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Die nächste Krise: Milliarden Menschen spüren die Folgen dieser Mutlosigkeit


Tagesanbruch
Die nächste Krise

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 04.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Drohnen wie diese können zum Pflanzen neuer Bäume in verbrannten Landschaften eingesetzt werden.Vergrößern des Bildes
Drohnen wie diese können zum Pflanzen neuer Bäume in verbrannten Landschaften eingesetzt werden. (Quelle: AirSeed/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen Stunden verändern sich die politischen Koordinaten so schnell, dass selbst Politiker kaum noch hinterherkommen. Alle starren aufs Handy und verfolgen das Stakkato der Eilmeldungen. Die Nachrichten aus dem ukrainischen Kriegsgebiet überschlagen sich, immer mehr Sanktionen gegen Putins Regime und dessen Profiteure werden verhängt. Die Bundesregierung richtet ihre gesamte Sicherheits- und Energiepolitik neu aus, plötzlich geht vieles, was jahrelang unmöglich erschien. Das ist bemerkenswert, aber es offenbart auch ein großes Problem: In Deutschland sind grundlegende Veränderungen nur dann möglich, wenn eine Tragödie eingetreten ist.

  • Es brauchte erst die Weltfinanzkrise, damit der Staat Zockerbanken und Finanzspekulanten an die regulatorische Leine legte.
  • Erst nach der Ankunft von einer Million Flüchtlingen dämmerte den Deutschen, dass sie sich stärker für die Lösung der Konflikte in Nahost und Nordafrika engagieren müssen, wenn sich dergleichen nicht wiederholen soll.
  • Die Corona-Pandemie hat die krassen Mängel des privatisierten Gesundheitssystems, der vorsintflutlichen Verwaltung und des überbordenden Datenschutzes offengelegt. Die Regierung muss sie mit vielen Milliarden Euro beheben.
  • Erst durch Putins Überfall auf die Ukraine haben die meisten Bürger verstanden, dass die kleingesparte Bundeswehr nicht in der Lage wäre, Deutschland zu verteidigen. Mit einem gigantischen Steuergeldberg soll die Trümmertruppe nun auf Vordermann gebracht werden.
  • Seit Jahren warnen Experten, dass die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen gefährlich ist. Aber erst seit Putins Angriffskrieg ist die Regierung bereit, dies zu ändern.

Was muss geschehen, damit Deutschland auch beim Klimaschutz endlich konsequent handelt? Vielleicht denken Sie jetzt: Wieso, die Ampelkoalition hat sich doch viel vorgenommen, Windräder, moderne Heizungen, Gebäudesanierung, E-Tankstellennetz und so weiter. Alles richtig. Doch das alles wird nicht reichen, um die Klimaziele zu erreichen. Wissenschaftler haben dies schwarz auf weiß dokumentiert, siehe hier und hier.

Die Erderhitzung beschleunigt sich rasant, der neue Bericht des Weltklimarats dokumentiert ein Desaster: Wir rennen sehenden Auges in die größte aller Katastrophen hinein. Knapp die Hälfte der Menschheit ist bereits jetzt hochgradig gefährdet. "Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet", schreiben die Forscher. "Die Regierungen tun noch lange nicht genug, um die schlimmsten Gefahren abzuwenden."

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Nicht Millionen, sondern Milliarden Menschen spüren die Folgen dieser Mutlosigkeit: Sie leiden unter Armut, Hunger, Dürren, Waldbränden, Hitzewellen, Überschwemmungen, Verteilungskonflikten um Wasser und Nahrung. Es wird künftig noch sehr viel mehr Opfer und sehr viel mehr Klimaflüchtlinge geben, keinesfalls nur in Asien und Afrika. Auch in Europa. "Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster", warnt der Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner und gibt der Klimapolitik der Ampelregierung schlechte Noten: "Für die Ambitionen kriegt sie eine Drei und für die Umsetzung eine Vier minus."

