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Funklöcher und Faxgeräte: Deutschlands digitaler Rückstand wird gefährlich


Tagesanbruch
Deutschlands Rückstand wird gefährlich

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 15.07.2022Lesedauer: 6 Min.
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Bundeswehrsoldaten eines Jägerbataillons trainieren eine Gefechtssituation mithilfe eines digitalen Duellsimulators.Vergrößern des Bildes
Bundeswehrsoldaten eines Jägerbataillons trainieren eine Gefechtssituation mithilfe eines digitalen Duellsimulators. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

73 Jahre sind seit der Gründung der Bundesrepublik vergangen, aber manchmal kommt es einem so vor, als befinde sich Deutschland noch in der Steinzeit. 1993 wurde das World Wide Web erfunden, doch fast 30 Jahre später sind wir hierzulande immer noch nicht in der digitalen Gegenwart angekommen. Während Staaten wie Dänemark, Finnland, Irland und Estland ihre Wirtschaft, ihre Verwaltung, ihre Schulen und ihren Verkehr mithilfe digitaler Prozesse modernisiert haben, wird das größte Land der EU von Jahr zu Jahr weiter abgehängt.

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Wohin man auch schaut, überall Mängel: Funklöcher auf dem Land und Faxgeräte in Behörden. Fehlende Daten in Gesundheitsämtern und fehlende Computer in Schulen. Überforderte Prozesse bei der Bahn und der Bundeswehr, bei Standesämtern und Gerichten, in Planfeststellungsbehörden und Polizeidienststellen. Ganz zu schweigen vom immer noch fehlenden Bürgerportal, in dem man schnell und einfach Ausweise verlängern, Autos an- und den Wohnort ummelden kann. Das Steuererklärungsportal "Elster" brach kürzlich gar wegen Überlastung zusammen.

So groß ist der digitale Rückstand mittlerweile, dass man kaum noch weiß, wo man mit dem Kitten anfangen soll. Statt einzelne Projekte anzupacken, beschwört die Bundesregierung deshalb gern die Notwendigkeit eines allumfassenden Masterplans, der Deutschland endlich in die digitale Weltspitze katapultieren soll. So hat es schon Angela Merkel gehalten, die einen "Digitalrat" gründete, um viele wohlklingende Strategien auszutüfteln. Passiert ist dann fast nichts. Ähnlich macht es auch Olaf Scholz: Nach wochenlangem Hickhack zwischen seinem Kanzleramt und diversen Ministerien soll Volker Wissing von der FDP, der den stolzen Titel Digitalminister trägt, bis Ende August die ungezählten Loseblattsammlungen zusammentragen und daraus einen "Digitalpakt" zimmern.

Es ist eine Aufgabe, deren Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Von ihr hängen Deutschlands künftiger Wohlstand und seine Attraktivität als Wirtschaftsstandort wesentlich ab; nicht zu vergessen die Zufriedenheit der Bürger, das Bildungsniveau der Kinder, die Arbeitsfähigkeit der Behörden.

Umso alarmierender klingt, was sich gegenwärtig in Wissings Ministerium abspielt: Schaut man in den Entwurf des Strategiepapiers, der unserer Redaktion vorliegt, findet man außer Problembeschreibungen und Floskeln kaum konkrete Antworten auf die digitalen Herausforderungen. "Auf 30 Seiten sind die liegen gebliebenen Projekte der Vorgängerregierungen neu zusammengestellt", berichtet unser Autor Falk Steiner. "Ob bei der Gesundheitspolitik oder in der Verwaltung: Überall soll jetzt kommen, was seit Jahren vorgesehen ist. Doch beim Wie bleiben die Fragezeichen der Vergangenheit stehen. Neu oder entschlossen ist fast nichts – und vor allem noch meilenweit entfernt vom Weltspitzenniveau. Es mangelt an Ambition, es mangelt am Willen, wirklich loszulegen. Stattdessen ist das Lieblingsspiel des Berliner Betriebs im Gange: Ausreden und Sündenböcke finden. Denn niemand möchte für die nächste Runde des digitalen Scheiterns verantwortlich sein."

Das Zwischenfazit könnte also kaum bitterer sein – und der Kanzler trägt einen Großteil der Verantwortung dafür. Noch einmal unser Autor: "Schuld daran ist auch Olaf Scholz. Der Kanzler hat die Digitalisierung nicht zur Chefsache erklärt. Nun ist Volker Wissing für das Thema zuständig – ein Himmelfahrtskommando, wenn der Rest der Regierung nicht wirklich mitmachen will." Es fehlt am Willen, verkrustete Strukturen aufzubrechen, es fehlt am nötigen Know-how, und es fehlt wie so oft am Geld.

Das muss sich schleunigst ändern, und das weiß auch Minister Wissing. Heute Vormittag redet er auf einem Podium in Hannover über die "Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung". Sicher ein schöner Termin, aber noch schöner als Reden sind Taten. Bis Ende August bleiben nur noch sechs Wochen. Hat die Ampelkoalition bis dahin keinen schlüssigen Digitalplan aufgestellt und genügend Geld für Modernisierungsprojekte organisiert, droht Deutschland endgültig den Anschluss zu verlieren.


