Panorama Zugunglück in Spanien - Lokführer festgenommen

Das Gesicht blutüberströmt, der Blick gesenkt, das Handy am Ohr: So zeigten erste Bilder Francisco José G. den Lokführer des Unglückszuges von Santiago de Compostela. "Ich habe es vermasselt, ich möchte sterben", soll der 52-Jährige unmittelbar nach der furchtbaren Tragödie in Nordspanien gesagt haben, berichtet die Zeitung "El Mundo".
Tatsächlich kommt der Lokführer inzwischen in Erklärungsnot: Der 52-Jährige hätte den Bremsvorgang gemäß den Sicherheitsvorschriften schon vier Kilometer vor der Unfallstelle bei Santiago de Compostela beginnen müssen, sagte der Präsident der Eisenbahninfrastruktur-Behörde Adif, Gonzalo Ferre, der spanischen Nachrichtenagentur EFE.
Zugführer verweigert Aussage
Die Polizei hatte Francisco José G. bereits zuvor unter dem Vorwurf der Fahrlässigkeit schon am Donnerstagabend im Krankenhausbett festgenommen. Medienberichten zufolge lag G. am Freitagabend noch immer unter Polizeiaufsicht im Krankenhaus und verweigerte die Aussage. Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr der 52-Jährige am Mittwochabend seinen Zug in einer Tempo-80-Zone mit 190 Kilometern pro Stunde ins Unglück.
Neben der Vernehmung des Lokführers soll die Auswertung des Fahrtenschreibers den Ermittlern Aufschlüsse zur Klärung des Unglücks geben. Ferre betonte, alle Sicherheitssysteme hätten funktioniert, für den Fall eines Systemausfalls verfüge der Lokführer aber über einen genauen Plan mit allen Anweisungen. "Das ist ja die Aufgabe des Lokführers: die Geschwindigkeit zu kontrollieren. Sonst wäre er Passagier", sagte der Behördenchef.
Vier Ausländer unter den Opfern - keine aus Deutschland
Bei dem schwersten Eisenbahnunglück in Spanien seit mehr als 40 Jahren waren 78 Menschen ums Leben gekommen - die Zahl der Opfer wurde am Tag nach dem Unfall um zwei nach unten korrigiert. 140 Fahrgäste wurden verletzt. Wie die Regionalregierung von Galicien mitteilte, liegen noch 87 Menschen in Krankenhäusern. Der Zustand von 32 Verletzten, darunter drei kleine Kinder, sei kritisch.
Bislang hätten 67 Todesopfer identifiziert werden können. Unter ihnen sind nach verschiedenen amtlichen Angaben vier Ausländer: ein Amerikaner, eine Frau aus der Dominikanischen Republik, eine Mexikanerin und ein Kolumbianer.
Nach Norden, um der kranken Mutter zu helfen
Lokführer G. ist seit über 30 Jahren für die staatliche Bahngesellschaft Renfe tätig, seine Laufbahn sei lupenrein, heißt es. Geboren wurde er in der galicischen Eisenbahnerstadt Monforte de Lemos, schon sein Vater war bei der Bahn. Anfangs war er als Gehilfe bei der Betankung von Dieselloks tätig, hieß es in Medienberichten.
Er arbeitete sich nach oben, bis er vor zehn Jahren zum Lokführer wurde. Längere Zeit war er auf der Route zwischen Madrid und Barcelona im Einsatz. Vor drei Jahren habe er sich in die galicische Hafenstadt La Coruña versetzen lassen, um sich um seine kranke Mutter zu kümmern. G. ist geschieden und hat keine Kinder.
Bekannten gilt er als freundlich und verantwortungsvoll
Die Unglücksstrecke kannte er nach Angaben von Renfe gut, seit mehr als einem Jahr sei er dort schon unterwegs gewesen. Rund 60 Mal habe er die Unglückskurve in dieser Zeit passiert.
Bekannte beschreiben G. als freundlich und verantwortungsvoll. "Er ist ein ausgezeichneter Mensch, ein sehr netter Typ", zitierte die Zeitung "La Voz de Galicia" einen Schaffner, der wie G. Mitglied in der Eisenbahnergewerkschaft ist.
Unmittelbar nach dem Unglück hatte der Lokführer trotz seiner Kopfverletzung, die später mit mehreren Stichen genäht werden musste, noch bei der Bergung von Opfern geholfen.
Gewerkschaft nimmt den Zugführer in Schutz
Wie die zu hohe Geschwindigkeit zu erklären ist, mit der der Zug nach bisherigen Erkenntnissen in die Kurve vier Kilometer vor dem Bahnhof des Wallfahrtsortes einfuhr, ist noch unklar. Die Bahngesellschaft Renfe warnte vor vorschnellen Folgerungen.
Die Lokführer-Gewerkschaft Semaf nahm den Lokführer in Schutz und erklärte, das Sicherheitssystem kurz vor Santiago beim Übergang von Hochgeschwindigkeits- auf Normalstrecke sei ungeeignet. Bau- und Verkehrsministerin Ana Pastor wies dies zurück.
Merkwürdige Eintrage bei Facebook
Aufregung verursachen in Spanien Medienberichte über Kommentare, die von G.s Facebook-Seite stammen sollen. Dort soll er im März 2012 ein Bild eines Zug-Tachometers veröffentlicht haben, das Tempo 200 anzeigte. Die Seite wurde inzwischen auf richterliche Anordnung gesperrt, die Zeitung "ABC" veröffentlichte online einen Screenshot.
"Junge, du bist mit Vollgas unterwegs, bremse", witzelte einer seiner Kontakte. "Ich bin am Limit, wenn ich noch schneller fahre, bekomme ich eine Strafe", antwortete G., wie auf der abfotografierten Facebook-Seite zu sehen ist. Im Netz ist der Lokführer inzwischen Ziel heftiger Kritik.
Staatstrauer von drei Tagen in Spanien
Die Katastrophe nahe der Pilgerstadt Santiago war das erste tödliche Unglück im Hochgeschwindigkeitsnetz der spanischen Bahn. Der Wallfahrtsort, der das Ziel des Jakobsweges bildet, sagte alle Feiern zu Ehren des Heiligen Jakobs am Wochenende ab.
Ministerpräsident Mariano Rajoy ordnete für Spanien eine offizielle Trauer von drei Tagen an.
Schlimme Erinnerungen an Eschede
Der Unglückszug befand sich am Mittwoch auf der Fahrt von Madrid zur Küstenstadt Ferrol im Nordwesten des Landes. Die Waggons des Zuges sprangen aus den Schienen und wurden bei dem Unglück auseinandergerissen.
Einige Wagen prallten neben den Gleisen gegen eine Betonwand und stürzten um, andere Waggons verkeilten sich ineinander. Ein Wagen flog sogar über die Begrenzungsmauer hinweg. Die Katastrophe erinnerte an das deutsche ICE-Unglück von Eschede 1998, als 101 Menschen ums Leben kamen.