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Flut in Australien: "Diese Katastrophe hätte verhindert werden können"


Flut in Australien
"Diese Katastrophe hätte verhindert werden können"

Von Anna-Lena Janzen, Lismore

Aktualisiert am 08.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Menschen nach ihrer Rettung in Lismore: Viele Anwohner hat die Flut im Schlaf überrascht.Vergrößern des Bildes
Menschen nach ihrer Rettung in Lismore: Viele Anwohner hat die Flut im Schlaf überrascht. (Quelle: imago-images-bilder)

In Australien kämpfen die Menschen gegen eine lebensbedrohliche Flut. Vor Ort wird deutlich: Das Ausmaß der Zerstörung ist enorm. Und der Premier blamiert sich mit gestellten Fotos.

Als Angel Melton nach der Flutkatastrophe in ihr Haus in Lismore zurückkehrt, sieht es aus, als hätte ein Tornado in den Zimmern gewütet. Mit Gummistiefeln steht sie in der stinkenden Matsche. "Es riecht wie im Schweinestall", sagt sie. Den ganzen Tag haben Helfer die Trümmer aus ihrem Heim geräumt. "Ob ich noch mal hierhin zurückkomme, das weiß ich nicht."

Es ist ein brütend heißer Tag, die Sonne knallt erbarmungslos auf den Asphalt. Seit den Überschwemmungen liegt ein Geruch in der Luft, der sich geradezu in die Schleimhäute beißt. Die Stadt riecht nach verfaulten Lebensmitteln, Urin, Chemikalien. Der Schlamm in den Gebäuden ist dick wie geschmolzene Schokolade. An allem, was mit ihm in Berührung kommt, bleibt der Gestank kleben.

Auf den Gehwegen türmen sich meterhohe Müllberge. Die freiwilligen Helfer, die sich die "Mud Army" nennen, werfen fieberhaft alles Mögliche darauf: Teppiche, Möbel, Kleidung, Porzellan, Gardinen, Gläser. Sie zerreißen Mobiliar, schaufeln Dreck weg, tragen beschädigte Stühle, Tische und Schreibtische, spritzen den Schlamm ab. An mehreren Ecken haben Menschen Zelte aufgebaut, von denen aus sie Mahlzeiten verteilen, Spenden annehmen, Hilfsgüter organisieren.

Auch Daryl Deeley hat einen anstrengenden Tag hinter sich gebracht. Freunde und Bekannte haben ihm beim Putzen geholfen. Am Ende bleibt nur noch das Grundgerüst seiner einstigen Tierarztpraxis. Seit 38 Jahren betreibt Deeley sie im Zentrum der Stadt. Es ist nicht die erste Katastrophe, die er dort erlebt hat, "aber nichts zuvor war wie dieses Mal". Es war ein hartes Jahr: Buschbrände, Corona-Pandemie und nun die Flut.

Lismore liegt im Hinterland der Küstenregion von New South Wales, etwa 740 Kilometer nördlich von Sydney, inmitten einer atemberaubenden, subtropischen Landschaft mit leuchtend grünen Hügeln, Regenwäldern und Wasserfällen. Die Stadt hat einen rustikalen Charme, ist uraustralisch und bei den Anwohnern der Region beliebt.

Apokalyptische Zerstörung

Doch die Geschichten, die hier heute erzählt werden, und die Zerstörung, die man sieht, sind apokalyptisch. Auch eine Woche nach der Flut herrscht Chaos. Es fehlt an Benzin, sauberem Trinkwasser, Unterkünften, das Internet funktioniert vielerorts nicht, die Supermarktregale sind leer.

Man hört von Anwohnern, die stundenlang durch unwegsames Gelände marschieren, um Menschen Essen und Wasser zu bringen. Tote Tiere, die in Baumwipfeln verwesen. Gemeinden, die per Crowdfunding Hubschrauber anmieten, um Medizin zu abgeschnittenen Grundstücken zu liefern. Zivilisten, die Notrettungen durchführen und Leichen entdecken.

