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"Europe first"? Donald Trump kann Europas Chance sein


"Europe first"?
Ausgerechnet Trump kann Europas Chance sein

spiegel-online, Markus Becker

Aktualisiert am 28.01.2017Lesedauer: 5 Min.
Die Fahnen der USA und EU an einem Gebäude in Helsinki.Vergrößern des BildesDie Fahnen der USA und EU an einem Gebäude in Helsinki. (Quelle: dpa-bilder)
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"America first": US-Präsident Donald Trump stellt Europa vor die vielleicht größte Herausforderung der Nachkriegszeit. Es gibt erste Anzeichen, dass der Schock die Europäer aufgeweckt hat.

Selbst das Weltall ist vor Donald Trump nicht mehr sicher. Dessen Sieg bei der US-Wahl sei nützlich gewesen, meint Carlos Suarez - "damit Europa aufwacht und erkennt, dass es mehr in Verteidigung und Raumfahrt investieren muss".

Suarez, Manager beim spanischen Mischkonzern Indra, sagte das bei der jährlichen Europäischen Weltraumpolitik-Konferenz - einer Veranstaltung, bei der sonst über Geld und Wissenschaft in der Raumfahrt geredet wird. Doch auch im Brüsseler Egmont-Palast schwebte diese Woche einer über allem: der neue US-Präsident.

"Eine neue globale Machtarchitektur"

Die Konferenz war damit symptomatisch für zahlreiche Debatten in Brüssel und europäischen Hauptstädten: Vieles wird vor dem Hintergrund der Trump-Präsidentschaft neu bewertet - von Sicherheit und Verteidigung über Wirtschaft und Handel bis hin zur Einwanderung. Doch die bange Frage, was ohne die USA aus Europa werden soll, tritt zunehmend in den Hintergrund. Sie wird zum Teil abgelöst von der Erkenntnis, dass in Trumps Präsidentschaft eine Chance für Europa liegen könnte.

"Die USA haben keine kalkulierbare weltpolitische Strategie mehr, die Halt bietet", sagt Werner Weidenfeld, der unter Kanzler Helmut Kohl mehr als zehn Jahre lang die deutsch-amerikanischen Beziehungen koordinierte. "Wir beobachten gerade, wie eine neue globale Machtarchitektur entsteht. Und die Europäer haben die Chance, darin eine markante Rolle zu übernehmen." Die Entwicklung der USA unter Trump habe zwar eine "äußerst ernste, möglicherweise gefährliche Situation" geschaffen, meint der britische Historiker Anthony Glees. Aber wenn die Führung der EU einen kühlen Kopf behalte, "kann sie ihre Differenzen überwinden und zu einem kraftvollen globalen Akteur werden".

Rhetorisch zumindest probt mancher europäischer Politiker bereits das Muskelspiel. Man müsse Trumps "America first"-Slogan ein "Europe first" entgegensetzen, meinte etwa Manfred Weber (CSU), Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, gegenüber der "Rheinischen Post". "Wir sind nicht verpflichtet, uns mit den amerikanischen Spielregeln abzufinden", sagte François Fillon, derzeit aussichtsreichster Bewerber bei Frankreichs Präsidentenwahl im April, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Kann die EU den Worten Taten folgen lassen?

Bei der Verteidigung stellen sich die drängendsten Fragen. Trump selbst hat die Nato zuletzt als "obsolet" bezeichnet - und damit insbesondere in Osteuropa neue Ängste ausgelöst, einer möglichen Aggression Russlands schutzlos ausgeliefert zu sein. Zugleich aber fordert Trump vehement, dass die Europäer endlich - wie bereits 2014 beschlossen - ihre Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern.

Doch schon der Brexit sorgte dafür, dass die EU für ihre Verhältnisse erstaunlich schnell eine engere militärische Zusammenarbeit beschlossen hat. Lange hatten die Briten jeden noch so kleinen Schritt in diese Richtung verhindert. Wie weit die geplante Zusammenarbeit gehen wird, ist zwar unklar, denn die Differenzen zwischen den EU-Staaten in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind groß. Doch Weidenfeld könnte sich sogar eine EU-Armee vorstellen - auch wenn die Regierungen der Mitgliedstaaten diesen Begriff peinlichst vermeiden.

Dabei war es fast schon einmal so weit: 1950 schlug die französische Regierung vor, gemeinsam mit den Deutschen eine europäische Armee zu gründen. Auch die Amerikaner machten Druck. Der Vertrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) war schon unterzeichnet und von der Bundesrepublik ratifiziert, scheiterte aber 1954 im französischen Parlament.

"Der EVG-Vertrag enthält sehr präzise Regelungen, etwa zur Arbeitsteilung zwischen der europäischen Armee und der Nato", sagt Weidenfeld. "Damit waren damals alle glücklich, auch die Amerikaner." Etwas Ähnliches sei heute wieder denkbar, denn an der Grundstruktur habe sich nichts geändert: "Ein eigener Sicherheitsbeitrag Europas, der atlantischen Sicherheit zugeordnet."

Trumps Isolationismus eröffnet Chancen für Europa

Beim Handel zeigt Trump protektionistische Züge. So hat er ausländischen Unternehmen wie etwa BMW, die ihre Produkte anderswo herstellen und in den USA verkaufen, mit heftigen Strafzöllen gedroht. Ob er das wahrmacht, ist offen - zumal Europa die Mittel hätte, hart zurückzuschlagen.

