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Sebastian Kehl: "Früher war der Umgang rauer, die Hierarchien klarer"


Sebastian Kehl
"Früher war der Umgang rauer, die Hierarchien klarer"

InterviewVon Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 01.02.2020Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Sebastian Kehl: Von 2002 bis 2015 stand er für den BVB auf dem Platz.Vergrößern des Bildes
Sebastian Kehl: Von 2002 bis 2015 stand er für den BVB auf dem Platz. (Quelle: Revierfoto/imago-images-bilder)

Mit Sebastian Kehl verbinden die Fans des BVB einen Spieler mit Herzblut, Leidenschaft, aber auch Köpfchen. Seit 2018 ist er zurück, als Brücke zwischen Team und Management. Doch wie geht das und mit welchen Problemen muss man fertigwerden?

Und plötzlich haben sie alle einen. Einen, der die Spieler versteht. Einen, der irgendwie einer von ihnen ist, aber irgendwie auch nicht. Einen, der vermitteln soll, der eine Brücke zwischen den Profis und dem Management, zwischen dem Rasen und dem Büro darstellt. Sie, das sind die Bundesliga-Klubs, die auf die wachsende Komplexität ihres Sports reagieren und erfahrene Ex-Profis holen, die sich mit dem Innenleben einer Kabine auskennen.

Arne Friedrich wurde im Herbst 2019 bei Hertha BSC zum Beispiel als "Performance Manager" eingestellt, Sascha Riether im Sommer 2019 bei Schalke 04 als "Koordinator der Lizenzspielerabteilung". Es gibt noch weitere Beispiele, doch das prominenteste war auch gleichzeitig das erste. Sebastian Kehl begann im Sommer 2018 als "Leiter der Lizenzspielerabteilung" bei Borussia Dortmund. Doch was macht man in dieser Rolle eigentlich und wie nah ist er wirklich an den Spielern dran?

t-online.de: Herr Kehl, Sie sind seit rund anderthalb Jahren zurück beim BVB – aber nicht als Spieler. Was haben Sie in Ihrer Zeit als "Leiter der Lizenzspielerabteilung" gelernt?

Sebastian Kehl (39): Der Perspektivwechsel war sehr spannend. Als Spieler bekommt man schon viele Einblicke und denkt, vieles zu kennen. In der Praxis stellen sich die Dinge aber anders dar. Gerade im strategischen und operativen Bereich habe ich mich deutlich weiterentwickelt, viel Neues gelernt. Ob es unser Scouting, die Kaderplanung oder das Vertragswesen ist, ich kann überall Erfahrungen sammeln und teilweise sofort tätig werden.

Wie ist die Aufgabenteilung abgelaufen? Sie haben schließlich eine Rolle übernommen, die es vorher nicht gab.

Wir haben uns zusammengesetzt, die Position definiert und versucht, Zuständigkeiten abzustecken, was bei einer neu geschaffenen Position in einem funktionierenden System nie ganz einfach ist. Anfangs habe ich mich um die Struktur in der Lizenspielerabteilung gekümmert, viele Gespräche geführt und Veränderungen umgesetzt. So wurde der Stab rund um die Mannschaft teilweise erweitert mit dem klaren Ziel, noch besser und noch professioneller zu arbeiten. Auch die damalige Einarbeitung und Eingewöhnung unseres Cheftrainers Lucien Favre und seines Teams sowie den vielen neuen Spielern stand zu meinem Start auf dem Programm. Der Fußball wird im Allgemeinen immer komplexer, Aufgabenteilung ist notwendig, und es kommen immer neue Herausforderungen auf uns zu.

Ex-HSV-Vorstand Katja Kraus hat im letzten Jahr vorgeschlagen, Posten wie den des Sportdirektors aufzuteilen. Was halten Sie davon?