In Lismore laufen zwar inzwischen auch Soldaten der australischen Streitkräfte zwischen den Trümmern herum und inspizieren Gebäude. In der Luft surren Helikopter der Armee. Drei Tage nach der Katastrophe wurden sie in das Flutgebiet geschickt, um zu helfen. Doch viele Menschen im Umland sind noch immer durch das Hochwasser, kaputte Straßen oder Erdrutsche abgeschnitten. Sie leben in den Bergen oder auf Farmen in der Nähe von Lismore und sind auch ohne Flut nur schwer zu erreichen.

Die letzte Flutkatastrophe ist erst fünf Jahre her

Es ist nicht das erste Mal, dass die Stadt eine solche Tragödie erlebt. Erst 2017 hatte eine Flut Lismore verwüstet. Die australische Katastrophenschutzbehörde (SES) gab damals zu, dass "nicht alles nach Plan" verlaufen war. Das Hochwasser erreichte einen Höchststand von 11,59 Metern, überspülte den Deich und überflutete das Stadtzentrum. Fast 70 Prozent der Unternehmen der rund 40.000-Einwohner-Stadt waren betroffen, der Schaden wurde auf knapp 40 Millionen Dollar geschätzt. Damals war von einem "einmaligen Ereignis" die Rede.

Es erinnert an die Flut in Deutschland im Ahrtal im vergangenen Jahr. Keiner habe damit gerechnet, dass so etwas hier passiert, hieß es damals aus Sinzig. Der Katastrophenschutz hatte dabei versagt, die Menschen rechtzeitig zu evakuieren.

Und auch für Lismore kamen die Warnungen erneut zu spät. "Schlimmer als 2017", ist hier fast schon eine Begrüßungsformel. Binnen 24 Stunden fielen in der Gegend mehr als 400 Millimeter Regen. Das Hochwasser erreichte einen weiteren Rekordpegel von 14,37 Metern, mehr als zwei Meter höher als 2017, und überraschte viele Anwohner im Schlaf.

Selbst den "Lismore Square" hat die diesjährige Flut zerstört, ein erhöhtes Einkaufszentrum, das eigentlich hochwassersicher sein sollte. Die St. Carthage's Cathedral, vor mehr als 100 Jahren auf einem Hügel erbaut, der angeblich nicht von den Fluten erreicht werden konnte, wurde überschwemmt.

Im Pyjama die Flucht ergriffen

Melton und ihre neunjährige Tochter Pearl hatten noch am Abend vor der Flut entschieden, dass sie trotz des heftigen Regens sicher seien. Ihr Haus liegt ebenfalls auf einem Hügel weit entfernt vom Wilsons River. Bislang hatte es in dem Stadtteil keine Überschwemmungen gegeben.

Eine Anweisung zur Evakuierung um drei Uhr nachts, als der Damm brach, verschliefen sie. Als sie um fünf Uhr morgens in der Nacht auf Montag durch das Klopfen der Nachbarn geweckt wurden, sprudelte das Wasser schon wie ein Fluss durchs Haus. Nur im Pyjama konnten sie sich samt ihrer neun Haustiere zu den Nachbarn retten. Wenige Stunden später ragte nur noch die Dachspitze ihres Hauses an die Oberfläche.

Anderen erging es noch schlimmer. Sie konnten sich nur noch auf ihren Dächern in Sicherheit bringen. "Wenn jemand ein Boot hat und zur Engine Street kommen kann, dort sitzt eine schwangere Frau auf ihrem Dach. Bitte helft", schrieb der Bürgermeister der Stadt, Steve Krieg, auf Facebook. Er bezeichnete die Lage als "lebensbedrohlich" und "beispiellos".

Der Katastrophenschutz in Lismore, der von Freiwilligen betrieben wird, hat laut Krieg nur zwei Rettungsboote. Völlig unzureichend sei das. Menschen aus den umliegenden Regionen waren sofort mit ihren privaten Booten und Jetskis ausgefahren. Am Montagabend saßen noch immer Hunderte auf ihren Dächern und warteten auf Rettung.