Eine Chance für Europa könnte sich aber durch Trumps Isolationismus bieten. Kaum im Amt, hat Trump den Ausstieg der USA aus dem transpazifischen Handelsabkommen TPP beschlossen - obwohl das zur Stärkung Chinas beitragen dürfte. Zudem deutet vieles darauf hin, dass die rasant wachsende Mittelschicht Asiens die Nachfrage nach hochwertigen Produkten steigern wird - und die kann Europa liefern.

Schon vergangenen Freitag, drei Tage vor Trumps Entscheidung gegen TPP, schickte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström eine Einladung an Japans Außenminister Fumio Kishida: Er solle noch vor dem Besuch von Premierminister Shinzo Abe im März nach Brüssel kommen. Sie sei sicher, schrieb Malmström, dass man "eine ehrgeizige Vereinbarung" erreichen könne.

Der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer will noch mehr. Wenn die EU ohnehin schon mit Japan, Australien und Neuseeland über bilaterale Handelsverträge rede, könne man auch gleich über "ein Arrangement mit dem gesamten Pazifiknetzwerk" nachdenken, so Theurer. "Die EU sollte unbedingt prüfen, ob sie nicht statt der USA als Partner bei TPP einsteigen kann."

USA verlieren moralische Führungsrolle

Eine noch langfristigere Chance ergibt sich für Europa aus einem anderen Sachverhalt: dem drohenden Verlust nicht nur der politischen, sondern auch moralischen Führungsrolle der USA, beschleunigt durch Trumps dröhnendes "America first". Weil sie als Hort von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Chancengleichheit gesehen wurden, konnten die USA viele Millionen gut ausgebildete und leistungsbereite Einwanderer anziehen - und nur so ihre globale Vormachtstellung erreichen.

Doch das müsse nicht so bleiben, warnte Barack Obama Mitte Januar in seiner Abschiedsrede: Die Verfassung der USA "ist eigentlich nur ein Stück Pergament, das für sich genommen keine Macht hat". Die bekomme sie erst durch die Entscheidungen der Bürger - etwa ob sie die Rechtsstaatlichkeit achten und durchsetzen. Trump aber verschärft gesellschaftliche Spannungen in seinem Land und ist derzeit damit beschäftigt, mit haltlosen Behauptungen über Wahlfälschungen das Vertrauen in eine seit zweihundert Jahren stabil funktionierende Demokratie zu zersetzen.

Schon rufen US-Medien wie die "New York Times" oder das "New York Magazine" Deutschland zur letzten Bastion der freiheitlichen Demokratie aus. Der britische Deutschlandkenner Glees hält das nicht einmal für übertrieben. "Die deutsche Dominanz in der EU ist eine Tatsache des Lebens", sagt Glees. "Aber glücklicherweise ist die Bundesrepublik aus historischen Gründen das letzte Land, das in Gefahr ist, von einer Welle des Populismus weggespült zu werden."

Die Bundesrepublik müsse die EU, "den größten freien Markt der Welt", unbedingt schützen und fördern. "Dafür muss Deutschland eine durchsetzungsfähige Demokratie werden, die viel mehr Verantwortung schultert - auch für die physische Sicherheit Europas." Der in der deutschen Politik stark verankerte Pazifismus könne da zum Problem werden, meint Glees. "Aber Grüne und Sozialdemokraten müssen sich fragen, was sie in einer nicht perfekten Welt bevorzugen - den Aufstieg der Rechten oder den Erfolg Europas."

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Drastischer formuliert es Johannes von Thadden, ehemaliger CDU-Bundesgeschäftsführer und jetzt Manager bei Airbus Defence & Space: "Wenn wir als Europäer im Kindergarten bleiben wollen, sollten wir uns nicht wundern, wenn wir auch genau so behandelt werden."

Kann die EU die inneren Widersprüche überbrücken?

Fragen stellen sich allerdings auch für die Konservativen, etwa was den Euro und die EU-Finanzpolitik betrifft. So fordert der Franzose Fillon nicht nur die Berufung eines Eurozonen-Finanzministers, sondern auch die Vergemeinschaftung der Schulden - was in Berlin als Teufelszeug gesehen wird. Viele Finanzexperten aber glauben, dass der Euro - und damit wohl auch die EU selbst - nur so langfristig gerettet werden können. Doch sowohl bei Finanzen als auch in der Außen- und Sicherheitspolitik müssen alle Entscheidungen einstimmig getroffen werden, was schwer fällt angesichts der Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten.

Eine andere Frage ist, ob Trump einem Erstarken der EU tatenlos zusehen würde. Bisher sieht es nicht danach aus: Er hat bereits öffentlich auf den Zerfall der Europäischen Union gewettet und betreibt auch mit anderen Mitteln aktiv die Spaltung Europas.

Politikwissenschaftler Weidenfeld glaubt dennoch, dass die EU eine gemeinsame große Linie finden wird. Auf einer Skala von 1 bis 10 taxiert er die Chance dafür "auf 8 bis 9" -"weil der Druck massiv gestiegen ist."

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