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Ohne Zwang, ohne Anreize: Spanien impft gegen die Corona-Explosion


Ohne Zwang, ohne Anreize
Warum Spaniens Impfturbo ungebrochen ist

Von Patrick Diekmann

27.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Barcelona: Menschen feiern das traditionelle Straßenfest im Bezirk Gracia.Vergrößern des Bildes
Barcelona: Menschen feiern das traditionelle Straßenfest im Bezirk Gracia. (Quelle: Reuters-bilder)

Die Infektionszahlen in Spanien sinken wieder. Das ist vor allem ein Erfolg der ungebremst erfolgreichen Impfkampagne.

Es herrscht wieder Partystimmung in Katalonien. In Sitges sitzen am vergangenen Wochenende zahlreiche Menschen am Strand, beobachten das Feuerwerk des traditionellen Kirchenfestes der Stadt. Auch im nahegelegenen Barcelona zieht das traditionelle Fest des Viertels Gracia vor allem viele Jüngere auf die Straßen. Die Bilder zeugen von ausgelassener Freude, kurz zuvor hatte ein Gericht die nächtliche Ausgangssperre in weiten Teilen der Region gekippt. Kontaktbeschränkungen gelten weiterhin, Clubs sind geschlossen – doch zumindest draußen ist Feiern wieder möglich.

Als die vierte Corona-Welle Spanien im Frühjahr traf, wurde vor allem Katalonien zum Hotspot. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag Ende Juli noch bei weit über 500 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Die Maßnahmen wurden verschärft, ein neuer Lockdown drohte. Deutschland stufte Katalonien und weitere Teile des Landes als Hochrisikogebiet ein.

Drei Wochen später ist klar: Die Inzidenz in Barcelona liegt zwar noch immer bei 168, doch die Krankenhäuser schlagen nicht Alarm.

Spaniens Weg in die Normalität

Die Entspannung in Katalonien steht beispielhaft für ganz Spanien. Das Land hat weiterhin eine vergleichsweise hohe Sieben-Tage-Inzidenz von 149, das Gesundheitssystem ist dennoch nicht überlastet. Die Intensivbettenauslastung in den Kliniken lag laut dem spanischen Gesundheitsministerium am Mittwoch bei 19,2 Prozent.

Das Erfolgsgeheimnis in diesem Sommer: Spanien ist aktuell Europameister im Impfen, ganz ohne Zwang, Anreize oder politischen Druck.

LanderVergleich

Inzwischen haben knapp 77 Prozent der Bevölkerung eine Erstimpfung erhalten, 68 Prozent sind doppelt geimpft. Zum Vergleich: Die Impfkampagne in Deutschland stagniert momentan bei einer Quote von 65 Prozent bei den Erstimpfungen, 60 Prozent haben zwei Spritzen erhalten.

"Danke an alle, die diesen großartigen Erfolg täglich möglich machen", schrieb Ministerpräsident Pedro Sánchez bereits im Juli auf Twitter. Inzwischen sind 100 Prozent aller 80- bis 89-Jährigen geimpft, bei den 70- bis 79-Jährigen sind es 98,3 Prozent, bei den 60- bis 69-Jährigen 97,5 Prozent.

Die Daten des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten zeigen: In Spanien sind die älteren Generationen größtenteils doppelt geimpft, was die Krankenhäuser entlastet. Aber auch bei den Jüngeren macht das Land schnelle Fortschritte. So hat schon knapp jeder Fünfte im Alter von unter 18 Jahren mindestens eine Dosis erhalten.

Für den Erfolg der Impfkampagne gibt es mindestens drei unterschiedliche Gründe:

1. Vertrauen in das Gesundheitssystem

Im ganzen Land wurden riesige Impfzentren errichtet, auch in Fußballstadien wird geimpft – Tag und Nacht. Dort bildeten sich lange Schlangen.

Viele Spanier haben allgemein ein hohes Vertrauen in das staatliche Gesundheitssystem, zitiert die "Süddeutsche Zeitung" Amós García, Chef der spanischen Gesellschaft für Immunologie. Es funktioniert weniger über Hausärzte, wie in Deutschland, sondern über Gesundheitszentren.