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Die Folgen sind verheerend: sechs Tote allein im Bundesstaat New South Wales. Da viele Menschen aber noch immer nicht erreichbar sind, werde die Zahl wohl weiter steigen, fürchten die Behörden.

Drei Prozent aller Gelder für die Prävention

Das stößt vielen im Land bitter auf. In ihre Trauer über das jüngste Drama mischt sich die Wut. "Diese Katastrophe hätte verhindert werden können", sagt Melton. "Das ist ein unvergleichbar furchtbares Gefühl, wenn so eine Naturkatastrophe passiert und man komplett auf sich selbst gestellt ist", beschreibt sie. Hatten die Behörden denn nicht aus 2017 gelernt?

Einem aktuellen Report von Deloitte zufolge werden in Australien nur drei Prozent der für die Katastrophenhilfe bereitgestellten öffentlichen Gelder in die Prävention gesteckt. Der Rest der nationalen Ausgaben ist für den Wiederaufbau nach einer Katastrophe vorgesehen.

Fotos der Australian Defence Force sorgen für Wirbel

Zu all dem Übel tauchten in den sozialen Netzwerken dann auch noch Fotos auf, die für weiteren Ärger sorgen: Die Armee hat bei ihrer Ankunft in Lismore wohl statt anzupacken erst mal ein Fotoshooting abgehalten. Das haben Anwohner beobachtet und gefilmt.

Auch der australische Premierminister Scott Morison teilte mehrere der eindeutig gestellten Bilder auf seinem Instagram-Account und schrieb dazu: "Wir stehen den von den Überschwemmungen betroffenen Gemeinden zur Seite und werden sie bei der Erholung und beim Wiederaufbau unterstützen." In der Kommentarspalte des Fotos wird der Premierminister für seinen Post geradezu zerrissen. "Wählt ihn ab", schreiben mehrere. Andere taufen den Premierminister in "Scotty vom Marketing" um. Es sei ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die hilflos auf den Trümmern ihrer Existenz sitzen.

Auch das weckt Erinnerungen an eine ähnliche Situation in Deutschland, als ein Foto des lachenden CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Flutgebiet für einen Aufschrei sorgte. Der Vorfall trug vermutlich zu Laschets Pleite bei der Bundestagswahl bei. Auch in Australien wird dieses Jahr ein neues Parlament gewählt.

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Wie soll es nun weitergehen?

Deeley hatte – wie viele Anwohner – sein Unternehmen schon nach 2017 wieder aufgebaut. Ob die Stadt es noch mal schafft, da ist er sich nicht sicher. Hoffnungsvoll sei er jedoch und plane, seine Praxis auch dieses Mal wieder auf Vordermann zu bringen, denn: "Die Gemeinschaft verlasse sich auf ihn." Drei Tierärzte in der Region hätten alles verloren. Ärzte aus Brisbane und Sydney seien angereist, um die Versorgung der Tiere in der Region zu gewährleisten.

Melton sieht das anders. Man müsse die gesamte Stadt abreißen und an einem anderen Ort aufbauen, sagt sie. Lismore sei kein sicherer Ort mehr zum Wohnen.

Die Regierung des Bundesstaates hat indes viel Geld für den Neuaufbau versprochen. "Lismore wird besser werden", verkündete der Premier von NSW, Dominic Perrottet, bei einem Besuch in der Stadt.

Doch während Betroffene noch unter Schock stehen, steht auch die Sorge vor der nächsten Katastrophe im Raum: Wie lange dauert es, bis erneut die Flut über sie hereinbricht? Und wie viel höher steigt das Wasser dann? Das Vertrauen darauf, dass der Staat ihnen im Ernstfall rasch zur Hilfe eilt, haben die meisten mittlerweile verloren.

Australien leidet besonders unter der Klimakrise. Nach verheerenden Buschfeuern im vergangenen Jahr, hatte das Land erst im Januar erneute Hitzerekorde gebrochen. Der Flut vorausgegangen waren tagelange sintflutartige Regenfälle. Auslöser für das Extremwetter ist ein sich nur langsam bewegendes Tiefdruckgebiet.

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