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Von der Leyen und das EU-Misstrauensvotum: Ihre Macht schwindet


Von der Leyen übersteht Misstrauensantrag
Dafür zahlt sie einen hohen Preis


Aktualisiert am 10.07.2025 - 14:03 UhrLesedauer: 5 Min.
Ursula von der Leyen: Muss die EU-Kommissionspräsidentin um ihren Posten bangen?Vergrößern des Bildes
Ursula von der Leyen: Muss die EU-Kommissionspräsidentin um ihren Posten bangen? (Quelle: Emmanuele Contini)
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Die Unzufriedenheit mit Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin wächst – auch wenn sie das Misstrauensvotum abwehren konnte. Eine gefährliche Lage.

Es gab Pfiffe und laute Zwischenrufe, als Ursula von der Leyen am Montag vor dem EU-Parlament sprach und ihre Politik rechtfertigte. Der Eindruck, der sich an diesem Tag verfestigte: Die EU-Kommissionspräsidentin wackelt. Für die seit 2019 amtierende oberste Europäerin bröckelt der Rückhalt, auch wenn am Ende nur 175 der Abgeordneten für den Vorstoß aus dem rechten Lager votierten, ihr das Misstrauen auszusprechen.

Der Misstrauensantrag ist die schärfste Waffe, die im Parlament gegen die Kommission eingesetzt werden kann. Von der Leyen konnte ihn abwehren – und bangt dennoch um ihre Macht. Ein Überblick zur Lage.

Worum ging es genau?

Im Zentrum der Vorwürfe stand das sogenannte "Pfizergate". Einige Abgeordnete warfen der Kommissionspräsidentin unter anderem mangelnde Transparenz bei der Beschaffung von Impfstoffen während der Pandemie vor. Von der Leyen soll in der Corona-Krise per SMS bei dem Chef des amerikanischen Pharmagiganten Pfizer 1,8 Milliarden Impfdosen bestellt haben – und das womöglich zu überhöhten Preisen.

Als von der Leyen dazu am Montag vor dem Parlament in Straßburg sprach, sagte sie: Ihre Kontakte zu Spitzenvertretern von Impfstoffherstellern seien nie ein Geheimnis gewesen, im Gegenteil habe ihr persönlicher Draht Europa in der Krise geholfen. Dies sei in keiner Weise "unangemessen", so die 66-Jährige. Dennoch gibt ihre Behörde die Textnachrichten nicht heraus. Die Begründung: Man könne die Chats leider nicht finden.

Letzteres, also die umstrittene Kommunikation von der Leyens, war ebenfalls Teil der Begründung für einen Misstrauensantrag. Die Antragsteller warfen ihr vor, sich etwa in die Präsidentschaftswahl in Rumänien eingemischt zu haben. Außerdem hielt man von der Leyen einen zentralistischen Führungsstil vor.

Wer paktierte mit wem?

Strippenzieher hinter der Revolte war Gheorghe Piperea. Der rumänische rechtsradikale Abgeordnete von der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) sammelte die nötige Zahl an Unterschriften für einen Misstrauensantrag gegen von der Leyen. Er brachte den Antrag anschließend auf den Weg. Es formierten sich dahinter vorrangig Politiker aus dem Rechtsaußen-Lager, besonders Gruppierungen aus Polen und Rumänien machten gemeinsame Sache. Aber auch Extremisten wie die "Patrioten", die von Marine Le Pen und Viktor Orbán angeführt werden, unterstützten die Initiative. Von deutscher Seite waren AfD und BSW dabei.

Wieso kam der Antrag zustande?

Dass es überhaupt zu der Abstimmung über von der Leyen kam, war leicht zu erreichen. Die Initiatoren benötigten nur die Unterstützung von zehn Prozent der 720 Abgeordneten. Der Misstrauensantrag ist in Artikel 234 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgesehen. Die Fraktionsvorsitzenden hatten am Mittwoch vergangener Woche festgestellt, dass mindestens 72 Abgeordnete den Antrag unterzeichnet hatten.

Was sagte Ursula von der Leyen zu den Vorwürfen?

Die EU-Kommissionspräsidentin wies die Vorwürfe entschieden zurück. Ihrer Ansicht nach stammten die Anschuldigungen der Initiatoren "direkt aus dem ältesten Handbuch der Extremisten", sagte von der Leyen in Straßburg. Diese wollten "die Gesellschaft polarisieren", das "Vertrauen in die Demokratie mit falschen Behauptungen über Wahlmanipulationen untergraben" und "die Geschichte umschreiben", kritisierte sie.

Bangt von der Leyen um ihren Job?

Ein Erfolg des Misstrauensvotums galt als unwahrscheinlich und so kam es auch. Eine erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde weit verfehlt. Bei der Abstimmung konnte von der Leyen auf genügend Unterstützer zählen: Neben ihrer Europäischen Volkspartei (EVP), der größten Fraktion im EU-Parlament, versammelten sich auch große Teile der Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen hinter ihr. Doch wie lange etwa die Sozialdemokraten noch die Füße stillhalten, ist ungewiss. Die Macht der Kommissionspräsidentin ist angekratzt.

