t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeSportFußballKolumne - Stefan Effenberg

Kolumne von Stefan Effenberg: Das wahre Problem des deutschen Fußballs


Von wegen TV-Gelder
Das wahre Problem des deutschen Fußballs

MeinungEine Kolumne von Stefan Effenberg

Aktualisiert am 02.04.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Leroy Sané und Joachim Löw bei einer DFB-Pressekonferenz.Vergrößern des Bildes
Leroy Sané und Joachim Löw bei einer DFB-Pressekonferenz. (Quelle: Christian Schroedter/imago-images-bilder)

Es geht immer um fehlende TV-Gelder oder gesellschaftliche Nachteile. Leute, ihr habt den entscheidenden Punkt verfehlt.

Das Aus von Bayern, Dortmund und Schalke in der Champions League, der Umbruch in der Nationalmannschaft und die heftige Kritik am deutschen Fußball – ich habe die Entwicklung in den vergangenen Wochen genau beobachtet und muss sagen: Leute, ihr habt den Punkt bei der Ursachenforschung verfehlt. Wir können gern weiter über fehlende TV-Gelder sprechen oder angebliche gesellschaftliche Nachteile – das wahre Problem im deutschen Fußball ist aber ein anderes.

Die DFB-Unterlagen zeigen das Problem

Ich habe 2011/12 die Uefa Pro Lizenz erworben, also die Trainerlizenz. Übrigens gemeinsam mit dem neuen Cheftrainer der Nachwuchs-Nationalmannschaften, Meikel Schönweitz. Ich habe meine Unterlagen von damals für diese Kolumne noch mal rausgeholt. Es gibt beim DFB die Prüfungsfächer Fußballlehre, Sport-Psychologie, Konditionslehre, Sport-Biologie und Dokumentation. Und das zeigt schon, woran es hapert.

Für mich stach natürlich die Fußballlehre von Anfang an heraus, bei der es beispielsweise um Trainingsformen und -aufbau geht. Psychologie hat mich natürlich auch interessiert, das ist einfach mega wichtig. Auch die Dokumentation der Praktika ist wichtig – obwohl ich das Training beim FC Bayern selbst schon jahrelang mitgemacht habe. Zu Sport-Biologie oder Konditionslehre muss ich allerdings sagen: Jeder Trainer hat heute ein Ärzteteam, Athletiktrainer und Fachleute für diese Bereiche. Da braucht es im Lehrgang nicht dieses Gewicht.

Fußball findet nicht auf dem Papier statt

Wenn du zum Fußballlehrer ausgebildet wirst, muss das Verhältnis doch so sein, dass du 70 bis 75 Prozent in der Praxis arbeitest, also auf dem Platz stehst. Was ich erlebt habe, war das Gegenteil. Wir saßen bis auf wenige Ausnahmen permanent im Unterrichtsraum. Wir haben Blätter bekommen, um Spielformen auf DIN A4 aufzumalen.

Fußball findet aber nicht auf dem Papier statt, sondern auf dem Platz.

Die Theorie und die Schablonen sind dann natürlich genau das, was die Absolventen in die Nachwuchsleistungszentren mitnehmen und dort vermitteln. Da werden dann die jungen Spieler hineingepresst und ihrer Kreativität beraubt. Denn die geht so komplett verloren.

Fatal für die Persönlichkeitsentwicklung

Sie bekommen auf dem Papier diverse Pass- und Laufwege gezeigt, sind aber gar nicht mehr in der Lage, Situationen mit einer eigenen Idee zu lösen. Es ist sicherlich in Ordnung, den Spielern Möglichkeiten aufzuzeigen – aber es darf nicht zu viel werden.

In den Nachwuchsleistungszentren gibt es Regeln, Regeln, Regeln. Das kann doch nicht gesund sein. Da besteht die Gefahr, dass die Freude irgendwann verloren geht. Dann kommen sie nicht mehr an die Leistungsgrenze. Für die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler ist das fatal. Kreativität und Eigenverantwortung muss man fördern, nicht einschränken.

Nachschulungen? Teilweise grenzwertig

Für mich steht fest: Der DFB muss schnellstmöglich die gesamte Trainerausbildung umstrukturieren. Und das muss dann auf die Nachwuchsleistungszentren übertragen werden.

Das gilt übrigens auch für die Nachschulungen. Was du da gesagt bekommst, ist teilweise grenzwertig. Da gibt es mal einen Vortrag über Ernährung, dann einen zum Frauenfußball. Bitte nicht falsch verstehen, aber da bin ich doch dann falsch. Wieso sind die Hauptthemen nicht Führung, Psychologie oder Öffentlichkeitsarbeit, wenn die Lehrgänge schon nicht auf dem Platz stattfinden?

