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Ukraine-Krieg: Baerbock macht den nächsten wichtigen Schritt


Tagesanbruch
Baerbock macht den nächsten wichtigen Schritt

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock werden in Kiew erwartet.Vergrößern des Bildes
Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock werden in Kiew erwartet. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Kommunikation kann ganz einfach sein. Oder furchtbar kompliziert. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, einander misszuverstehen, unbeabsichtigt oder vorsätzlich. Wenn einer A sagt, versteht der andere vielleicht B. Also antwortet der andere C, was bei seinem Gegenüber jedoch als D ankommt. Schon hat man den Salat. Noch komplizierter wird es, wenn der eine zwar A sagt, aber eigentlich B meint, denn dann können beim Zuhörer zwei Botschaften ankommen: eine ausgesprochene und eine verborgene. Durchschaut der Zuhörer diese Doppeldeutigkeit und wittert eine Absicht dahinter, wird er erst recht misstrauisch: Was gilt denn nun, was will der andere mir sagen? Führt der in Wahrheit etwas ganz anderes im Schilde als das, was er laut sagt?

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Politische Kommunikation ist noch viel tückischer, und die Erklärungen der Bundesregierung zum Ukraine-Krieg zeigen dies deutlich: Da herrscht eine seltsame Kakofonie. Der Kanzler hat in den vergangenen zweieinhalb Monaten zur Verwirrung beigetragen, indem er auf seine große Zeitenwende-Rede im Bundestag zunächst ein vielsagendes Schweigen folgen ließ, das er gelegentlich durch mehrdeutige Sätze unterbrach. Als die Kritik zunahm, begann er, Interviews zu geben. Die Verteidigungsministerin sagte ebenfalls ein paar Dinge, die man so oder so verstehen konnte, das machte es nicht besser. Vertreter der Regierungsparteien wiederum kommen mit allerhand Vorschlägen um die Ecke, was nun zu tun oder zu lassen sei. Viele Stimmen, aber keine Melodie. Weil der Chor keinem Dirigenten folgt.

Umso lauter sind die Misstöne zu hören. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk verstärkt die Dissonanz durch gepfefferte Kritik, die angesichts der Katastrophe in seinem Heimatland zwar emotional verständlich, aber mitunter auch ziemlich unverschämt ist. Viele Bürger hat er damit verärgert. Und dann ist da noch die Riege der Talkshow-Dauergäste, die auch immer gern etwas sagen. Solange Sahra Wagenknecht, Markus Söder und Kevin Kühnert abends auf der Flimmerscheibe erscheinen, kann man getrost davon ausgehen, dass in der Debatte um den Ukraine-Krieg nichts ungesagt bleibt.

Doch die kommunikative Klarheit aus den ersten Kriegstagen hat sich aufgelöst. Weil eine von allen Bürgern respektierte Autorität fehlt, die das Land durch die Krise lotst, so wie es Bundeskanzler Helmut Schmidt im Deutschen Herbst 1977 getan hat. Als Ergebnis der Kakofonie ist bei vielen Bürgern der Eindruck entstanden: Die Regierenden haben keinen klaren Kurs. Die wissen nicht, was sie wollen. Die haben die Lage nicht im Griff. So ist das Vertrauen in Olaf Scholz und seine Leute von Tag zu Tag gesunken, und wir Journalisten sparen natürlich auch nicht mit Kritik.

Im Kanzleramt hat man diese Entwicklung zwar früh gesehen, aber spät gehandelt. Wer lange genug nachfragt, kann erfahren, dass man dort selbst nicht glücklich mit der Wirkung der eigenen Kommunikation ist. Dass die politischen Entscheidungen in der Bevölkerung nicht gut genug verstanden werden, und dass daran nicht allein die Leitartikler schuld sind. Auch deshalb hat sich der Kanzler am Sonntagabend vor das deutsche Fernsehpublikum gesetzt und seine Positionen zum Krieg wiederholt. Seine Worte klangen schlüssig und glaubwürdig, doch Neues sagte er nicht. Vielleicht droht seine Ansprache deshalb schon nach zwei Tagen zu verpuffen. Vielleicht geht die Debatte über leichte Waffen und schwere Waffen, über diesen Panzer und jene Haubitze, über kluge oder verkorkste Kanzlersätze deshalb weiter.