Italienisches Drama

Dürre, Wassernotstand, Inflation, Corona: Die Italiener sind derzeit gebeutelt – nun ist auch noch die Regierung geplatzt, in die viele Menschen große Hoffnungen gesetzt hatten. Ministerpräsident Mario Draghi will zurücktreten, weil die Koalitionsabgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung eine Vertrauensabstimmung im Senat boykottiert haben. Dabei ging es um ein 23 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket, das Familien und Firmen in der Inflation helfen soll. Darunter ist auch der Bau einer Müllverbrennungslage in Rom, den die Fünf-Sterne vehement ablehnen. Wegen eines vergleichsweise kleinen Projekts die Stabilität eines ganzen Landes opfern: So ticken Populisten. Zum Glück gibt es auch in Italien genügend verantwortungsvolle Politiker: Staatspräsident Sergio Mattarella hat gestern Abend Draghis Rücktritt abgelehnt. Vielleicht gelingt es ja, eine andere Regierungsmehrheit zu bilden.


Urteil im Terrorprozess

Genau genommen geht es nicht um eine einzelne Straftat, sondern gleich um mehrere: Der 33-jährige Bundeswehroffizier Franco A. ist angeklagt, im Jahr 2017 aus rechtsextremistischer Motivation einen Terroranschlag auf hochrangige Politiker geplant zu haben, die sich für Flüchtlinge einsetzten. Außerdem hatte er zahlreiche Waffen gehortet, laut Anklage mehr als 1.000 Schuss Munition bei der Bundeswehr abgezweigt und sich unter falschem Namen als syrischer Flüchtling registrieren lassen, um staatliche Leistungen zu kassieren – und womöglich einen Alias zu haben, dem er die Tat hätte in die Schuhe schieben können. Seit rund einem Jahr muss er sich deshalb vor dem Frankfurter Oberlandesgericht verantworten.

Die Staatsanwaltschaft attestiert dem Berufssoldaten eine "besondere Abneigung gegen Menschen jüdischen Glaubens" und fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten. Die Verteidigung plädiert auf Bewährung – was nur geht, wenn die Strafe nicht höher ist als zwei Jahre: Ihr Mandant habe zwar "untaugliches Geschwurbel und Gesinnungsschwafelei" von sich gegeben, aber in Wahrheit "keine mörderischen Pläne gehabt". Heute Vormittag verkünden die Richter ihr Urteil.

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Stillstand in den Häfen

Die Lage ist ohnehin angespannt: Seit Wochen stauen sich Containerschiffe auf der Nordsee, weil die deutschen Häfen mit der Abfertigung nicht hinterherkommen. Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben die weltweiten Lieferketten unterbrochen. Zu diesem Chaos kommt nun auch noch ein Streik hinzu: Seit gestern ruft die Gewerkschaft Verdi in allen wichtigen deutschen Nordseehäfen zum Ausstand auf. Sie will im Tarifkonflikt um die Entlohnung der Hafenarbeiter den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen: Bis morgen früh sollen die Beschäftigten die Arbeit niederlegen. Viele Produkte werden also noch später in den Regalen liegen.


Ein Jahr danach

Auch heute gibt es Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Flutkatastrophe im Ahrtal. Als Zeichen der gemeinsamen Trauer und Hoffnung läuten abends in allen Ortschaften die Kirchenglocken. 134 Menschen kamen in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ums Leben, zwei weitere werden noch vermisst. Unser Rechercheur Lars Wienand erlebte damals die brutalen Folgen der Katastrophe in einer Lebenshilfe-Einrichtung. Nun ist er an den Ort zurückgekehrt und berichtet Eindrückliches.


Höher, schneller, weiter

Erstmals in der Geschichte findet eine Leichtathletik-WM in den USA statt:
Ab heute bis zum 24. Juli kämpfen die Sportler in Eugene im Westküsten-Bundesstaat Oregon um Medaillen. Dass ausgerechnet die nur 175.000 Einwohner zählende Universitätsstadt in der Provinz zum Austragungsort erkoren wurde, könnte wohlwollend mit der dort herrschenden Leichtathletik-Begeisterung begründet werden. Oder damit, dass es sich um den Gründungsort des Sportartikelkonzerns Nike handelt. Das deutsche Team geht mit 80 Athleten in die 49 Wettbewerbe – angeführt von den Titelverteidigern Malaika Mihambo (Weitsprung) und Niklas Kaul (Zehnkampf).


Was lesen?

Facebook ist die gefährlichste Firma der Welt: Der Konzern gilt als mitverantwortlich für Völkermord, Zersetzung von Demokratien, Verbreitung von Hass und Gewalt. Zwei Journalistinnen der "New York Times" erklären im Interview mit meinem Kollegen Jan Mölleken, wie die perfide Maschinerie funktioniert.


Wegen des Erdgasmangels will die Europäische Kommission Energie sparen. Unsere Reporterin Frederike Holewik erklärt, was der Plan für Verbraucher bedeutet.


Der Krieg in der Ukraine verschärft den Medikamentenmangel in Deutschland. Welche Präparate jetzt knapp werden, hat meine Kollegin Anna Sophie Kühne recherchiert.


Tausende gestrichene Flüge und ein Brandbrief an den Lufthansa-Vorstand: Verdirbt das Chaos an den Flughäfen der Reisebranche die sonnigen Aussichten? Die Antwort haben meine Kollegen Mauritius Kloft und Frederike Holewik.


Was amüsiert mich?

Wie war das noch damals im Flutgebiet?


Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Freitag. Vergessen Sie draußen nicht das Sonnenkäppi.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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