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Nach rassistisch motiviertem Anschlag in Hanau: Hoffnung ist das Gegengift


Antwort auf Rassismus
Nach Anschlag in Hanau: Das ist das Gegengift

MeinungNicole Diekmann

Aktualisiert am 27.02.2020Lesedauer: 4 Min.
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Quelle: dpa-bilder

In Hanau hat ein Rassist neun Menschen getötet. Die AfD wettert in den sozialen Medien gegen Einwanderung und rudert dann zurück. Doch viele Menschen stellen sich gegen den Hass. Im Netz und in der realen Welt. Ein Grund zur Hoffnung.

Wie sollte man dieser Tage über etwas schreiben, das nicht mit Hanau zu tun hat? Wie wäre das zu rechtfertigen, wo sich "eine Blutspur des Rechtsextremismus durch unser Land zieht"?

Keine Symbolpolitik mehr

Diese drastische Bestandsaufnahme stammt von Innenminister Seehofer. Der bemerkenswerterweise solch schonungslose, eindringliche Wortwahl am vergangenen Freitag nicht wählte, um damit die Forderung nach Gesetzesverschärfungen einzuleiten.

Genau das hat er nämlich ausdrücklich nicht getan – sondern als Ziel definiert, die bestehenden Gesetze voll auszuschöpfen. (Seehofer hat in der Vergangenheit auch nicht immer geglänzt. Wir erinnern uns mit Schaudern an seinen "Witz" über 69 abzuschiebende Flüchtlinge.) Aber vergangenen Freitag: Seehofer stabil. Symbolpolitik war ihm angesichts des Entsetzens ganz offensichtlich zu billig.

Hoffnung als Mittel gegen den Hass

Und nicht nur er gab in dieser schockierenden Woche Anlass zur Hoffnung. Und Hoffnung brauchen wir. Sie ist zwar nicht das Einzige, was wir haben. Aber sie bereitet den Boden, auf dem Mut und Wille zur Gegenrede gedeihen können. "Rassismus ist ein Gift. Der Hass ist ein Gift", sagte Angela Merkel nach dem Attentat in Hanau.

Blicken wir deshalb heute auf die Lichtblicke nach einer finsteren Nacht. Einer Nacht, in der Menschen nur deshalb ihr Leben verloren, weil sie einen Migrationshintergrund hatten und nicht in einem deutschen Wirtshaus saßen, sondern in einer Shisha-Bar.

In einem Land, das doch eigentlich ihres war. In dem sie geboren und aufgewachsen waren. In dem sie gelernt, gelacht, geliebt, sich mit Freunden gestritten und wieder vertragen haben, getanzt, gegen die Eltern rebelliert, nach dem Sinn gesucht, aber bestimmt auch Zeit mit völlig Sinnlosem verplempert, falsche Entscheidungen getroffen und kleine und große Siege eingefahren – kurz: in dem sie gelebt hatten. Und in dem sie gestorben sind. Weil in ihrem Land Menschen leben, die außerhalb unserer Gesellschaft stehen: Rassisten. Weil ein Rassist zum Mörder wurde.

Menschen stellen sich dem Hass entgegen

Aber es gibt auch die Menschen, die aufstehen, sich entgegenstellen. Es gibt sie in der realen Welt und es gibt sie im Netz. Wie eine fantastische Kooperation dieser beiden Welten – die ja für viele immer noch getrennte Sphären sind – aussehen kann, dafür bietet Fußball ein aktuelles Beispiel.

Als Eintracht Frankfurt am Freitag spielte, gab es vor Anpfiff eine Schweigeminute. Sie wurde gestört von, man muss die Leute beim Namen nennen, Idioten. Und wie reagierte hörbar die überwältigende Mehrheit der Fans? Die formierten sich spontan und laut zu einem "Nazis raus"-Chor. Ein Video dazu wurde auf Twitter über das Wochenende rund 3.000-mal geteilt.

Das ist nicht wenig. Eine zutiefst menschliche Regung wird potenziert. Social Media von seiner guten Seite. Es war ohnehin schwierig, sich in den Tagen nach der Tat von Hanau auf den Plattformen zu bewegen, ohne "Nazis raus" zu lesen.

Die AfD, Hanau und Twitter

Stichwort Social Media. Ein Phänomen dort ist hinlänglich bekannt: das atemberaubende Tempo, mit dem Funktionär*innen der AfD mit Tweets oder Facebook-Posts nach Anschlägen bei der Hand sind. Faktenlage? Egal. Besonnenheit? Bloß nicht – so hält man das Geschäft nicht am Laufen. Das lebt schließlich vom unverdrossenen Warnen vor Einwanderung beziehungsweise dem Hinweis nach islamistischen Anschlägen, ja immer schon vor Einwanderung gewarnt zu haben.

Aber man ist anpassungsfähig. Als sich längst abzeichnete, dass es sich beim mutmaßlichen Täter von Hanau um einen Rassisten gehandelt hatte, durfte das staunende Publikum ein Spektakel erleben. "Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren. Jede Form politischer Instrumentalisierung dieser schrecklichen Tat ist ein zynischer Fehlgriff", twitterte AfD-Chef Jörg Meuthen.

Seinem Parteikollegen, dem Berliner Georg Pazderski, gelangen gleich zwei Volten in einem Tweet: Erstens war die Kanzlerin auch an diesem Attentat Schuld. Normalerweise macht die AfD Angela Merkel für Anschläge verantwortlich, die von Migranten verübt werden – schließlich habe sie diese ja ins Land geholt. Zweitens hob Pazderski die Tat von Hanau durch diesen Vorwurf eben doch auf eine politische Ebene. Man scheint sich nicht ganz abgestimmt zu haben in der AfD.

AfD laviert, Twitter protestiert

Ja, diese Äußerungen gefielen einer Vielzahl von Menschen – aber: Es regte sich auch Gegenrede, und das nicht zu knapp. Wer sich mit den Kommentaren unter diesen beiden Posts beschäftigt, sieht: Es gibt Hoffnung.

Inzwischen rudert die AfD – anpassungsfähig – zurück. Sehr wohl sei der Anschlag rassistisch gewesen, sagt etwa Parteichef Tino Chrupalla. Seine Partei bleibt, entgegen der Hoffnung vieler nach der ersten Prognose des Hamburger Wahlabends am Sonntag, doch in der Hamburger Bürgerschaft. Gerade so hat sie die fünf Prozent übersprungen. Das mag überraschen nach dem Grauen von Hanau. Hätte nicht viele potenzielle AfD-Wähler abschrecken müssen, wie die Parteispitze zu relativieren versuchte?

Twitter folgen.

Setzt ein Umdenken ein?

Aber man kann die Frage auch andersherum stellen: Ist es nicht überraschend, dass es knapp wurde für die AfD bei desolaten Bewerbern wie der FDP und der CDU? Die beide für den "Dammbruch" von Erfurt verantwortlich gemacht werden? Und auch von der Zivilgesellschaft dafür an den Pranger gestellt wurden? Und eben jetzt auch dafür vom Wähler abgestraft?

Mit anderen Worten: Ist das alles nur der Anfang? Setzt ein Umdenken ein? So wie auch im Kabinett, das am Tag vor Hanau ein längst überfälliges Gesetzespaket verabschiedet hat, das Hass im Netz stärker bestrafen soll? Und die Plattformen stärker in die Pflicht nehmen? Dieses Paket hat Schwächen, ja. Aber: Es ist vielleicht nicht das Ende der Fahnenstange, sondern ein Anfang. Vielleicht und: hoffentlich.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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