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Russland – drohender Tod von Nawalny: Putin riskiert die völlige Eskalation


Nawalny in Lebensgefahr
Putin riskiert die große Eskalation

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 22.04.2021Lesedauer: 6 Min.
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Putin wanderte im März mit seinem Verteidigungsminister in der Taiga: Der russische Präsident ringt momentan mit Konflikten im In- und Ausland.Vergrößern des Bildes
Putin wanderte im März mit seinem Verteidigungsminister in der Taiga: Der russische Präsident ringt momentan mit Konflikten im In- und Ausland. (Quelle: imago-images-bilder)

Alexej Nawalny schwebt in Lebensgefahr, lässt Putin ihn sterben? Der Präsident setzt im Fall des Kremlkritikers und mit Kriegsspielen im Ukraine-Konflikt auf gezielte Eskalationen.

Der Gesundheitszustand des Kremlkritikers Alexej Nawalny verschlechtert sich, er schwebt in Lebensgefahr. Seine Ärzte warnen vor einem Herzstillstand. Seine Anwälte beklagen, dass Nawalny keine medizinische Hilfe bekomme. Und während seine Anhänger in Russland auf die Straße gehen, wird der Fall Nawalny erneut zu einem internationalen Konflikt mit schweren Konsequenzen für Russland, sollte der 44-Jährige in Gefangenschaft sterben.

Zugleich steckt Russland im Moment in einer Vielzahl weiterer Krisen und Konflikte: Zehntausende russische Soldaten und Panzer marschieren an der ukrainisch-russischen Grenze auf, die Corona-Pandemie und große wirtschaftliche Probleme plagen die Bevölkerung.

Einige dieser Eskalationen sind gewollt und folgen dem Plan des Präsidenten Wladimir Putin. Doch eigentlich kann sich Moskau weder den Tod des Kremlkritikers noch einen aufflammenden Ukraine-Konflikt erlauben. Trotzdem treibt Putin sein riskantes Spiel mit dem Feuer voran. Warum und wie passt das zusammen?

Warum ging Nawalny freiwillig zurück nach Russland?

Das oberste Ziel des Präsidenten ist die Stabilität seines Regimes. Das wackelt zwar noch nicht, aber der Widerstand gegen Putin wächst. Seine eigenen Zustimmungswerte und die seiner Partei "Geeintes Russland" sind im Keller und im Herbst stehen Parlamentswahlen an. Auch durch die Corona-Pandemie ist die Wirtschaft in der Krise, der Rubel auf Talfahrt. Die Bevölkerung macht auch Putins Politik dafür verantwortlich.

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Nawalny erwies sich in dieser Situation für den Kreml immer wieder als Störfaktor. In einer Zeit, in der viele Russinnen und Russen durch Armut bedroht sind, deckte er Korruption des Putin-Regimes auf und veröffentlichte Details über den Protz, in dem der russische Präsident lebt. Seine Verhaftung war deshalb keine Überraschung. Er ist nun dort, wo der Kreml ihn in dieser Zeit am liebsten hat: im Straflager, für dreieinhalb Jahre.

Der Kremlkritiker hatte damit jedoch offenbar nicht gerechnet. Nach seiner Vergiftung, mutmaßlich durch den Geheimdienst FSB, kehrte er nach Russland zurück. Nawalny wusste eigentlich, dass ihm Gefahr droht. "Es fehlt nur noch, dass Putin über dem Kreml ein großes Plakat mit der Aufschrift 'Alexej, komm auf keinen Fall zurück nach Hause' aufhängen lässt", erklärte er vor seinem Abflug im Januar in Berlin. "Diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun."

Nach seiner überstandenen Vergiftung und im Fokus der internationalen Presse wog er sich in Sicherheit, las die Vergleiche zwischen ihm und Wladimir Lenin. Doch das war ein Trugschluss, auch die Anhänger – die er vor seinem Abflug mobilisierte – konnten ihn nicht schützen.

"Der Tod ist nur eine Frage von Tagen"

Vier Monate später ist er in einem der berüchtigten russischen Straflager in den Hungerstreik getreten und wurde nun verlegt. Er sei in ein Krankenhaus auf dem Gelände eines anderen Straflagers gekommen, teilte der russische Strafvollzug mit. Der Gesundheitszustand des Oppositionellen wurde demnach als "zufriedenstellend" bezeichnet. Nawalnys Team sagte dagegen, der 44-Jährige sei lediglich in ein anderes Straflager gebracht worden – und nicht in eine Klinik.

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Nawalny isst seit fast drei Wochen nichts mehr, um so einen Arztbesuch durchzusetzen. Sein Team nannte Nawalnys Gesundheitszustand am Wochenende bedrohlich. Es warnte eindringlich wegen kritischer Kaliumwerte im Blut vor einem drohenden Herzstillstand. Der Oppositionspolitiker klagte zuletzt über Rückenleiden, Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen, Fieber und Husten.

Seine Sprecherin Kira Jarmysch schrieb mit eindringlichen Worten: "Alexej stirbt." Der Tod sei nur eine Frage von Tagen. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Der Kreml bleibt bei seiner Aussage, dass der Gesundheitszustand von Nawalny "zufriedenstellend" sei.

Putin kann Nawalny eigentlich nicht sterben lassen

Rund um den Fall herrscht ein Propagandakrieg. Die Stimmung ist aufgeheizt, Tausende Anhänger von Nawalny protestieren auf den Straßen. Die Folge sind Verhaftungen, Tränengas durch Polizei und Sicherheitskräfte. Die große Gewalt, mit der Putin den Protesten begegnet, zeigt vor allem: Er hat Angst vor einer weiteren Destabilisierung des Landes.

