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HomeUnterhaltungPromis und die Corona-Krise

Corona-Verschwörungstheorien befeuern: Sido, Naidoo, Schweiger & Co.


"Ich glaube niemandem"
Wie deutsche Stars Verschwörungsmythen befeuern

  • Steven Sowa
Von Steven Sowa, Sophie Loelke

Aktualisiert am 29.08.2020Lesedauer: 4 Min.
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Sido, Sonja Zietlow und Til Schweiger: Prominente Namen, die in Deutschland dazu beitragen, dass krude Theorien Zulauf bekommen.Vergrößern des Bildes
Sido, Sonja Zietlow und Til Schweiger: Prominente Namen, die in Deutschland dazu beitragen, dass krude Theorien Zulauf bekommen. (Quelle: Montage t-online.de/imago-images-bilder)

Zehntausende werden bei den Corona-Protesten in Berlin erwartet. Verschwörungserzählungen haben auf diesen Demos Hochkonjunktur – auch deutsche Promis sind daran nicht ganz unschuldig.

Der Welt drohe neben der Coronavirus-Pandemie auch eine "massive Infodemie": Diese Warnung verschickte die Weltgesundheitsorganisation WHO am 3. Februar dieses Jahres. Seitdem ist mehr als ein halbes Jahr vergangen und die Anzahl der kruden Theorien im Internet wird nicht kleiner. Im Gegenteil: Die WHO hat recht behalten, Verschwörungen haben Hochkonjunktur – besonders die WHO selbst hat mit scharfen Anfeindungen zu kämpfen.

Abenteuerliche Vorwürfe wabern durch Internetforen, Telegram-Chats und Youtube-Videos. Die WHO würde von Bill Gates gesteuert und versuche nun, eine neue Weltordnung zu errichten, in der mit Zwangsimpfungen Profit gescheffelt werde. Der ehemalige rbb-Moderator Ken Jebsen verbreitete solche unsinnigen Thesen in Deutschland – t-online.de hat in einem ausführlichen Faktencheck bereits alle seine angeblichen Wahrheiten entkräften können.

Verschwörungen und "das Bedürfnis nach Einfachheit"

Jebsen ist so etwas wie der deutsche Alex Jones, ein Pseudo-Prophet für eine teils in höchstem Maße verunsicherte Anhängerschaft. Die Diplom-Psychologin Ulrike Scheuermann erklärt auf Anfrage von t-online.de: "Je bedrohlicher und unsicherer eine Situation ist, desto größer ist bei manchen Menschen das Bedürfnis nach Einfachheit." Verschwörungstheorien würden vor allem bei Personengruppen verfangen, die "weniger gut mit Unsicherheit und Kontrollverlust umgehen können", so Scheuermann.

Doch gehören auch Prominente wie Sänger Xavier Naidoo, "Bilder im Kopf"-Rapper Sido, Vegan-Koch Attila Hildmann oder die RTL-Moderatorin Sonja Zietlow zu einem Kreis an Leuten, die aufgrund persönlicher Unsicherheit Theorien verbreiten? Eine ganze Reihe an deutschen Stars hat inzwischen wirre Ideen zum Coronavirus gepostet – eine Übersicht finden Sie hier.

Pia Lamberty, Autorin ("Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen") und Expertin im Bereich Verschwörungsideologien, sagte t-online.de: "Prinzipiell ist der Glaube an Verschwörungen in der gesamten Gesellschaft verbreitet – so natürlich auch unter Prominenten." Spezielle Merkmale, die prominente von weniger prominenten Verschwörungsverbreitern unterscheiden, ließen sich nicht ausmachen.

Gefährlich sei aber vor allem der stetig wachsende Anteil prominenter Multiplikatoren. Alleine die Telegram-Gruppen von Xavier Naidoo (93.000 Follower) und Attila Hildmann (75.000) verzeichneten in den letzten Monaten täglich Hunderte neue Fans. "Menschen vertrauen ihren Stars oder Idolen in einer gewissen Weise. Sie haben also einen Einfluss und können so vielleicht noch einmal anders mobilisieren", erklärt Lamberty. Bedeutsam sei dies mit Blick auf die breite Masse, die Prominente mit ihren Äußerungen erreichen. Stars würden oft "eine sehr heterogene Gruppe an Menschen im Vergleich zu Parteien" ansprechen.

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Empfänglicher für diese Theorien sind in der Regel Männer. Dies zeigen Ergebnisse der letzten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ost-West-Unterschiede oder das Alter seien laut Lamberty nicht relevant. Bildung hingegen spiele eine zentrale Rolle. Wer weniger Medienkompetenz habe, um Falschnachrichten ausmachen zu können oder wem bestimmte Hintergründe fehlen, der gehe den Verschwörungstheoretikern leichter ins Netz.

