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Schattenkriege der Ritter: Wie Spezialkommandos im Mittelalter Kriege entschieden


Schattenkriege der Ritter
Wie Spezialkommandos im Mittelalter Kriege entschieden

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 22.11.2020Lesedauer: 4 Min.
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Erstürmung Konstantinopels 1204 (Symboldbild). Viele Eroberungen im Mittelalter verdankten sich Geheimoperationen, der Historiker Yuval Noah Harari hat ein Buch darüber verfasst.Vergrößern des Bildes
Erstürmung Konstantinopels 1204 (Symbolbild). Viele Eroberungen im Mittelalter verdankten sich Geheimoperationen, der Historiker Yuval Noah Harari hat ein Buch darüber verfasst. (Quelle: Collection privee/imago-images-bilder)

Ritter, Tod und Teufel: Im Mittelalter wurde nicht nur mit Schwert und Lanze gekämpft, sondern auch mit List und Tücke. Geheime Kommandounternehmen brachten ganze Festungen zu Fall.

Große Ziele hatten die Ritter des Ersten Kreuzzugs, als sie 1096 gen Osten aufgebrochen waren. Doch zwei Jahre später sah es im Frühjahr für die Kämpfer aus dem Abendland alles andere als rosig aus. Sie belagerten erfolglos Antiochia, eine schwer befestigte und überaus gut versorgte Stadt am Fluss Orontes im Süden der heutigen Türkei.

So weit, so schlecht. Denn aus dem Osten zog eine starke Truppe der muslimischen Seldschuken heran, es war nur eine Frage der Zeit, bis die Christen zwischen den Mauern Antiochias und den Schwertern der auf Rache sinnenden Entsatzarmee zerrieben werden würden.

Im Zweifel hilft der Verrat

Was tun? Verräter anwerben ist in einem solchen Fall keine schlechte Taktik. Bohemund von Tarent, ein gewiefter Abkömmling eines normannischen Adelsgeschlechts, sicherte sich die Gunst eines Verteidigers Antiochias, der einen Teil der Mauern befehligte.

So schlich sich in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni 1098 ein geheimes Kommando unter Bohemund durch die Dunkelheit Richtung Antiochia. Sein Ziel war der sogenannte Zwei-Schwestern-Turm, in dem der Verräter wartete. Mit dem Befehl "stark im Herzen" zu sein, sandte Bohemund seine Männer voran.

Doch so umsichtig der Verrat und die angreifende Kommandotruppe vorbereitet worden waren, so dilettantisch waren Teile der Umsetzung. Denn beim eiligen und vor allem möglichst lange geheim zu haltenden Erklimmen der feindlichen Befestigung – immerhin knapp zwölf Meter hoch – waren Leitern sehr von Vorteil.

Allerdings hatten die Angreifer nur eine im Gepäck – die irgendwann unter der Belastung zusammenbrach. Gute Chancen für die alarmierten Verteidiger, das christliche Spezialkommando niederzumachen. Andere Kreuzfahrer hatten jedoch zur gleichen Zeit einen weiteren Eingang erfolgreich aufbrechen können. Mit Mordlust stürmten sie Antiochia und richteten ein Blutbad an, selbst unter den Christen der Stadt. Von "schrillen Schreien unzähliger Menschen" berichtete ein Zeitzeuge.

Eine Glorifizierung wäre falsch am Platz

Die Eroberung Antiochias ist eines von mehreren Beispielen, die der Historiker und internationale Bestsellerautor Yuval Noah Harari, bekannt etwa für "Eine kurze Geschichte der Menschheit", in seinem Buch "Fürsten im Fadenkreuz – Geheimoperationen im Mittelalter 1100-1550" schildert, um die Geschichte derartiger Militärunternehmungen zu untersuchen. Denn nicht immer entschieden allein die großen Armeen in Schlachten über Wohl und Wehe des Krieges.

Die Aktionen sind räumlich und zeitlich begrenzt, den Umständen entsprechend werden auch nur wenige Akteure beteiligt – so definiert Harari die "Geheimoperationen", die mit relativ überschaubarem Einsatz aus militärischer Sicht verhältnismäßig großen Erfolg erzielen können. Und gerade in unserer Gegenwart bisweilen hohes Ansehen genießen. So regiert in Hararis Heimat Israel mit Benjamin Netanjahu ein früheres Mitglied der Eliteeinheit der israelischen Streitkräfte Sayeret Matkal, der auch sein Amtsvorgänger Ehud Barak angehört hat.