Wir sind auf dem Weg nach unten

Meikel Schönweitz ist der neue Cheftrainer der Nachwuchs-Nationalmannschaften beim DFB. Ich mag ihn als Typen. Ich habe mich aber doch über seine Äußerungen in Interviews gewundert – auch bei t-online.de. Er lobte die Jugendarbeit beim DFB grundsätzlich und erzählte von den Impulsen, die sie sich aus anderen Sportarten holen. Da sind aus meiner Sicht einige Punkte fernab der Realität. Die U19 des DFB hat die EM-Qualifikation verpasst, die U17 muss noch zittern. Wir befinden uns ganz klar auf dem Weg nach unten.

Er hat beispielsweise von einem gesellschaftlichen "Problem" gesprochen. England oder Frankreich hätten Vorteile, weil Kinder aus sozialen Brennpunkten um Paris oder London mehr Biss und Willen haben, um Profi zu werden und anschließend möglichst erfolgreich. Es muss doch aber auch in München-Grünwald oder Hamburg-Blankenese möglich sein, diesen Willen zu entwickeln. Du musst die Jungs eben dahin bringen.

Bei Tedesco sehen wir ein Problem

Es ist doch wichtig, dass er den Finger in die Wunde legt und das nicht DFB-mäßig schönredet. Sonst werden wir nicht besser, sondern noch schlechter.

Wenn man sich die Kurse und Absolventen des Trainerlehrgangs anschaut, fällt auf, dass es dort kaum Ex-Nationalspieler oder ehemalige Spitzenfußballer gibt. Auch sie wird man nur wieder begeistern können, wenn man die Ausbildung verändert.

Wir sehen am Beispiel Tedesco ein Problem: Ihm fehlte die Erfahrung als Spieler, um ein paar Dinge zu erkennen, beispielsweise mit der Hierarchie. Er trennte sich von Kapitän Höwedes, nahm dessen Nachfolger Ralf Fährmann aus dem Tor und gab weitere Führungsspieler ab. Letztlich stand er quasi ohne da. Hätte er früher hochklassig Fußball gespielt, hätte er das sicher anders eingeschätzt.

Auch Guardiola würde mit Hannover absteigen

Jetzt werden einige sagen: Ausgerechnet Stefan Effenberg kritisiert die Trainerausbildung? Der war nur in Paderborn und ist da entlassen worden.

Aber lassen Sie mich dazu zwei Beispiele aufführen. Thomas Doll war ein Superspieler und steigt jetzt wahrscheinlich mit Hannover ab. Ich behaupte, dass selbst Pep Guardiola mit Hannover absteigen würde.

Oder Jupp Heynckes: Der war auf Schalke und in Mönchengladbach nicht erfolgreich, mit dem FC Bayern hat er das Triple gewonnen, weil er ein überragender Trainer ist. Da ist dann eben doch die Arbeit der Sportdirektoren und Kaderplaner mindestens genauso entscheidend. Das sind am Ende die Hauptverantwortlichen für Erfolg und Misserfolg.

Fragwürdig: Jetzt ist Sané der Heilsbringer

Aber zurück zur Nachwuchsarbeit und den jungen Spielern. Bundestrainer Joachim Löw gibt den Jungen jetzt in der Nationalmannschaft eine Chance – und im Spiel nach vorne mag das auch funktionieren. Ich sehe da in der Defensive aber Probleme. Süle, Ginter, Rüdiger und Kehrer sollen es jetzt richten. Es ist schön, dass sie die Chance bekommen, aber der Druck ist enorm, der auf ihnen lastet. Da wäre etwas Erfahrung im Hintergrund schon wichtig.

Ebenfalls fragwürdig ist, dass Leroy Sané nun der große Heilsbringer ist. Ich frage mich da nach wie vor: Wo war er vor einem Dreivierteljahr bei der WM? Vor dem Turnier war er als bester Nachwuchsspieler der Premier League ausgezeichnet worden, um dann beim DFB rasiert zu werden. Bei aller Liebe: Das kann doch nicht sein. Er spielt nicht bei Huddersfield oder Fulham, sondern ist Stammspieler bei Manchester City unter Pep Guardiola. Nun die Rolle rückwärts.

Loading...
Loading...
Loading...

Das Leistungsprinzip wird beim DFB nicht eingehalten

Ich will damit sagen, dass das Leistungsprinzip beim DFB zwar immer wieder thematisiert – aber in der Realität nicht umgesetzt wird.

Ein weiterer Beleg ist für mich Max Kruse. Er ist Kapitän bei Werder Bremen und hat in 29 Saisonspielen elf Tore geschossen und 13 vorbereitet. Max Kruse und Leroy Sané sind beide Typen mit Ecken und Kanten – aber das sind doch keine Problemspieler. Es ist aus meiner Sicht unerklärlich, dass der DFB bei Max Kruse nicht endlich über seinen Schatten springt und das Leistungsprinzip einhält.


Ich würde mir wünschen, dass Joachim Löw seine Meinung ändert und Kruse zurückholt – und dass die Verantwortlichen beim DFB das große Problem des deutschen Fußballs endlich erkennen: die Trainerausbildung.

Transparenzhinweis
  • Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website