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Australian-Open-Aus: Alexander Zverevs schwere Enttäuschung


Zverevs schwere Enttäuschung
Niedergeschlagen und leer

Von Jannik Schneider, Melbourne

Aktualisiert am 23.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Unter Tränen: Alexander Zverev zeigt sich nach seinem Turnier-Aus frustriert. (Quelle: t-online)

Mit großen Ambitionen ist Alexander Zverev nach Australien gereist. Nach seinen Siegen trainierte er stundenlang weiter. Trotzdem reichte es nicht. Der Frust beim Olympiasieger sitzt tief.

Keine 45 Minuten nach der bittersten Niederlage seiner Karriere trottete Alexander Zverev in den neu geschaffenen, überdimensionierten Hauptpressekonferenzraum tief in den Katakomben des Medienzentrums zwischen Kiaarena und dem Centre Court der Rod-Laver-Arena zu Melbourne. Der Raum wirkt, ganz in Schwarz gehalten, ein bisschen wie ein Theater- oder Kinosaal, denn die Reporter nehmen ähnlich gestaffelt nach oben hin Platz und blicken nach unten auf das Pult und damit auf die Protagonisten des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres.

Dort unten also musste Zverev Platz nehmen, den Kopf hatte er gesenkt, den Blick in die Weite gerichtet, an den dutzenden Augenpaaren vorbei. Den Kopf stützte er mit den riesigen Händen, weite Teile seiner Gesichtszüge verdeckte er mit den verwuschelten blonden, langen Haaren.

Beobachter sahen den niedergeschlagensten Alexander Zverev seit dem um zwei Punkte verpassten US-Open-Triumph im Herbst 2020. Damals war er ähnlich getrottet, die Augen völlig leer – die Enttäuschung nach dem Finaldrama gegen Dominic Thiem für alle greifbar. Am Sonntagabend in Melbourne jedoch hatte niemand so richtig eine Erklärung für das Geschehene: nicht Zverev selbst, nicht sein Team, nicht die Experten und auch nicht seine Fans. Das Achtelfinal-Aus gegen den an 14 gesetzten Denis Shapovalov ließ sie ratlos zurück. Dabei waren Zverev und sein Team nach einem Jahr mit sechs ATP-Titeln inklusive Olympiasieg, Triumph bei den ATP-Finals und zwei Halbfinals bei Grand-Slams 2022 nur noch für die ganz großen Ziele angetreten: Grand-Slam-Triumph und Nummer eins der Weltrangliste. Seine Kritiker fühlen sich an diesem Sonntag jedoch bestätigt.

Pleite Nummer 15

Zverev hat auf der ATP-Tour bis auf zwei Gewinnsätze alles gewonnen und jeden großen Spieler mehrmals besiegt. Gegen Top-20-Spieler hat er bei normalen Turnieren mehr Matches gewonnen als verloren (72:67). Bei den vier großen Turnieren, die auf drei Gewinnsätze ausgetragen werden, stehen lediglich vier dieser Siege zu Buche. In Melbourne gegen Shapovalov kam Pleite Nummer 15 dazu.

Zverev, der verbissene Tennisfreak, kennt diese Statistiken natürlich. Als er im deutschen Teil der Pressekonferenz am Sonntag mit dieser Diskrepanz konfrontiert wurde, holte der Deutsche tief Luft und antwortete ruhig: "In den vergangenen zwei Jahren habe ich extrem gut gespielt bei Grand Slams. Ich habe zwar keinen gewonnen, aber fast immer gute Matches gezeigt." Dann legte der Weltranglistendritte eine mehrsekündige Pause ein, blickte hoch und ergänzte kämpferisch: "Ich werde weiter alles dafür tun, eine Grand-Slam-Trophäe in die Höhe zu heben, aber jetzt gerade ist es albern, darüber zu reden." Er habe gerade in der vierten Runde verloren als an drei Gesetzter. Er müsse bei sich anfangen.

