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Rosa Luxemburg: Wer steckt hinter der Ermordung der roten Ikone?


Rosa Luxemburg
Wer plante die Ermordung der roten Ikone?

Von Dietmar Seher

10.01.2020Lesedauer: 6 Min.
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Rosa Luxemburg auf dem Sozialistenkongreß 1907 (nachträgliche Kolorierung): 1919 wurde die Sozialistenführerin ermordet.Vergrößern des Bildes
Rosa Luxemburg auf dem Sozialistenkongreß 1907 (nachträgliche Kolorierung): 1919 wurde die Sozialistenführerin ermordet. (Quelle: ullstein-bild)

Ein Kopfschuss tötete 1919 die legendäre Sozialistin Rosa Luxemburg. Hintergründe des Mordes, und welche Verantwortung möglicherweise hohe SPD-Politiker trugen, sind bis heute ungeklärt.

Der Schleusenarbeiter schien Mühe zu haben. Irgendeinen Gegenstand wollte er im Berliner Tiergarten, nahe der Unteren Freiarchenbrücke aus dem Wasser ziehen. Der zufällig vorbeikommende Tischler Otto Fritsch kam ihm zur Hilfe. Gemeinsam bargen sie eine Frauenleiche aus dem Landwehrkanal.

Am 3. Juni 1919, drei Tage nach dem Fund, untersuchten die Rechtsmediziner Fritz Straßmann und Paul Fraenckel die Tote. Ihr Obduktionsbericht spricht von "schweren Schädelverletzungen durch Kolbenschläge". Aber ein Nahschuss aus der Pistole und "die durch den Schuss bewirkte schwere Zertrümmerung der Schädelgrundfläche" sei wahrscheinlich die Todesursache. Eindeutig also: Die Frau, Ende 40, war ermordet worden. Ihren Namen kannte im Berlin jener Jahre jedes Kind: Rosa Luxemburg.

Verantwortlicher spricht mit der Presse

Der gewaltsame Tod der Mitführerin des linksradikalen Spartakusbundes und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) liegt mehr als ein Jahrhundert zurück. "Ich ließ Rosa Luxemburg richten", gestand der ehemalige Offizier Waldemar Pabst Jahrzehnte später den "Spiegel"-Redakteuren Hans Schmelz und Martin Virchow in seiner Wohnung in Düsseldorf. 1962 war das, längst zu einer anderen Zeit und in einer anderen Republik.

Notwendig im nationalen Interesse sei sein Handeln gewesen, lässt er in dem Interview durchblicken. Und dass er Rückendeckung aus der Reichsregierung gehabt hat. Doch wer genau die Hinrichtung wollte? Wer sie absegnete? Auch: Wer genau sie mit der Schusswaffe vollzog? Solche Fragen nach Motiv, Tätern und Hintermännern sind bis heute ungeklärt, zumindest umstritten – und nicht nur für Historiker brisant.

Der Autor Klaus Gietinger, der den Fall bis ins Detail recherchiert hat, appellierte 2018 im Vorwort seines Buches "Die Ermordung Rosa Luxemburgs" an die SPD, eine mögliche eigene Verwicklung in das Mordkomplott aufzuarbeiten: "Holt die Leichen aus eurem Keller und bekennt euch zur Verantwortung."

Die Zeichen standen auf Bürgerkrieg

Jahresbeginn 1919: Das politische Klima in Deutschland ist aufgeheizt. Links und Rechts sind unversöhnlich. Sie stehen sich gewaltbereit gegenüber, drohen sich gegenseitig mit der "Stunde der Abrechnung" und dem "Schafott". Gerade zwei Monate sind Weltkriegsende und Revolution her, die die deutsche Niederlage und das Aus für das Kaiserreich besiegelt haben. Eine Übergangsregierung aus Sozialdemokraten und zunächst auch aus Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) bereitet in einem "Rat der Volksbeauftragten" für den 19. Januar Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung vor.

Eine Personalrochade zündet den Funken. Die sozialdemokratischen Volksbeauftragten Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Gustav Noske werfen den Berliner Polizeipräsidenten und USPD-Mann Emil Eichhorn aus dem Amt, weil er Meuterer unterstützt hatte. Die linken Sozialisten erbost das. Sie antworten mit einem Aufstand, wollen eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild errichten. Arbeiter, aufgefordert durch den in die KPD aufgehenden Spartakusbund, besetzen Zeitungsredaktionen und das Presseviertel. Die Reichsregierung schickt bewaffnete Einheiten. Sie verbündet sich dafür mit rechts stehenden Armeeeinheiten und Freikorps. Blut fließt.