Dabei will Harari diese spezielle Art der Kriegsführung in seinem Buch keineswegs glorifizieren. Denn die Tätigkeit eines Spezialkommandos war schon vor Jahrhunderten in einem Spannungsfeld gefangen. Zwischen Heldenverehrung für die kühnen Aktionen auf der einen Seite – und dem Wissen, dass Mittel wie Verrat und Hinterlist oder gar Meuchelmord wie auch Entführungen ganz und gar dem ritterlichen Anspruch, fair und offen zu kämpfen, widersprachen.

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Gefürchtet allerorten

Derartige Ansprüche hatte eine der gefährlichsten Mächte im Nahen Osten allerdings nicht. Gemeint ist die Sekte der Nizariten, oder auch "Haschischin", die "Haschischraucher", genannt. Besser bekannt sind sie bis heute als die "Assassinen". Klein als schiitisch-islamische Gemeinschaft, aber bedeutend an Einfluss zollten ihr zahlreiche Herrscher Respekt und Tribut.

Denn die Nizariten waren für ihre Meuchelmorde bekannt wie gefürchtet, die Liste ihrer Opfer war lang. Am 28. April 1192 ergänzten sie auf dieser Konrad von Montferrat, einen Helden der Kreuzfahrerstaaten im Nahen Osten und kurzfristig auch König von Jerusalem. Eigentlich wollte Konrad an diesem besagten Tag in Tyros nur nach Hause zurückkehren, nichts Böses ahnend, als er eine Gasse durchquerte.

Er schenkte dabei zwei Mönchen keine größere Beachtung – ein schwerer Fehler, am Ende sogar ein tödlicher. Ein Dolch blitzte auf, Konrad hauchte sein Leben aus. Und der Ruf der Nizariten als tödliche Bedrohung war erneut bewiesen. Selbst im fernen Europa ging die Furcht vor den Assassinen um.

Eine Mühle brachte einen Kaiser zum Rückzug

Auf ganz andere Art und Weise machte ein Spezialkommando im Sommer 1536 Kaiser Karl V. zu schaffen. Der Habsburger regierte ein Imperium, wie es die Geschichte selten hervorgebracht hat. Das Heilige Römische Reich zählte etwa dazu, auch Spanien mit seinem einträglichen Kolonialreich jenseits des Atlantiks. Eingekeilt dazwischen in Europa: Frankreich unter seinem König Franz I.

1535 war es zum Waffengang gekommen, und vor dem gewaltigen, in die Provence einfallenden Heer Karls taten die Franzosen das einzig Richtige: Sie traten den Rückzug an. Allerdings nicht ohne den Gegnern verbrannte Erde zu hinterlassen. Nur einige wenige Mühlen lieferten dem kaiserlichen Heer im besetzten Gebiet Getreide. Entsprechend zog 1536 Blaise de Monluc, ein armer, aber sehr ambitionierter Adliger aus der Gascogne, einen handverlesenen Trupp von wenig mehr als 100 Mann in Marseille zusammen. Das Ziel war die Stadt Auriol. Dort produzierte eine Mühle Mehl, um die Mägen der feindlichen Soldaten zu füllen.

Allerdings nicht mehr für lange Zeit. Im Schutze der Nacht griffen Monlucs Männer an, es kam zum Gefecht mit den Wachen. Schließlich zerstörten die siegreichen Franzosen die Mühle. Und entschwanden im Schutz der Dunkelheit. Auriol war so ein weiterer Sargnagel im Scheitern der Kriegspläne Karls V., dem die Soldaten auch angesichts der schlechten Versorgungslage wegstarben. Anfang September waren rund 8.000 tot – ohne einen größeren Kampf mit den Franzosen ausgetragen zu haben.

So bewiesen Blaise de Monluc und seine Männer die Effektivität von Geheimoperationen auch in der Frühen Neuzeit, wie es Harari anschaulich erklärt. Dieses Beispiel und die Geschichte der vorhergehenden Spezialoperationen machen aber vor allem eines klar: Selbst in einer Kultur wie der der Ritter, in denen Anstand, Ehre und Fairplay bei Kriegshandlungen derart hohe Werte waren, wurde immer wieder zu fragwürdigen Mitteln bis hin zu Mord gegriffen. Denn die Entgrenzung ist keine Abweichung im Kriegsgeschehen, sie ist das Wesen des Krieges. Besser, wenn es gar nicht erst zum Konflikt kommt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Yuval Noah Harari: Fürsten im Fadenkreuz. Geheimoperationen im Zeitalter der Ritter 1100-1550, München 2020
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