Auch wenn nun alle betroffen auf die Tragödie in der Ukraine blicken: Die Klimakrise bleibt das größte Problem der Menschheit. Natürlich kann Deutschland nur einen Teil zu seiner Lösung beitragen – doch als mächtigstes Land Europas müsste es viel entschlossener handeln. Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen – auf die Gefahr hin, dass einige Leser empört aufschreien:

1. Windräder und Solaranlagen müssen ohne Rücksicht auf Abstandsregeln errichtet werden, und zwar schnell.

2. Energiefressende Produkte, darunter alte Heizungspumpen, Kühlschränke, Elektroherde, Wasch- und Spülmaschinen gehören verboten. Dafür braucht es eine Abwrackprämie.

3. Autoverkehr in Innenstädten sollte mit einer hohen Maut belegt werden.

4. Auf Autobahnen braucht es ein Tempolimit.

5. Flugbenzin muss hoch besteuert anstatt subventioniert werden.

6. Kreuzfahrtschiffe mit Dieselmotor? Konsequent verbieten.

7. Die absurden EU-Subventionen für Massentierhaltung und Milchpulverexport: streichen und stattdessen Bio-Lebensmittel bezuschussen.

8. Auch der Verkauf von Billigfleisch gehört reglementiert.

9. Deutschland sollte den Handel mit Klimasünderstaaten wie China eindämmen – und in Kauf nehmen, dass hierzulande dann nicht mehr jedes neue Smartphone und jeder schicke Turnschuh erhältlich ist. Die Welthandelsorganisation braucht neue Prioritäten: nicht immer mehr Handel für immer mehr Konsum, sondern Bevorzugung regional hergestellter Produkte.

10. Staatliche Hermesbürgschaften für klimaschädliche "Entwicklungsprojekte" in Ländern wie Indien und Südafrika gehören gestrichen, ausschließlich nachhaltige Technologien sollten unterstützt werden.

Zehn Punkte, die Liste ließe sich fortsetzen. All das könnte helfen und andere Staaten animieren, es ebenso zu tun. Aber es würde von allen Bürgern ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft verlangen. Wir müssten einsehen, dass wir unseren Planeten nur dann lebenswert erhalten, wenn wir zum Verzicht bereit sind – nicht auf alles, was bequem ist und Spaß macht, aber auf manche Annehmlichkeiten und Gewohnheiten. Dass technologische Innovationen allein das Klimaproblem lösen können, ist ein Trugschluss.

Leider geht die Entwicklung gerade in die entgegengesetzte Richtung: Im Berliner Regierungsviertel sprechen sie bereits darüber, die Anstrengungen beim Klimaschutz wegen des Ukraine-Kriegs zurückzufahren. Es wäre ein dramatischer Fehler. Schließlich wollen wir nicht von einer Weltkrise in die nächste stürzen.


Die Ereignisse seit gestern Abend

Bei Russlands Krieg gegen die Ukraine wird auch Europas größtes Atomkraftwerk in der Nähe der Großstadt Saporischschja beschossen. Der ukrainische Präsident spricht von einem gezielten Beschuss durch russische Panzer. Ein Trainingsgebäude nahe der Anlage brenne. Der Vorfall lässt nicht nur bei den ukrainischen Behörden die Alarmglocken schrillen. Hier lesen Sie den Bericht aus der Nacht.

Russische Raketen schlagen in Kiew und weiteren Städten ein, aber die Ukrainer leisten erbitterten Widerstand. Ein Teil der deutschen Waffen für die Ukraine ist unbrauchbar. Frankreichs Präsident Macron berichtet Ernüchterndes von einem Telefonat mit Putin. Immerhin haben ukrainische und russische Unterhändler sichere Fluchtwege für Zivilisten vereinbart. Und die Verteidigungsministerien der USA und Russlands haben eine Direktverbindung errichtet, um "Fehleinschätzungen, militärische Zwischenfälle und Eskalationen" zwischen den Atommächten zu verhindern: Die jüngsten Nachrichten finden Sie in unserem Newsblog.