Binnen einer Woche ist der Aufruhr zusammengeschossen. Zahlreiche Menschen sind Straßenschlachten und Häuserkämpfen zum Opfer gefallen. Aber Rosa Luxemburg, 1871 in Russisch-Polen geboren, und der Arbeiterführer Karl Liebknecht träumen weiter von einer zweiten Revolution nach dem Vorbild Lenins und des sowjetischen Umsturzes von 1917. Mit Demokratie nach dem Willen des SPD-Führers Ebert hat das nichts zu tun. Beide linke Führungsfiguren sind in den Kreisen von Regierung berüchtigt, bei nationalistischen Gruppen geradezu verhasst. Man sucht sie als Rädelsführer des Aufstandes, Flugblätter ("Tötet Liebknecht") rufen zum Mord auf. Wut entfachende Gerüchte verbreiten sich. War es nicht die Luxemburg, die selbst mit einem Maschinengewehr am "Vorwärts"-Gebäude Soldaten hingemäht hat?

"Sind Sie Frau Rosa Luxemburg?"

Das ist falsch. Liebknecht und Luxemburg haben sich in den Tagen des Aufstands etwa im Bezirk Wilmersdorf versteckt gehalten. Doch gegen Abend des 15. Januar werden beide zusammen mit dem späteren DDR-Staatschef Wilhelm Pieck von fünf Mann einer sogenannten Wilmersdorfer Bürgerwehr aufgespürt und festgesetzt. Der Lohn ist hoch: 1.700 Mark pro Kopf.

Zwei Millionen Besucher laufen jährlich durch das Elefantentor an der heutigen Budapester Straße, um die Tiere im Berliner Zoo zu sehen. Wenige von ihnen ahnen: Die andere Fahrbahnseite war einmal ein spektakulärer Tatort. Dort stand vor 100 Jahren das Hotel "Eden". Wo in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 der Generalstabsoffizier Waldemar Pabst von der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zwei der spektakulärsten politischen Morde des 20. Jahrhunderts plante.

21.30 Uhr. Karl Liebknecht und eine halbe Stunde nach ihm Rosa Luxemburg werden ins "Eden" gebracht. Ihre Ermordung ist beschlossene Sache. Als "Alte Hure" bezeichnen sie die Soldaten im Foyer. Eine Wartezeit bis zum Verhör nutzt Luxemburg, um ihren zerrissenen Rocksaum zu flicken und Passagen aus Goethes "Faust" zu lesen. "Sind Sie Frau Rosa Luxemburg?", fragt Hauptmann Pabst schließlich. "Entscheiden Sie bitte selber", antwortet sie.

"Auf der Flucht erschossen"

Während sie noch befragt wird, hat man Liebknecht nach draußen zum Auto gebracht. Ein Husar namens Otto Runge schlägt ihm an der Hoteltür einen Gewehrkolben über den Kopf. Unterwegs täuschen die Bewacher eine Panne am Auto vor. Er soll aussteigen. Dann treffen ihn – angeblich "auf der Flucht erschossen" – Kugeln in den Rücken.

23.40 Uhr. Unter Begleitung von Oberleutnant Kurt Vogel, dem Transportführer, verlässt auch Luxemburg das Hotel. Zum zweiten Mal an diesem Abend holt Runge zum Kolbenschlag aus, Luxemburg verliert das Bewusstsein – ein Vorgang, der Pabst wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit gar nicht gefällt und von dem er sich später zynisch distanziert. "Das stand nicht in meinem 'Programm'", wird er 1962 dem "Spiegel" erzählen. Das Fahrzeug mit der Schwerverletzten setzt sich in Bewegung. Nach kurzer Zeit hält ihr ein Mann vom Trittbrett des Autos aus eine Pistole an die Schläfe und drückt ab. Luxemburg stirbt. Die Tote wird in den nahen Landwehrkanal geworfen.