Es ist absolut sinnvoll, für gewisse Teilbereiche Experten zu gewinnen. Der Fußball wird schlichtweg immer individueller und spezifischer. Das kann keine One-Man-Show mehr sein. Nehmen Sie zum Beispiel Themen wie Scouting, Kadermanagement oder Vertragswesen. Oder rund um die Mannschaft die Felder Ernährung, Athletik oder Sportpsychologie. Es wäre fahrlässig, sich nicht breiter aufzustellen. Es ist wichtig, sehr gutes Personal zu haben, um den Bedürfnissen des Marktes gerecht zu werden und wichtige Entscheidungen ausreichend vorzubereiten. Aber in der Entscheidungsfindung sind klare, schnelle Strukturen notwendig. Die sind bei uns gegeben, auch wenn es natürlich keine Garantien für Erfolg gibt! Und so arbeiten wir im Sport übergreifend ins Nachwuchsleistungszentrum mit Lars Ricken als Verantwortlichem ebenfalls eng zusammen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir im Unternehmen sehr große fußballerische, aber auch strategische und unternehmerische Kompetenz besitzen und uns entsprechend gut ergänzen.

Sie sprechen den Punkt Sportpsychologie an. Sie sind für viele Spieler nach dem Trainer der erste Ansprechpartner. Haben Sie sich in diesem Bereich weitergebildet?

Ich habe mir einen Werkzeugkasten erarbeitet und mich dementsprechend auf meine Aufgaben vorbereitet. Gerade in der Kommunikation mit den Spielern ist das wichtig. Vieles passiert aber auch aus dem Bauch heraus. Als ehemaliger Profi auf diesem Niveau weiß ich, wie es den Jungs in verschiedenen Situationen geht. Ich weiß, wie eine Kabine funktioniert und wie gruppendynamische Prozesse ablaufen. Die Erwartungshaltung, der Druck, der Umgang mit Niederlagen, aber auch Erfolgen, das alles ist mir sehr geläufig.

Gehen Sie auf die Spieler zu oder kommen die Spieler auf Sie zu?

Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Jeder Spieler weiß, dass er mit allen Themen zu mir kommen kann und immer ein offenes Ohr findet. Ich gebe ihm dann meine ehrliche Meinung und versuche, ihm zu helfen. Am Ende haben wir doch alle das Interesse, den Spieler besser zu machen und erfolgreich zu sein. Doch gerade bei einem so großen Klub wie Borussia Dortmund schwingt nun mal eine enorme Erwartungshaltung mit. Damit kann nicht jeder sofort umgehen, und manche benötigen einfach etwas mehr Zeit, um ihr Potenzial abzurufen. Unabhängig davon. Wenn ich negative Entwicklungen bei einem Spieler feststelle, dann gehe ich auf ihn zu oder wir suchen das Gespräch mit dem Berater. Dieses Vorgehen ist natürlich intern abgestimmt.

Fällt es den Spielern leicht, sich Ihnen gegenüber zu öffnen?

Nun, meine Rolle ist jetzt natürlich eine andere, ich bin kein Teil der Kabine mehr, und dadurch ergibt sich zwangsläufig eine gewisse Distanz. Das ist aber ganz normal. Und trotzdem habe ich mit einigen Spielern selbst ja noch zusammengespielt und kenne sie gut. Dieses über Jahre hinweg gewachsene Vertrauen macht es manchmal einfacher.

Wie sehr spielen die Ängste der Spieler in den Gesprächen eine Rolle?

Das ist eine Typ- und Charakter-Frage. Viele Spieler machen sich kaum Gedanken, lesen insgesamt nicht viel von dem, was über sie geschrieben wird. Das kann ein Vorteil sein. Andere Spieler denken intensiver nach, lassen Dinge mehr an sich heran. Am Ende muss jeder Spieler für sich erkennen, was ihm guttut und was nicht. Und dem einen oder anderen Spieler empfehle ich in außerordentlich schwierigen Phasen auch mal, sich beraten zu lassen. Wir wollen, dass es dem Spieler in allen Bereichen bestmöglich geht, damit er am Spieltag, wenn es darauf ankommt, in seiner Topverfassung ist.