Schon gegenüber den internationalen Reportern hatte er zuvor kommunikativ den Maßstab zu seiner Leistung angesetzt. "Ich kann heute nicht viel Positives finden. Seit Wimbledon war das wahrscheinlich eines der schlechtesten Matches, die ich gespielt habe", erklärte er auf Englisch. Beim prestigeträchtigsten Turnier des Jahrs hatte er 2021 ebenfalls im Achtelfinale in fünf Sätzen gegen Shapovalovs Landsmann Felix Auger Aliassime verloren – danach im weiteren Saisonverlauf nur noch vier Matches abgegeben. Das hatte ihn hier in Melbourne in Abwesenheit von Novak Djokovic an der Seite des Russen Daniil Medvedev und des Spaniers Rafael Nadal zum Mitfavoriten gemacht.

"Internationale Klasse" statt "Weltklasse"

Tatsächlich hat Zverev auch bei den wichtigsten Turnieren des Kontinents eine konstante Entwicklung durchschritten. Inklusive der Australian Open stand Zverev bei vier der vergangenen acht Grand-Slam-Turnieren im Halbfinale; hinzukommt ein Finale, zwei Viertelfinals und zwei Achtelfinals. Mit neun Teilnahmen in Serie ist Zverev also Dauergast in der zweiten Woche von Grand Slams – ein Beweis für Konstanz. In der Rangliste des "Kicker" würde das mit den Erfolgen außerhalb der Grand Slams mutmaßlich für das Prädikat "internationale Klasse" reichen, wäre Zverev ein Fußballer.

Die Bezeichnung "Weltklasse" hat er sich unter Druck stehend bei einem großen Turnier zumindest vorerst selbst genommen. Die Leistung gegen Shapovalov war unterirdisch. Zverevs gefürchteter One-Two-Punch – also der Aufschlag und der erste Schlag danach – waren völlig wirkungslos gegen Shapovalov, der ordentlich aber keineswegs überragend spielte. Zverev wirkte im zweitgrößten Stadion der Anlage bis auf eine kurze Phase zu Beginn des ersten Satzes, in der er Shapovalov früh hätte breaken können, kraftlos, langsam, uninspiriert und fehleranfällig. Das sah Zverev im Pressekonferenzraum ähnlich.

"Es gibt keine Ausreden. Ich muss einfach besser sein als heute. Niemand anderes ist schuld, nicht der Trainer, nicht das Team – nur ich. Ich bin die Nummer drei der Welt und ich muss die Verantwortung für die Dinge übernehmen, die ich leiste oder nicht", resümierte Zverev selbstkritisch.

Er habe sich extrem langsam gefühlt und nicht frisch. "Aber ich habe nichts. Ich fühle mich ok", ergänzte Zverev. Manchmal gebe es Tage und Wochen, in denen man nur auf sich schauen müsse. "Ich könnte jetzt sagen, ich hätte eine Erkältung oder so. Ich bin ehrlich. Ich habe nichts. Ich habe nur eine Scheiß Woche gehabt – also auf Tennis bezogen."

Zverev habe sich auch in den vorigen Matches nicht gut gefühlt. Auch deshalb hat der 24-Jährige nach jedem seiner Matches umgehend nach Spielende eine weitere Trainingseinheit angehängt und war teilweise erst drei Stunden später zu den Medienverpflichtungen erschienen. Bruder Mischa Zverev, mittlerweile Trainer, Manager und auch eine Art Seelsorger, begründete das damit, dass sich sein Schützling komplett fokussieren wolle auf Tennis. Alles war auf diesen ersten großen Titel ausgelegt.

Noch am Morgen vor der Niederlage hatte sich Mischa Zverev bei einer kleinen Medienrunde in der Nähe der bekannten Flinders Street unweit der Anlage zuversichtlich gezeigt, von einer konstanten spielerischen und mentalen Entwicklung seines Bruders gesprochen. Dabei wurde schon über mögliche Taktiken für das Viertelfinale gegen Rafael Nadal philosophiert.

Dazu wird es bekanntlich nicht kommen. Der Mallorquiner spielt gegen Shapovalov um die Chance, in Abwesenheit von Novak Djokovic und Roger Federer den alleinigen Grand-Slam-Rekord von 21 Titeln zu knacken. Zverev muss weiter auf Titel Nummer eins warten. Ob er dafür bereit ist, war nie unsicherer als am heutigen Sonntag in Melbourne.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen von vor Ort
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