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Angela Merkel vor dem EU-Parlament: Keine Visionen, aber klare Worte


Merkel im Europaparlament
Keine Visionen, aber deutliche Kritik am Zustand der EU

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 13.11.2018Lesedauer: 4 Min.
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Angela Merkel vor dem Europaparlament in Straßburg: Visionär wurde sie nur selten, aber ihre Kritik war deutlich.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel vor dem Europaparlament in Straßburg: Visionär wurde sie nur selten, aber ihre Kritik war deutlich. (Quelle: Jean-Francois Badias/ap-bilder)

Wie stellt sich Angela Merkel die Zukunft Europas vor? So recht weiß man das auch nach ihrer Rede vor dem Europaparlament nicht. Aber man weiß, was ihr gerade fehlt: Solidarität.

Für Visionen ist Angela Merkel nicht bekannt. Wer es gut mit ihr meint, beschreibt sie als Krisenkanzlerin, als Politikerin, die die Probleme dann löst, wenn sie anstehen, und dabei am stärksten ist. Wer es nicht so gut mit ihr meint, sieht sie als die große Zauderin, eine Politikerin, die erst handelt, wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht und es eigentlich schon zu spät ist.

Am Dienstag nun soll sie die Visionärin Merkel sein. Im Europaparlament in Straßburg steht eine Debatte zur Zukunft der Europäischen Union auf dem Programm. Mit der Kanzlerin in der Hauptrolle. Visionär wird es dann nur selten. Doch Merkel wird überraschend deutlich, als es darum geht, woran es in der EU aus ihrer Sicht gerade mangelt: Solidarität.

Etwas früh für ein Vermächtnis

Die Erwartungen an Merkels Auftritt waren hoch. Würde die Kanzlerin in Straßburg eine Art Vermächtnis formulieren? Jetzt, wo sie ihren Abschied aus der Politik angekündigt hat? Doch das hatte sich Merkel offensichtlich gar nicht erst vorgenommen. Vielleicht ist das auch noch etwas früh. Immerhin will sie noch drei Jahre lang Kanzlerin bleiben.

Merkel versteht sich auch in Straßburg als Problemlöserin. Und als größtes Problem hat sie mangelnde Solidarität in der Europäischen Union ausgemacht. Solidarität sei die Grundvoraussetzung jeder Gemeinschaft, sagt Merkel. Und Toleranz für die Interessen der anderen Staaten sei die Seele Europas.

Was wolkig klingt, wird bei Merkel schnell konkret: "Wer rechtsstaatliche Prinzipien in seinem Land aushöhlt, wer die Rechte der Opposition und der Zivilgesellschaft beschneidet, wer die Pressefreiheit einschränkt, der gefährdet nicht nur die Rechtsstaatlichkeit in seinem Land, sondern der gefährdet die Rechtsstaatlichkeit von uns allen in ganz Europa." Eine ziemlich unverblümte Kritik an Ungarn und Polen.

Die EU sieht dort schon länger Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr, die Sanktionsverfahren laufen. Europa könne als Rechtsgemeinschaft nur funktionieren, wenn das Recht überall gleichermaßen gilt und geachtet wird, sagt Merkel.

Aus ähnlichen Gründen kritisiert sie Italien, ohne das Land nennen zu müssen. "Wer darauf setzt, Probleme alleine durch neue Schulden zu lösen und eingegangene Verpflichtungen missachtet, der stellt Grundlagen für die Stärke und die Stabilität des Euroraums in Frage", sagt Merkel. Die gemeinsame Währung könne nur funktionieren, wenn jeder seine Verantwortung für tragfähige Finanzen zu Hause erfülle. Die EU-Kommission hatte den Haushaltsentwurf Italiens zuletzt in einem historisch einmaligen Schritt abgelehnt – weil die Italiener aus ihrer Sicht zu viele Schulden machen.

Verantwortung für das Ganze

Solidarität nach Merkel heißt somit, dass jeder Staat eine Verantwortung für das Ganze trägt – und das gefälligst auch beachtet, wenn er zu Hause Politik macht. Oder wie Merkel es formuliert: "Solidarität bedeutet immer auch, nationale Egoismen zu überwinden."

Merkel gesteht dabei durchaus eigene Fehler ein. "Ich weiß auch, dass sich Deutschland nicht immer tadellos verhalten hat", sagt sie. Man habe vor 2015 viel zu lange gebraucht, um die Flüchtlingsfrage als eine Frage für alle europäischen Staaten anzunehmen. Und um zu verstehen, dass sie eine gesamteuropäische Aufgabe sei.

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Aber Merkel nimmt auch hier die anderen EU-Staaten deutlich in die Pflicht. "Europa ist bei der Migration noch nicht so geeint, wie ich es mir wünschen würde." Man müsse Frontex zu einer echten Grenzschutzpolizei entwickeln und ein gemeinsames europäisches Asylverfahren entwickeln. Da müssten die Staaten dann auch ein Stück weit auf ihre nationalen Kompetenzen verzichten.

Doch genau da hakt es eben schon seit Jahren. Merkels Anliegen, einen Mechanismus zu etablieren, um die ankommenden Flüchtlinge fair auf alle EU-Staaten zu verteilen, erwähnt sie diesmal gar nicht erst.

Eine Armee für Europa

Als Eilmeldung um die Welt geht dann der konkreteste Vorstoß Merkels. Sie spricht sich für eine europäische Armee aus, genau wie vor ihr schon der französische Präsident Emmanuel Macron und ihre mögliche Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Eine gemeinsame europäische Armee würde zeigen, dass es zwischen den Ländern nie wieder Krieg gibt", begründet sie das. Es sei natürlich keine Armee gegen die Nato, betont sie dann noch, nachdem US-Präsident Donald Trump kürzlich gegen das Vorhaben gewettert hatte. Sondern eine Ergänzung. "Kein Mensch möchte klassische Verbindungen in Frage stellen."

Ob daraus etwas wird, bleibt ungewiss. Die Mitgliedstaaten müssten hier eine Kernkompetenz zumindest in Teilen abgeben, nämlich die der Landesverteidigung. Schwierig.


Merkels Rede wird von Buhrufen begleitet. Abgeordnete im Saal berichten der Nachrichtenagentur dpa, sie seien aus den Reihen der Rechtspopulisten und EU-Kritiker gekommen. Davon gibt es immer mehr in Europa. Das weiß auch Merkel. Und zieht ihre eigenen Schlüsse: "Dass ich den Kern getroffen habe, zeigt sich an dem Protest."

Er zeigt aber eben auch: Das mit der Solidarität wird nicht einfach.

Verwendete Quellen
  • Rede Angela Merkels vor dem Europaparlament in Straßburg
  • Eigene Recherchen
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