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Die Fußballer heutzutage sind oftmals gleichzeitig auch sehr einflussreiche Personen in den sozialen Medien. Das war schon zu Ihrer aktiven Zeit so, hat sich aber seit Ihrem Karriereende noch mal rasant entwickelt. Wie gehen Sie in Ihrer Position damit um?

Ich bin jetzt vier Jahre raus, und es ist seitdem deutlich intensiver geworden. Als Klub ist es nicht leicht, diesen Spagat zu schaffen. Auf der einen Seite ist der Spieler eine Marke und sieht sich als Person des öffentlichen Lebens, gibt private Dinge preis. Auf der anderen Seite gibt es das Angestelltenverhältnis mit uns als Verein. Das darf nicht konträr verlaufen zu seinen eigenen Interessen. Deshalb können wir die Spieler anleiten und sensibilisieren, aber manche Dinge können wir den Spielern nicht vorschreiben. Das Thema Social Media gibt uns als Klub Chancen, uns in der digitalen Welt gemeinsam mit den Spielern zu präsentieren, aber eben auch diese genannten Risiken.

Nehmen wir das Beispiel Jadon Sancho. Er hatte in der Hinrunde viele positive, aber auch einige negative Momente. Er wurde zum Teil sogar für ein Spiel suspendiert, weil er mangelnde Disziplin gezeigt hat. Wie sind Sie mit ihm umgegangen?

Jadon ist ein extremes Beispiel. So jung, und bereits so gut. Ich habe selten einen Spieler gesehen, der in kurzer Zeit so eine Entwicklung genommen hat. Deshalb ist der Hype um ihn auch so groß. Er muss aber wie jeder andere Spieler wissen: Egal, wie gut du bist, es gibt Grenzen, es gibt einen gewissen Rahmen, in dem sich alle Spieler bei uns bewegen können. Fußball ist ein Mannschaftssport. Da muss man konsequent sein und im Sinne der Gruppe auch mal eine harte Entscheidung treffen. Gerade bei unseren jungen Spielern ist es uns wichtig, ihnen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung einige Dinge mit auf den Weg zu geben. Und was Jadon angeht: Mir und uns allen ist es viel lieber, wenn er auf dem Platz steht, sein Potenzial ausschöpft, den Unterschied macht, und wir mit ihm gemeinsam erfolgreich sind.

Sie sprechen die Persönlichkeitsentwicklung an: Was ist Ihnen wichtig?

Persönlichkeitsentwicklung beginnt bei uns schon im Nachwuchsleistungszentrum. Es geht dort mitunter auch um ganz normale Umgangsformen. Die Spieler sind sehr schnell in einem System drin, sodass ihnen manche Dinge fehlen, die anderen in deren Jugendzeit nachhaltig beigebracht oder anerzogen werden. Im Fußball müssen die Jungs schon sehr früh erwachsen sein. Sie müssen lernen, dass wahnsinnig viel Geld im Umlauf ist, und es schwirren viele Personen mit unterschiedlichen Interessen um einen herum, die Einfluss ausüben. Das ist für diese jungen Menschen wirklich nicht einfach. Daraus ergibt sich für uns Klubs natürlich ein Auftrag, und den haben wir auch verstanden.

Wie binden Sie Führungsspieler wie Marco Reus in diesen Situationen mit ein?

Ich sitze regelmäßig mit ihm oder auch dem Mannschaftsrat zusammen. Wir diskutieren immer wieder über einzelne Spieler, aber auch über die Entwicklung unserer Mannschaft. Wir sensibilisieren die Jungs und arbeiten gemeinsam an unseren Zielen. Einige Dinge muss eine Mannschaft aber auch selbst regeln können. Das kann nicht immer der Trainer oder jemand aus dem Klub machen. Da sind die Führungsspieler gefordert, und diese internen Hygienemaßnahmen sind wichtig für die Mannschaft.

