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Ukraine: Wolodymyr Selenskyj kündigt personellen Neuanfang an


"Neustart ist notwendig"
Selenskyj kündigt massive Entlassungswelle an

Von Christoph Cöln

Aktualisiert am 05.02.2024Lesedauer: 3 Min.
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Region Saporischschja.Vergrößern des Bildes
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M.) in der Region Saporischschja. (Quelle: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa)

Präsident Selenskyj verschärft den Machtkampf mit der militärischen Führung seines Landes. Er kündigte eine Entlassungswelle an. Der Schritt birgt große Risiken.

Wolodymyr Selenskyj will laut eigenen Aussagen die politische und militärische Führungsstruktur des Landes umbauen. Das sagte der ukrainische Präsident in einem Interview mit dem italienischen TV-Sender Rai. "Ein Neustart ist notwendig", so Selenskyj. "Ich denke über diesen Austausch nach. Es ist eine Frage für die gesamte Führung des Landes."

Wen dieser personelle Neuanfang vor allem treffen könnte, zeichnet sich seit Wochen ab: den Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj. Von einer "Fehde" zwischen den beiden Männern ist zu lesen. Offenbar ist Saluschnyj beim Präsidenten in Ungnade gefallen, nachdem der Militär zuletzt in Interviews und Essays mehrfach auf die schwierige Lage der ukrainischen Truppen bei der Verteidigung gegen den russischen Aggressor hingewiesen hatte.

Selenskyj erklärte am Sonntag im Sender Rai, dass nun Einigkeit und Zuversicht notwendig seien. "Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir alle am selben Strang ziehen", sagte der Präsident. Offenbar sieht er knapp zwei Jahre nach dem Beginn der russischen Invasion diese von ihm propagierte Zuversicht bei Saluschnyj nicht mehr als gegeben an. "Wir dürfen nicht entmutigt sein, wir müssen die richtige und positive Energie haben. Negativität muss zu Hause bleiben. Wir können es uns nicht leisten, aufzugeben."

Mögliche Nachfolger werden bereits gehandelt

Wie mehrere US-Medien berichteten, soll Selenksyj den Oberkommandierenden bereits in der vergangenen Woche in sein Büro gebeten und ihm die Entscheidung seiner bevorstehenden Entlassung mitgeteilt haben. Auch soll der Präsident Saluschnyj eine neue Rolle angeboten haben. Welche das sein könnte, wurde nicht bekannt. Saluschnyj soll jedoch abgelehnt haben. Als mögliche Nachfolger im Amt des Oberkommandierenden waren Heereschef Olexander Syrskyj und Militärgeheimdienstchef Kyrylo Budanow genannt worden.

Offenbar hat Selenskyj seine Entscheidung dem wichtigsten Verbündeten USA bereits mitgeteilt. Wie die Biden-Regierung auf den möglichen Plan einer Entlassung Saluschnyjs reagierte, ist nicht bekannt.

In der Vergangenheit hatte es wiederholt Differenzen zwischen Selenskyj und Saluschnyj gegeben. Im November erklärte der General, der Krieg sei in eine Pattsituation getreten, und zog damit eine Rüge des Präsidenten auf sich. Zuvor hatte das ukrainische Militär mit einer Gegenoffensive nur begrenzte Erfolge gegen die Stellungen der russischen Armee an der rund 1.000 Kilometer langen Front erzielt. In einem jüngst veröffentlichten Beitrag für den US-Fernsehsender CNN kritisierte Saluschnyj unter anderem, dass man aufgrund des Widerstands in der Ukraine keine hinreichende Kampfkraft aufbauen könne.

Für Selenskyj könnte der Schritt riskant sein. Saluschnyj gilt als äußerst beliebt in der Ukraine – laut Meinungsumfragen ist er sogar beliebter als der Präsident selbst. Würde Saluschnyj für ein politisches Amt kandidieren, könnte er zur Bedrohung für den Präsidenten werden. Derartige Ambitionen hat Saluschnyj bislang jedoch stets von sich gewiesen.

"Davon wollen wir wegkommen"

Der 50-jährige General wird in dem Land als Held verehrt, wird ihm doch die erfolgreiche militärische Zurückschlagung der ersten Welle der russischen Invasion im Frühjahr 2022 und die Verteidigung der Hauptstadt Kiew zugeschrieben. Wie "The Japan Times" von ukrainischen Soldaten erfahren haben will, könnte seine Entlassung in der Armee Unmut erregen. "Dann wird es einen Aufstand geben", zitiert die Zeitung einen Soldaten.

Saluschnyj gilt als unprätentiös und progressiv. Er ist der erste ukrainische Oberbefehlshaber, der nicht nach den Maßstäben der sowjetischen Armee ausgebildet wurde. Saluschnyj gilt zudem als taktisch versiert und an westlichen Militärstandards interessiert. Auch hat er in der ukrainischen Armee dafür gesorgt, dass die Befehlskette modernisiert wurde. So haben die Soldaten unter ihm mehr Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen erhalten.

"Diese neue Generation an Soldaten wird die Armee innerhalb von fünf Jahren komplett verändern", sagte Saluschnyj in einem Interview im Jahr 2020, das vom ukrainischen Verteidigungsministerium veröffentlicht wurde. "Fast jeder von ihnen spricht eine Fremdsprache, ist geübt darin, mit modernem Gerät umzugehen, und ist belesen. Wir wollen davon wegkommen, Landkarten zu studieren und Schlachtpläne zu entwerfen, als ob wir im Jahr 1943 wären."

Für diesen neuen Ansatz hat der General viel Lob erhalten, auch von den westlichen Verbündeten. Experten gehen davon aus, dass die USA und andere Nato-Alliierten einer Entlassung Saluschnyjs möglicherweise kritisch gegenüberstehen.

Der Leiter des Sonderstabes Ukraine im Bundesverteidigungsministerium, Generalmajor Christian Freuding, sagte, auf das mutmaßliche Zerwürfnis der beiden Männer angesprochen, dass solche Diskussionen auf Dauer den Verteidigungsanstrengungen der Ukraine nicht zuträglich seien. "Natürlich beobachten wir diese Diskussionen zwischen der militärischen und der politischen Führung. Und natürlich wünschen wir der Ukraine, dass sie die Einigkeit wahrt, die sie in den letzten Monaten und Jahren stark gemacht hat bei der Verteidigung ihres Landes", so der Generalmajor.

Verwendete Quellen
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