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Deutschlands hilflose Justiz: Wenn Fahrraddiebe härter bestraft werden als Hacker


Deutschlands hilflose Justiz
Wenn Fahrraddiebe härter bestraft werden als Hacker

Von Dietmar Seher

Aktualisiert am 07.01.2019Lesedauer: 3 Min.
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Ein Mann sitzt vor seinem Laptop: In Deutschland fehlt vielfach noch das Bewusstsein für Gefahren im Netz.Vergrößern des Bildes
Ein Mann sitzt vor seinem Laptop: In Deutschland fehlt vielfach noch das Bewusstsein für Gefahren im Netz. (Quelle: Paul Zinken/dpa-bilder)

Nach den massiven Hackerangriffen auf Politiker fordern Rechtsexperten Reformen: Das deutsche Strafrecht stelle viele Cyberattacken nicht unter Strafe. Jeder Fahrraddiebstahl werde härter bestraft.

Der massive Hacker-Angriff auf rund 1.000 Politiker, Abgeordnete und Journalisten mit der Veröffentlichung von teils persönlichen Daten muss nach Ansicht von Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) Konsequenzen der Verbraucher für den Umgang mit der digitalen Welt haben. "Wir brauchen bei den Menschen ein höheres Bewusstsein, wie kostbar Daten sind", sagte sie auf der Jahrestagung des Beamtenbundes (dbb) in Köln.

Barley kündigte an, die Bundesregierung werde den Vorgang genau "durchleuchten". Entscheidend sei aber auch eine Verhaltensänderung im täglichen Umgang mit dem Computer. "Ich kann nur die Zwei-Faktor-Autorisierung empfehlen". Nutzer sollten sich einen zweiten Code zusenden lassen, was die meisten Anbieter auch im Programm hätten. Das sei etwas mehr Aufwand. Aber der sei nötig.

Oft keine Strafen

Die Justizministerin verteidigte die neue europäische Datenschutzgrundverordnung. 72 Staaten auf der Welt, darunter der US-Bundesstaat Kalifornien mit dem Standort Silicon Valley, hätten diese übernommen. Sie ging in Köln aber nicht auf weitergehende Vorschläge aus dem Kreis der Länderjustizminister ein, wo es Forderungen gibt, das Straf-und Strafprozessrecht vor dem Hintergrund der schnellen Digitalisierung grundlegend zu reformieren.

Tatsächlich steht der Staat Cyber-Attacken vielfach völlig hilflos gegenüber. Die deutschen Strafgesetze halten mit der Digitalisierung der Gesellschaft nicht mit. 2017 registrierte die Polizei 86.000 Fälle von Cybercrime-Angriffen – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent mit einem Gesamtschaden von 71,4 Millionen Euro. Doch die Grauzone ist riesig. Ertappte Hacker gehen meist straffrei aus, oder Angriffe werden als "Bagatelldelikte" bestraft. Das geht aus einem detaillierten Bericht hervor, der kürzlich auf einer Tagung des Bundeskriminalamts (BKA) vorgelegt wurde.

Der Strafrechtsexperte und Oberstaatsanwalt Rainer Franosch aus dem hessischen Justizministerium listet darin die bestehenden Strafrechtslücken bei der Verfolgung digitaler Kriminalität auf. "Derzeit sind Fahrräder besser geschützt als Smartphones oder Tablets mit höchstpersönlichen Daten. Denn bei den ersteren ist bereits die schlichte unbefugte Benutzung strafbar, bei letzteren nicht".

"Auf den Schultern der Opfer"

Schon der einschlägige Strafrechts-Paragraph 202 trägt noch den alten Namen "Verletzung des Briefgeheimnisses", dort ist mehrfach von "Schriftstücken" die Rede. In seinem Absatz a) wird zwar das Ausspähen von Daten unter Strafandrohung gestellt – aber nur dann, wenn sie durch eine besondere Zugangssicherung geschützt waren und der Täter diese Sicherung geknackt hat. "Das bedeutet, dass derzeit die Frage, ob der strafrechtliche Schutz eines Systems gegeben ist oder nicht, allein auf den Schultern der Opfer ruht", kritisiert Franosch.

Die Strafhöhen von digitaler und "analoger" Kriminalität klaffen weit auseinander. Angriffe auf digitale Systeme werden dort, wo es möglich ist, höchstens mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Den herkömmlichen einfachen Diebstahl können Gericht dagegen mit bis zu fünf Jahren ahnden, einen Wohnungseinbruch mit bis zu zehn Jahren. Dabei spiegelten "heutige Smartphones häufig nahezu die gesamte private und zum Teil auch die geschäftlichen und beruflichen Aktivitäten ihrer Benutzer wieder", heißt es in dem Bericht. Dieser Zustand werde der Bedeutung digitaler Daten nicht gerecht.

Grundlegender Gesetzesumbau

Auch der Einbau so genannter Hardwaretrojaner geht vielfach straffrei aus. Franosch nennt dazu ein Beispiel: "Ein Straftäter baut vor dem Weiterverkauf in Laptops, Router oder Smartphones Bauteile ein, die eine spätere heimliche Systemübernahme ermöglichen. Eine heimliche Datenausleitung über voreingebaute Hardware-Bauteile ist von Paragraph 202a des Strafgesetzbuches nicht erfasst, da von Anfang an keine Zugangssicherung gegeben ist".


Erhebliche Defizite gebe es auch bei den Möglichkeiten der Justiz, gegen beim Aufbau so genannter Botnetze vorzugehen. Dabei installieren Täter – vom Benutzer unbemerkt – automatisiert Schadsoftware auf dessen Computer, die beispielsweise Kontodaten abschöpfen. Die Hacker können infizierte Computer auch zu einem weltweiten Netzwerk zusammenbinden, um so Befehlseingaben der Täter auszuführen. Auf diese Weise können gezielt Webseiten überlastet werden.

Der Bericht schlägt einen grundlegenden Gesetzesumbau vor. Es soll einen Straftatbestand "Digitaler Hausfriedensbruch" geben. Nur so könne "ein lückenloser strafrechtlicher Schutz aller Systeme und die Strafbarkeit nahezu aller Angriffsarten sichergestellt werden", glaubt der Experte.

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