Wie kommt man raus aus der kommunikativen Sackgasse? Wie lässt sich die Verstimmung zwischen Berlin und Kiew endgültig auflösen? Indem man miteinander statt übereinander spricht. Nicht per Telefon oder Videokonferenz, sondern von Angesicht zu Angesicht. Deshalb ist es höchste Zeit, dass Außenministerin Annalena Baerbock nun nach Kiew reist. Dass auch Finanzminister Christian Lindner eine Reise in die Ukraine angekündigt hat. Dass Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gerade dort war (und ja, auch Oppositionsführer Friedrich Merz). Wer aber noch fehlt, das ist der Kanzler.

Eine Reise in die Ukraine ist kein Spaziergang. Sie ist riskant. EU-Ratspräsident Charles Michel musste sich gestern in Odessa vor einem Raketenangriff in Sicherheit bringen. Trotzdem ist die Bedeutung eines Treffens von Olaf Scholz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht zu überschätzen. Vor dem russischen Angriff haben sich die beiden kurz gesehen, doch aus heutiger Sicht war das in einer anderen Welt.

Der Krieg hat alles verändert. Die Ukrainer erleiden seit 75 Tagen Tod, Angst, Trauer, Verlust. Sie haben ihr bisheriges Leben verloren, und sie können nicht sicher sein, dass sie Sicherheit und Frieden irgendwann zurückbekommen. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man sich nur für einen Augenblick in die Lage einer ukrainischen Mutter versetzen, deren Sohn im Donbass gegen die Russen kämpft. Oder in einen Ukrainer, der vor der Ruine seines Wohnhauses steht.

Unser Reporter Daniel Mützel ist gerade in der Ostukraine unterwegs, diese Beobachtungen hat er mir gestern Abend geschickt: "Wenn man an die ukrainische Front reist, kann man nur den Kopf schütteln über so manche Debatte in der Heimat, wo deutsche Intellektuelle den Ukrainern aus der Ferne Ratschläge erteilen. So unterschiedlich das Leid der Menschen in der Ukraine auch ist, eines eint die Menschen hier. Die 71-Jährige, die ihr ausgebombtes Haus nicht verlässt, weil sie Putin nicht weichen will. Die Mutter, die mit ihrer neunjährigen Tochter zwei Monate lang russischen Bombenterror erlebte. Den Ex-Soldaten, der nun schwört, wieder in die Armee einzutreten. Sie alle sagen: Die Ukraine wird sich nicht ergeben. Russlands Krieg hat die Menschen hier zusammengeschweißt – auf eine Weise, die man nur verstehen kann, wenn man hierherkommt. Das Gefühl der Einigkeit und auch des Trotzes, sich niemals Putins Größenwahn zu unterwerfen, ist überall greifbar."

Kriege verändern das Leben der Betroffenen für immer. Das erklärt, warum Menschen nicht nur verzweifeln, sondern sich vielleicht auch mal unverschämt äußern. Erst recht, wenn sie als Präsident oder Diplomat Verantwortung für ihr leidendes Volk tragen. Sich ihre bedrückenden Erzählungen anzuhören, Mitgefühl und Solidarität zu zeigen und dann gemeinsam zu überlegen, wie man im Rahmen der eigenen Möglichkeiten helfen kann – auch dann, wenn man nicht alle Wünsche erfüllen kann oder will –, diese Entscheidungen sodann der eigenen Bevölkerung überzeugend zu erklären, dafür bietet ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht die beste Grundlage. In Berlin heißt es, der Kanzler könne nur nach Kiew reisen, wenn er Präsident Selenskyj etwas mitbringe. Sprich: noch mehr Waffen, noch mehr Geld. Mag sein, doch da wird sich ja wohl etwas finden lassen. Als Entschuldigung, den Besuch noch länger hinauszuzögern, taugt diese Erklärung jedenfalls nicht.

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Was amüsiert mich?

Selbst wenn alles eskaliert, manche Typen bleiben entspannt.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch von David Schafbuch, am Donnerstag wieder von mir.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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