Dieses Vertrauen führte zu einem Phänomen: Während zu Beginn der Kampagne die Impfbereitschaft nur bei 64 Prozent lag, geben nun nur noch 2,5 Prozent der Bevölkerung an, sich nicht impfen lassen zu wollen. Es gibt in Spanien also kaum noch Impfverweigerer.

2. Kein Druck auf die Bevölkerung

Experten gehen davon aus, dass die hohe Impfbereitschaft in der Bevölkerung auch dadurch entstand, dass die spanische Regierung keinen Druck auf die Bevölkerung ausübte.

"Die Covid-Impfung geschieht auf freiwilliger Basis“, erklärt das spanische Gesundheitsministerium stets, "so wie es auch mit allen anderen Schutzimpfungen in Spanien der Fall ist."

Einen Versuch gab es allerdings doch: In der Region Galicien wurde eine Impfpflicht eingeführt, mit Strafen von bis zu 60.000 Euro. Das spanische Verfassungsgericht hat das Gesetz jedoch schnell gestoppt, weil die Entscheidung über eine Impfpflicht in die Kompetenz der Zentralregierung fällt.

3. Schrecken der ersten Wellen

Sicherlich spielt jedoch auch eine Rolle, dass Spanien von den vergangenen Wellen mit am härtesten in Europa getroffen wurde. Die Folge waren überlastete Krankenhäuser, ganze Bezirke in der Hauptstadt Madrid waren abgeriegelt. Auch wirtschaftlich hat die Pandemie dem vom Tourismus abhängigen Land massiv geschadet.

Impfen ist damit stärker als anderswo eine Frage der gesellschaftlichen Solidarität. Denn ein großer Teil der Bevölkerung, der seinen Lebensunterhalt durch Urlauber verdient, ist auf eine hohe Impfquote angewiesen.

Außerdem gab es in Spanien 4,8 Millionen Infektionen bei über 46 Millionen Einwohnern. Es hatten demnach viele Menschen schon eine Covid-19-Erkrankung. Ähnlich wie eine doppelte Impfung schützt das zwar nicht komplett vor der Delta-Variante, aber beide Faktoren führen dazu, dass weniger Menschen ins Krankenhaus müssen.

Corona-Kurs mit Risiken

Trotz der Impferfolge ist Spaniens aktueller Corona-Kurs nicht ohne Risiko. Das Land bleibt wirtschaftlich abhängig von Touristen. Im vergangenen Sommer waren es oft jüngere Partytouristen, die Masseninfektionen auslösten. Ähnlich wie in Deutschland ist es in Spanien aktuell eine Pandemie der Jüngeren und Ungeimpften.

Vor allem zu Gunsten der kriselnden Tourismusbranche durften Clubs öffnen und wurden Partys sowie Festivals erlaubt. Das führte insbesondere im Juli zu der Explosion der Infektionszahlen in Barcelona, auch die Balearen mussten reagieren. So führte Mallorca erneut nächtliche Corona-Beschränkungen ein.

Besonders auffällig ist in Spanien die Rolle der Justiz. Sie hat die Politik in den vergangenen Monaten bei der Einführung neuer Corona-Maßnahmen häufig ausgebremst. So verhinderten Gerichte zuletzt eine Impfpflicht für Krankenpfleger oder die Nutzung des europäischen Covid-Zertifikats für den Zugang zu Freizeitaktivitäten. Oft verlangten die Richter Studien, die die Notwendigkeit dieser Maßnahmen zweifelsfrei nachweisen. Kritiker monieren, dass dies eine schnelle Reaktion auf eine veränderte Pandemie-Lage unmöglich mache.

Auch die nächtliche Ausgangssperre in Barcelona fiel einem Gerichtsurteil zum Opfer. Das ist vor allem für viele jüngere Menschen in der Stadt momentan ein Grund zur Freude. Ob sich der positive Verlauf der Pandemie in Spanien fortsetzt, müssen nun die kommenden Wochen zeigen.

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