Wie Diplom-Psychologin Ulrike Scheuermann ist auch Pia Lamberty überzeugt, dass Krisensituationen eine Art fruchtbaren Nährboden bilden. Wer einen Kontrollverlust erlebe, wie es durch die aktuelle Corona-Pandemie bei vielen Menschen auch durch die wirtschaftlichen Unsicherheiten der Fall ist, lasse sich fehlleiten. Im Hinblick auf prominente Vertreter dieser Gattung könnte allerdings noch ein anderer Aspekt für die Verbreitung entscheidend sein: Geltungsdrang.

Prominente haben das Bedürfnis, sich abzuheben

Ein gewisses Sendungsbewusstsein bringen Stars naturgemäß mit – die schillernde Öffentlichkeit ist ihr Metier. Lamberty urteilt auf die Frage, welche Typologie sich im Verschwörungsbereich erkennen lasse: "Das Bedürfnis, sich abzuheben, spielt eine Rolle: Wer an Verschwörungen glaubt, verfügt ja in der eigenen Wahrnehmung über eine Art 'Geheimwissen'. Dadurch kann diese Person sich auch über andere erheben."

Passen dazu präsentieren sich vor allem Vertreter der hiesigen Rapszene immer wieder als subversiv und verbreiten den Mythos einer Meinungsdiktatur. Zuletzt war es Sido, der erklärte: "Ich glaube niemandem." Der 39-jährige Rapper würde nur das glauben, was er mit eigenen Augen gesehen hätte. Mit Blick auf naturwissenschaftliche Phänomene, die höchstens unter Laborbedingungen bewertet werden können, kann dies schnell zu einer problematischen Haltung werden.

Unwissenheit gepaart mit Geltungsbedürfnis und betont anarchistischem Revoluzzertum können eine explosive Mischung bilden – und drohen die Gesellschaft zu spalten. Denn die kruden Ansichten zur Demokratie gehen einher mit Attacken auf die "Mainstreammedien". Leon Lovelock, bei Instagram folgen dem Rapper über 130.000 Menschen, befeuert in einem jüngst veröffentlichten Video ein solches Misstrauen mit Sätzen wie: "Ich scheiß' auf Medien und alles was sie predigen".

"Andere wollen mit der Angst Geld verdienen"

Ob Geltungsdrang oder die eigene Überhöhung: Tendenzen wie diese nehmen zu und lassen sich nur schwer wieder geraderücken. "Es hat sich gezeigt, dass Falschmeldungen besser erinnert werden als die Korrektur", berichtet Pia Lamberty auf die Frage, wie schwer die Verbreitung von Falschbehauptungen wiegen kann. Die Aussagen seien dann "in der Welt" und würden selbst nach Löschung in Form von Screenshots weiterverbreitet.

Neben den vermeintlich naiv-leichtgläubigen Anhängern sind es inbesondere die Meinungsführer dieser Bewegung, die Profit aus der Krise schlagen wollen. In den USA zeigte sich dies bereits mehrfach in der Vergangenheit: Alex Jones verkaufte dort Vitaminpräparate und vermarktete sie als "Wunderpillen", damit seine Jünger "erwachen" und mehr über die Welt erfahren. Jüngst gab es Fälle, wie die des Fernsehpredigers Jim Bakker, der mit seinem "Silver Solution"-Angebot angebliche Hilfe zur Behandlung des Coronavirus versprach – und dafür abgemahnt wurde.

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Fakt ist: Bis heute ist weder ein Medikament noch ein Impfstoff gegen Covid-19 gefunden. Autorin Pia Lamberty meint, es gäbe Menschen, die wollen "mit der Angst Geld verdienen." Dass zahlreiche Produkte im Kontext von Corona angeboten werden, sei Teil dieser Strategie. "Und dann gibt es auch die, die die Verschwörungserzählung politisch nutzen. Man ist plötzlich vereint im Feindbild – obwohl man sonst vielleicht nicht viel gemeinsam hat."

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Solche Tendenzen erhalten durch Prominenz Aufwind. Womöglich ist vielen Stars gar nicht klar, was sie da teilen und unter die Massen jubeln – bekannte Persönlichkeiten wie Naidoo, Hildmann oder die ehemalige "Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman steuern hingegen ganz bewusst Desinformationskampagnen. Ulrike Scheuermann warnt daher: "Diese Theorien können Menschenleben gefährden, wenn beispielsweise wegen einer Verharmlosung sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen missachtet werden."

Wenn am Wochenende wieder Tausende zu sogenannten Hygiene-Demos auf die Straße gehen, auch weil Hildmann und Co. dazu aufrufen, besteht die Gefahr ganz real: Mindestabstände werden nicht eingehalten, Menschenansammlungen provoziert. Dem Coronavirus ist das egal – es macht auch vor Verschwörungstheoretikern und ihren Anhängern nicht Halt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräche mit Pia Lamberty und Ulrike Scheuermann
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