Beim Thema Führungsspieler fällt natürlich auch der Name Mats Hummels. Waren diese Führungsqualitäten von ihm auch ein entscheidender Grund für den Kauf im Sommer 2019?

Es war das Gesamtpaket. Mats gibt auf dem Platz mit den Ton an, führt das Team von hinten heraus und hat bis jetzt starke Leistungen gebracht. Er war vom ersten Moment an da und sich seiner Rolle bewusst. Allein wegen seines Alters und seiner Erfahrung muss er vorangehen, genauso wie natürlich auch der ein oder andere weitere Spieler im Team.

Das heißt, Sie gehen explizit auf einzelne Spieler zu und ermutigen sie, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Natürlich. Aber das muss ein Stück weit auch aus den Spielern selbst herauskommen. Auch das ist eine Typ- und Charakter-Frage. Es liegt auch nicht jedem zu führen. Trotzdem sind Führungsqualitäten in meinen Augen unveränderbar. Sie gehören dazu, um erfolgreich zu sein. Dazu gehört Kommunikation, ein guter Umgang miteinander, eine positive Einstellung, ein echter Spirit, aber auch Ehrlichkeit. Der Fußball dreht sich trotz des vielen Geldes in erster Linie nach wie vor um Menschen.

Stimmen Sie der These zu, dass sich der Typ Führungsspieler verändert hat? Die "lauten" Kapitäne wie Stefan Effenberg oder Oliver Kahn sind weniger geworden. Marco Reus zum Beispiel ist ja ein ganz anderer Kapitän.

Ich bin der Meinung, Authentizität ist entscheidend. Wenn ein Spieler nicht laut ist und nicht dafür steht, peitschende Ansprachen zu halten, soll er sich nicht verstellen. Dann hat er eben eine andere Art, ein Team zu führen und sich einzubringen. Es gibt ja auch nicht nur den Kapitän, sondern mehrere Anführer. Ich gebe Ihnen aber recht, dass sich das Thema Führungsspieler gewandelt hat. Der Generationswechsel ist auch im Fußball vonstattengegangen, Spieler verstehen das Teamgefüge heute anders, wollen auch anders angesprochen und mitgenommen werden. Früher war der Umgang rauer, die Hierarchien waren klarer.

Würden Sie manchmal gerne in der Haut eines Jadon Sancho oder Achraf Hakimi stecken, um das mit Ihrer Zeit als jungem Spieler zu vergleichen?

Ich bin für die ein oder andere bittere und harte Erfahrung, die ich in jungen Jahren gemacht habe, dankbar. Die Hierarchieabgrenzungen zwischen "Alt" und "Jung" waren damals nun mal viel stärker. Ich war zwar eines der größten Talente und sehr früh Nationalspieler, in der Kabine musste ich mich aber trotzdem sehr lange hinten anstellen! Auf dem Platz dagegen habe ich mich sehr mutig und selbstbewusst gezeigt. Es war früher sicher nicht alles gut, aber manche Dinge fehlen mir heute schon manchmal.

Im US-Sport ist es auch heute noch so, dass die Rookies, also die Neulinge, Sonderaufgaben bekommen im Team.

Die Jungen tragen auch bei uns immer noch die Tore und die Bälle. Für einige Dinge gibt es inzwischen zwar Personal, aber längst nicht für alles. Ich finde: Manche Dinge muss man sich in seiner Karriere und in seiner Entwicklung einfach Stück für Stück erarbeiten. Die Reihenfolge muss stimmen! Respekt, Erfolg, Anerkennung, das alles bekommt man nicht geschenkt. Wenn man in seiner Laufbahn ein paar lehrreiche Phasen durchlaufen hat, kann man auch mal den Mund aufmachen. Bis dahin sollte man das Zuhören aber nicht vergessen.

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