Hatte ein solcher Vorgang schon einmal Erfolg?

Bisher kam kein Misstrauensvotum im EU-Parlament auch nur in die Nähe einer Zweidrittelmehrheit. Über den einzig erfolgreichen Antrag zur Absetzung einer Kommission wurde indes nie abgestimmt. Kommissionspräsident Jacques Santer kam im März 1999 dem Votum zuvor, die Kommission trat geschlossen zurück.

Früher ging es bei Misstrauensanträgen häufig um eine größere Mitsprache des Parlaments in Haushaltsfragen oder in der Landwirtschaftspolitik. Seit den Neunzigern wird das Instrument immer häufiger von EU-skeptischen Parteien genutzt, um ihrer Kritik an der Kommission mehr Gehör zu verschaffen.

Das bislang letzte Misstrauensvotum im EU-Parlament liegt mehr als zehn Jahre zurück. Damals scheiterten rechte und EU-skeptische Parteien damit, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu stürzen.

Kostet sie der Antrag Macht?

Auch wenn Ursula von der Leyen den Antrag überstand, ist die Abstimmung bemerkenswert. "Sie offenbart ein beträchtliches Grummeln auch in der Mitte des Parteienspektrums", schrieb t-online-Chefredakteur Florian Harms. Tatsächlich warfen prominente Sozialdemokraten, Liberale und Grüne der CDU-Politikerin das Paktieren mit Rechtspopulisten wie Giorgia Meloni und eine Abkehr von den Klimazielen des Green Deal vor.

So sagte etwa der österreichische Abgeordnete Andreas Schieder von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) am Mittwoch beim Fernsehsender Phoenix: "Ursula von der Leyen stößt in vielen Themenbereichen auf Kritik. Wir sind höchst unzufrieden mit ihrer Arbeit: Das, was sie vor einem Jahr versprochen hat, hat sie nicht eingehalten."

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Schwindet von der Leyens Macht? Auch bei den EU-Verhandlungen im Zollstreit mit US-Präsident Donald Trump muss sie liefern – und dafür benötigt die Präsidentin geschlossene Reihen bei den Pro-Europäern. Der Vorsitzende der Europa-SPD, René Repasi, sprach trotz des Scheiterns des Antrags nach der Abstimmung von einem "Denkzettel" für die Kommission. Er forderte die Europäische Volkspartei (EVP) und ihren Vorsitzenden Manfred Weber auf, den "Kuschelkurs" mit "Europafeinden" aus dem rechten Lager einzustellen und stattdessen auf "stabile, pro-europäische Mehrheiten" zu setzen.

Welchen Preis zahlt von der Leyen?

Der Preis für ein Abschmettern des Antrags ist klar: Von Ursula von der Leyen wird erwartet, sich mit mehr Engagement bei bestimmten Themen für ihre Stimmen zu revanchieren. Zumal nach der Sommerpause wichtige Verhandlungen über Klima- und Migrationsgesetze anstehen. Auch dafür ist eine mächtige Kommissionspräsidentin von immenser Bedeutung.

Wie das Branchenblatt "Politico" berichtet, sagte von der Leyen den Sozialdemokraten als Gegenleistung für ihre Stimmen zu, im Entwurf des neuen Haushalts ab 2028 den Europäischen Sozialfonds (ESF) zu erhalten. Die vielen Milliarden Euro, die zum Beispiel für Beschäftigungsmaßnahmen verwendet werden, sollten nicht gestrichen, aber umgeschichtet werden. Ob es tatsächlich so kommt, ist unklar.

Was genau hat Manfred Weber damit zu tun?

"Noch schlimmer als sie ist Manfred Weber", sagte Andreas Schieder am Mittwoch über die Affäre von der Leyen. "Er sucht oft ungeniert Mehrheiten mit Rechtsaußen." Er betreibe eine "falsche Politik" und sei von "Machtgeilheit" besessen. Die Sozialdemokraten sehen in Weber einen korrupten Politiker, der einen "Pakt mit dem Teufel", in dem Fall, mit den rechtsnationalen Kräften, eingegangen ist.

Doch stimmt das? Weber ging in dieser Woche mit Zahlen hausieren, die Folgendes darlegten: Seit den Europawahlen 2024 kam bei 90 Prozent der namentlichen, in der Regel finalen Abstimmungen im Parlament eine Mehrheit aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen zustande. Das sei die Allianz, die das Programm von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trägt – und sie trage keine rechte Handschrift.

Dass Gesetzestexte aber oft in vorgelagerten, geheimen Abstimmungen entscheidend verändert werden, geht aus diesem Zahlenwerk nicht hervor. Kritiker werfen Weber vor, im Verbund mit den Rechten die Agenda des Parlaments zu bestimmen – und damit auch die Kommissionspräsidentin zu beschädigen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Material von AFP und dpa

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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