Der Kreml möchte Nawalny ruhigstellen und im besten Fall an dem Oppositionellen ein Exempel statuieren. Außerdem dient sein Fall als Ablenkungsmanöver von den großen innenpolitischen Problemen. Trotzdem kann Putin Nawalny eigentlich nicht sterben lassen, denn das würde großen politischen Schaden für sein Land mit sich bringen.

Das hat unterschiedliche Gründe:

► Die internationale Aufmerksamkeit für den Fall Nawalny ist nach seiner Vergiftung immens.

► Die russische Regierung möchte die Sanktionen des Westens loswerden, um die Wirtschaftskrise im eigenen Land abzuschwächen. Sollte Nawalny sterben, würden die Europäische Union und die USA mutmaßlich mit weiteren Wirtschaftssanktionen reagieren, die Russland hart treffen würden.

► Russland setzt momentan viel daran, weltweit den eigenen Corona-Impfstoff Sputnik V verkaufen. Nawalnys Tod würde die Geschäfte mit Europa erschweren.

► Der Kreml möchte das Bild eines geeinten Russlands im Kampf gegen die Pandemie verkaufen, speziell vor der Wahl im Herbst. Sollte Nawalny sterben, würden auch die Proteste seiner Anhänger wachsen. Auch das passt momentan nicht in Putins Strategie.

► Letztlich ist Nawalny zwar ein Ärgernis für Putin, aber er ist in Russland politisch nicht wichtig genug, als dass der Kreml die oben genannten Konsequenzen riskieren würde.

Putin hat mutmaßlich nicht damit gerechnet, dass der Kremlkritiker in den Hungerstreik geht und dass sich sein Gesundheitszustand in kurzer Zeit so verschlimmert. Seine Verurteilung war eine Farce, Putin wird dafür verantwortlich gemacht. Sein Tod wäre ein politischer Super-GAU, das politische Ansehen des Präsidenten würde leiden.

Putin fühlte sich vor den Kopf gestoßen

In einem ähnlichen Dilemma steckt Russland aktuell im Ukraine-Konflikt, der Kreml verlegt Panzer und Zehntausende Soldaten an die ukrainisch-russische Grenze, errichtet große Militärlager. Der Aufwand ist kolossal. Doch sollte Russland damit die Lage in der Ostukraine wieder zur Explosion bringen oder gar in die Ukraine einfallen, drohen ähnliche – aber weitaus härtere – Reaktionen des Westens wie bei einem Tod Nawalnys.


Kriege sind teuer und auch die russische Bevölkerung ist kriegsmüde. Außerdem feiert Russland am 21. Juni einen besonderen Feiertag, den 80. Jahrestag des Überfalls von Hitler-Deutschland auf die Sowjetunion. Der Kreml wird in dieser Zeit nicht in ein Nachbarland einfallen wollen, ein Krieg ist nicht in Putins Interesse.

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Aber die militärischen Muskelspiele sind – wie im Fall Nawalny – Teil von Putins riskanter Strategie. Er wird es als persönliche Beleidigung aufgefasst haben, als US-Präsident Joe Biden ihn indirekt als "Mörder" bezeichnete und die USA ein Gipfeltreffen zwischen Biden und ihm vorerst absagten.

Putin wurde in die Zeit des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama zurückversetzt, der Russland damals als "Regionalmacht" bezeichnete. Die Panzer und die Soldaten sind nun eine Machtdemonstration, ein Signal an die Nato und an die USA. Außerdem ist es ein erneutes Zeichen, wie groß die Furcht Russlands vor einer Nato-Erweiterung ist.

Ganz nah an einer Katastrophe

Das Militärbündnis nimmt keine Staaten auf, an deren Außengrenze Konflikte toben, in die Nato-Staaten verwickelt werden könnten. Deshalb ist es im Interesse des russischen Präsidenten, dass die Konflikte in der Ukraine oder in Georgien – die als Beitrittskandidaten gelten – anhalten. Schon beim Nato-Gipfel 2008 in Bukarest sagte Putin, dass er bei einer weiteren Nato-Osterweiterung nicht einfach nur zusehen werde. Diese Ankündigung realisiert er seit Jahren in Osteuropa.

Dieses strategische Ziel scheint er zu erreichen. Russland sitzt wieder am Verhandlungstisch, Biden ruft in Moskau an, will plötzlich doch ein persönliches Treffen mit Putin. "Die USA sind nicht darauf aus, einen Kreislauf der Eskalation und des Konflikts mit Russland einzuleiten", meinte der US-Präsident.

Doch die Beziehungen zwischen Russland und der Nato befinden sich seit Jahren in diesem Kreislauf, es gibt nur dann einen Dialog, wenn es zuvor eine Eskalation gegeben hat. Diese Erfahrung hat auch Putin gemacht, der beispielsweise mit dem Angebot einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur bei den Nato-Staaten abblitzte. Seither sind die Beziehungen ein ständiges Auf und Ab.

Diese Form der diplomatischen Beziehungen wird immer problematischer. Zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine bedeuten schließlich auch, dass eine falsche Entscheidung zur Katastrophe führen kann.

Nawalnys Zukunft und der Ukraine-Konflikt könnten die Beziehungen zwischen vielen westlichen Staaten und Russland weiter verschlimmern. Der Tiefpunkt könnte noch lange nicht erreicht sein.

Verwendete Quellen
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