent erhΓΆhen. DafΓΌr sollen zwei Prozent der deutschen LandesflΓ€che gesetzlich fΓΌr Windkraft genutzt werden. Ist das realistisch, ist das machbar? Meine Kollegen Lisa Becke und Nils KΓΆgler haben sich den Plan genauer angeschaut. Jedenfalls soll das Paket der Auftakt sein, um das groΓe Ziel der deutschen KlimaneutralitΓ€t bis 2045 zu erreichen. Robert Habeck spricht dabei nicht von einem Marathon, sondern gleich von einem "Ultra-Lauf". Bleibt zu hoffen, dass Deutschland in dem Rennen nicht die Puste ausgeht.
WidersprΓΌche, so weit das Auge reicht
Die "vollstΓ€ndige Ordnung" in seinem erschΓΌtterten Staat sei wiederhergestellt, beteuert Kasachstans PrΓ€sident Tokajew. Heute will er eine Rede im Parlament halten und eine neue Regierung vorschlagen. Von vollstΓ€ndiger Ordnung war allerdings in den vergangenen Tagen trotz vielfΓ€ltiger Beteuerungen nichts zu spΓΌren: Laut offiziellen Angaben kam es durch die Unruhen zu fast 8.000 Festnahmen, der PrΓ€sident erteilte zudem den SchieΓbefehl gegen Demonstranten. Meine Kollegen Carl Exner und Nicolas Lindken haben mit der kasachischen Oppositionspolitikerin Zhanna Bota sprechen kΓΆnnen: Sie erhebt schwere VorwΓΌrfe gegen das Regime. Sollten ihre Angaben stimmen, ist bisher nur ein kleiner Teil des ganzen AusmaΓes der Proteste bekannt.
Was lesen?
Wir haben zwar erst die zweite Januarwoche, doch schon jetzt gibt es die erste Bewerbung fΓΌr die kurioseste Pressekonferenz des Jahres. Familie Djokovic will diesen Titel wohl haben. Denn Papa, Mama und Bruder von Tennis-Superstar Novak Djokovic prΓ€sentierten sich am Montag in Belgrad angriffslustig, als es um das Einreise-Chaos in Australien ging. Meine Kollegen Melanie Muschong und Christoph CΓΆln haben Ihnen dieses denkwΓΌrdige Ereignis hier zusammengefasst.
Die Hinzuverdienstgrenze fΓΌr FrΓΌhrentner soll dauerhaft auf einem hohen Niveau bleiben: Das hatten wir exklusiv recherchiert. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer spricht sich nun dafΓΌr aus, die RentenabschlΓ€ge anzuheben. "Wer vor der Regelaltersgrenze in Rente geht, sollte das stΓ€rker spΓΌren", hat sie meinem Kollegen Mauritius Kloft gesagt.

Erhalten Sie jeden Morgen einen Γberblick ΓΌber die Themen des Tages als Newsletter.
Nach Omikron sorgt die nΓ€chste Corona-Variante fΓΌr Schlagzeilen: Deltakron. Doch Experten hegen Zweifel an dem auf Zypern entdeckten Virus. Meine Kollegin Melanie Rannow hat die Details.
Deutschland ist ΓΌberhastet aus der Atomenergie ausgestiegen. Nun rΓ€chen sich Angela Merkels Fehler, schreibt unser Kolumnist Christoph Schwennicke.
Was amΓΌsiert mich?
Ich wΓΌnsche Ihnen einen schΓΆnen Tag. Morgen schreibt an dieser Stelle wieder Florian Harms fΓΌr Sie.
Herzliche GrΓΌΓe
Ihr
David Schafbuch
Redakteur Politik und Panorama
Twitter @Schubfach
Was denken Sie ΓΌber die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.
Mit Material von dpa und Reuters.
Den tΓ€glichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren.
Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten lesen Sie hier.