Die Nachrichtenagentur Wolffs Telegraphisches Bureau sendet bald eine Falschmeldung: Beim Verlassen des Hotels sei Rosa Luxemburg "von einer aufgebrachten Menschenmenge" getötet und die Leiche "entwendet" worden. Es ist nur der erste Akt der Vertuschung. Zwar gelingt dem früheren Lebensgefährten Luxemburgs, Leo Jogiches, drei Wochen später in der "Roten Fahne" eine der Wirklichkeit nahe kommende Darstellung der Todesnacht. Aber die Aufklärung der beiden Morde im Verlauf des Jahres 1919 gerät zur Farce.

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Aufklärung war eine Farce

Denn die SPD-Politiker Ebert, Scheidemann und Noske überlassen das Militärrichtern – einer wenig vertrauenswürdigen Stelle. In der Strafsache "Otto Runge und Genossen wegen Ermordung von Dr. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg" verurteilen sie Transportführer Vogel und den Husaren Runge, unter anderem wegen illegaler Beseitigung einer Leiche, letzten Endes zu geringen Haftstrafen.

Beide waren ohnehin allenfalls Tatbeteiligte. In den Regalen des Bundesarchivs in Koblenz und Freiburg liegen Dokumente der Reichskanzlei, die Prozess- und Untersuchungsakten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, der Nachlass von Waldemar Pabst und Sammlungen von Luxemburg und Liebknecht. Aus ihnen ergibt sich, so die zusammenfassende Wertung des Bundesarchivs, wer der Mann gewesen ist, der vom Trittbrett aus Luxemburg erschoss: Danach hat nicht etwa Vogel Luxemburg getötet, sondern der Leutnant zur See, Hermann Souchon.

1920 ist Souchon, der in der Tatnacht zum Begleitkommando gehörte, nach Finnland geflohen. In der Nazi-Zeit stieg er zum Luftwaffen-Oberst auf. Er lebte, den Mord in einer eidesstattlichen Versicherung leugnend und juristisch unbehelligt, bis zum Tod 1982 im hohen Alter in Crailsheim und Bad Godesberg. Die Südwestpresse berichtete, er habe zu den Gründern des Christlichen Jugenddorfes in Stuttgart gehört, das sich um Kriegswaisen kümmere.

Was wusste der SPD-Mann Noske?

Die sterblichen Überreste von Waldemar Pabst lagen 1982 bereits seit zwölf Jahren auf einem Friedhof in Düsseldorf. Auch Pabst, der sich nach Gründung der Bundesrepublik den Lebensunterhalt als Waffenhändler verdiente und laut eigenem Geständnis Rosa Luxemburg "richten ließ", hat nie vor einem deutschen Gericht gestanden. Wie auch: Noch 1962 stufte ein "Bulletin" der Adenauer-Regierung Luxemburgs Tod als – rechtmäßige – "standrechtliche Erschießung" ein. Bis heute hat kein Nachfolge-Kabinett diese Bewertung korrigiert.

Doch Pabst hat zwei Behauptungen über die entscheidenden Stunden der Nacht des 15. Januar 1919 hinterlassen, die – wären sie richtig – jene tiefen Wunden ins Geschichtsbewusstsein der Sozialdemokraten reißen könnten, die der Autor Klaus Gietinger angedeutet hat.

Die erste: Der SPD-Volksbeauftragte Noske habe ihm, Pabst, in einem Telefonat das grundsätzliche Ja zur Tötung Liebknechts und Luxemburgs gegeben, über das "Wie" aber geschwiegen. Die zweite zitiert das Bundesarchiv in seiner Zusammenfassung der dort lagernden Akten. "Pabst hat ... ab 1969 mehrfach deutlich betont, dass diese Ermordung mit der SPD-Führung in Person von Noske und vermutlich auch Ebert abgesprochen war."

Bereits Noskes Verquickung lässt sich "nicht zweifelsfrei beweisen", schreibt allerdings der Historiker Mark Jones in seinem 2017 erschienenen Buch "Am Anfang war Gewalt". Und Ebert? Friedrich Ebert ist eine Lichtgestalt der SPD. Nach ihm ist die Parteistiftung benannt. Und er wurde, nicht lange nach der Todesnacht am Landwehrkanal, zum ersten Reichspräsidenten der demokratischen Weimarer Republik gewählt.

Verwendete Quellen
  • Klaus Gietinger: Die Ermordung Rosa Luxemburgs, Hamburg 2018
  • Mark Jones: Am Anfang war Gewalt, Berlin 2017
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