Wer viel hat, kann viel geben

Die Unterstützung für die Ukraine ist in Gang gekommen, aber es fehlt noch am Nötigsten. Die Hilfsorganisationen sagen unisono: Am dringendsten braucht es nicht Sach-, sondern Geldspenden, weil die Helfer dann gezielt das besorgen können, was am jeweiligen Ort fehlt. Viele Menschen in Deutschland haben sich bereits beteiligt, das ist großartig. Aber da geht mehr. Hierzulande gibt es anderthalb Millionen Millionäre. Warum spendet nicht jeder von ihnen einen fünfstelligen Betrag?


Das Zitat des Tages …

kommt vom ehemaligen russischen Schachweltmeister Garri Kasparow, der über Putin Folgendes sagt: "Nach 22 Jahren mit einer solchen Machtfülle und niemandem, der einen kritisiert, ist es schwer, bei klarem Verstand zu bleiben. Putin sieht alles aus seiner Blase. Wir wissen, dass er nur sehr wenigen vertraut und nicht ins Internet geht. Wie soll so jemand realistisch bleiben? Die Diktatur eines Mannes in Russland ist bei Weitem die größte existenzielle Bedrohung der Menschheit."


Szene des Tages

Es gibt Momente, die man gesehen haben sollte. So wie diesen Auftritt vor der UN-Vollversammlung in New York.

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Schwarze Klausur

Krisenzeiten sind Regierungszeiten, trotzdem ist es interessant, welchen Weg die neue CDU-Spitze bei ihrer heutigen Klausur einschlägt. Parteichef Friedrich Merz will mit seinen 50 engsten Gefolgsleuten über die Folgen des Ukraine-Kriegs für die deutsche Sicherheits- und Energiepolitik beraten. Er hat der Ampelkoalition Unterstützung bei den Sanktionen gegen Russland und der Bundeswehraufrüstung zugesagt, will beim 100-Milliarden-Sonderetat aber mitreden.


Paralympics in Peking

Knapp zwei Wochen nach dem Ende der Olympischen Winterspiele kämpfen ab heute die paralympischen Athleten um Medaillen. Das ZDF überträgt ab 13 Uhr die Eröffnungsfeier, bis zum 13. März stehen 78 Wettbewerbe in sechs Sportarten auf dem Programm: Ski alpin, Skilanglauf, Biathlon, Snowboard, Para-Eishockey und Rollstuhl-Curling. Die Sportler aus Russland und Belarus dürfen nicht mitmachen.


Was lesen?

Russland will Kiew stürmen. Haben die Ukrainer überhaupt noch eine Chance, Putin zum Waffenstillstand zu zwingen? Der Militärexperte Gustav Gressel erklärt die Kriegslage.


Putins Generäle gehen grausam, aber auch dilettantisch vor. Mein Kollege Martin Küper hat Bemerkenswertes zusammengetragen. Außerdem erklärt er gemeinsam mit Daniel Mützel, warum der Kremlchef offenbar zunehmend frustriert ist.


Zwei Ukrainer leben als Künstler in Berlin. Am 24. Februar wollten sie eine Ausstellung in Kiew eröffnen – da begann der Krieg. Jetzt machen sie mit, berichtet unser Reporter Sebastian Späth.


Ab heute gelten bundesweit neue Corona-Regeln. Meine Kollegin Sandra Simonsen zeigt Ihnen, welche.


Was amüsiert mich?

Endlich wissen wir, worauf es diesem Typen im Kreml wirklich ankommt.

Mögen die Friedliebenden stärker sein als die Gewalttätigen. Ab morgen kommen die Tagesanbrüche von meinen Kolleginnen und Kollegen, von mir hören Sie Mitte März wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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