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Diplomatie - Die Taliban: Von Kriegsgegnern zu Verhandlungspartnern


Diplomatie
Die Taliban: Von Kriegsgegnern zu Verhandlungspartnern

Von dpa
01.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem pakistanischen Außenminister Qureshi.Vergrößern des BildesBundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem pakistanischen Außenminister Qureshi. (Quelle: Anjum Naveed/AP/dpa./dpa)
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Doha (dpa) - Eigentlich hätte Heiko Maas auch gleich selbst mit den Taliban reden können. Die Islamisten haben in der katarischen Hauptstadt Doha, der letzten Station der viertägigen Rundreise des Außenministers in Sachen Afghanistan, ihr politisches Büro - eine Art Außenministerium.

Im "Sheraton Hotel", in dem Maas die Nacht zu Mittwoch verbrachte, fanden die Verhandlungen der Taliban mit der afghanischen Regierung statt. Hier wurde im vergangenen Jahr das Doha-Abkommen mit den USA unterzeichnet, das Afghanistan nach Jahrzehnten des Kriegs eigentlich Frieden bringen sollte.

Maas hatte aber bereits vor seiner Ankunft in Doha deutlich gemacht, dass ein Kennenlerntreffen mit den Taliban für ihn erst einmal nicht infrage kommt - noch nicht. Die neuen Machthaber in Afghanistan haben noch nicht einmal eine Regierung benannt, als Maas in Katar eintrifft. Es gibt also auch niemanden, mit dem der Minister auf Augenhöhe sprechen könnte. Außerdem will man noch alles vermeiden, was nach Anerkennung der neuen Machthaber aussehen könnte. Deswegen klare Sache: Kein Dinner mit den Taliban in Doha.

Dafür trifft sich Maas in Katar mit seinem derzeit wohl wichtigsten Diplomaten: Markus Potzel. Zwischen 2014 und 2016 war der schon einmal Botschafter in Kabul, wurde dann Afghanistan-Beauftragter der Bundesregierung, begleitete die Friedensverhandlungen in Doha und sollte eigentlich im August erneut in die afghanische Hauptstadt entsandt werden. Die Taliban machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Maas leitete ihn nach dem Umsturz in Kabul kurzerhand nach Doha um, wo er nun per WhatsApp in ständigen Kontakt mit den Taliban ist. Alle paar Tage steht ein persönliches Treffen an. "Das ist der Kanal, den wir nutzen", sagte der Minister über Potzel.

Idee gab es schon vor 14 Jahren

Aber darf man das eigentlich? Mit Leuten verhandeln, die man lange Zeit als Terroristen angesehen hat, gegen die Bundeswehrsoldaten gekämpft haben und gefallen sind? Die Diskussion gibt es schon sehr lange.

Vor 14 Jahren machte sich der damalige SPD-Chef und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck zum Gespött der Republik, als er Gespräche mit moderaten Taliban anregte. Geht gar nicht, war damals die vorherrschende Meinung. "Man merkt, dass Herr Beck in Mainz sitzt und sich bislang mehr um Winzer als um Weltpolitik gekümmert hat", machte sich der damalige CSU-Generalsekretär und heutige Parteichef Markus Söder über Beck lustig. Heute weiß man, dass Beck in Sachen Taliban eher ein Visionär als ein außenpolitischer Amateur war.

"Die Taliban sind jetzt Realität in Afghanistan"

Potzel ist nicht der einzige, der in Doha mit den Taliban redet. Auch andere westliche Staaten suchen den Kontakt. Alle eint eine schlichte Erkenntnis, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungserklärung vergangene Woche so formulierte: "Die Taliban sind jetzt Realität in Afghanistan. Diese neue Realität ist bitter, aber wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen."

Wer in Afghanistan etwas erreichen will, kommt an den Taliban nicht mehr vorbei. Und die Bundesregierung will etwas erreichen, sogar sehr dringend: Mehr als 40.000 Menschen warten darauf, das Land mit ihrer Hilfe zu verlassen. Und das geht nach dem dem Ende der militärischen Evakuierungsaktion der internationalen Gemeinschaft eben nicht mehr ohne den guten Willen der Machthaber. Die kontrollieren die Straßen zur Grenze mit Checkpoints. Und auch der Flughafen ist jetzt wieder in ihrer Hand.

Erste Anzeichen für Kooperationsbereitschaft

Es ist eigentlich eine absurde Situation: Um die Ausreise der Schutzsuchenden zu ermöglichen, muss die Regierung mit denjenigen kooperieren, vor denen sie diese Leute eigentlich schützen will. Aber eine Alternative gibt es nicht.

Es ist also reiner Pragmatismus, aus dem die Bundesregierung mit den Taliban verhandelt. Es gibt auch einen ersten Erfolg. Die Taliban haben Potzel vergangene Woche sicheres Geleit für die Schutzsuchenden zugesagt. "Ob man sich darauf verlassen kann, wird man, glaube ich, erst in den kommenden Tagen und auch Wochen sehen", betont Maas.

Es gibt aber Anzeichen dafür, dass das klappen könnte. Am Montag, während Maas in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad Gespräche führt, schafft es ein erster größerer Konvoi Schutzsuchender über die Grenze in das Nachbarland. Etwa 100 Menschen, afghanische Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung mit ihren Familienangehörigen, bringen sich in Sicherheit. Das macht Hoffnung.

Taliban wollen Geld und Anerkennung

Aber was ist der Preis für die Kooperationsbereitschaft der Taliban? Den Islamisten geht es in den Verhandlungen vor allem um zwei Dinge: Geld und Anerkennung. Deutschland hatte Afghanistan eigentlich Hilfsgelder in Höhe von 430 Millionen Euro für dieses Jahr zugesagt. Die sind nun zum größten Teil auf Eis gelegt. Nur Nothilfe etwa für Binnenflüchtlinge wird noch gezahlt. Potzel hat aber die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe unter bestimmten Bedingungen in Aussicht gestellt - sein wichtigster Hebel in den Gesprächen.

Anders sieht es mit der Anerkennung aus. Damit können die Taliban erst einmal nicht rechnen. So schnell will man sich dann doch noch nicht an die neuen Machthaber gewöhnen. "Es geht im Moment nicht um die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung", sagt Maas. "Es geht um die Lösung ganz praktischer Probleme."

Kurzer Draht soll erhalten bleiben

Die Gespräche über Lösungen könnten schon bald in Kabul stattfinden. Die Taliban sind dabei, ihre Vertretung in Doha zurück in die Heimat zu verlagern. Und auf deutscher Seite hat man sich entschieden, den kurzen Draht zu den Taliban nicht abreißen zu lassen. Sogar die Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Kabul, die erst vor wenigen Tagen fluchtartig verlassen wurde, scheint möglich.

"Es gibt ein großes Bedürfnis nach diplomatischer Präsenz", betont Maas in Doha. "Wenn es politisch möglich wäre und wenn die Sicherheitslage es erlaubt, dann sollte auch Deutschland in Kabul wieder eine eigene Botschaft haben." Erstmal wolle man aber abwarten, wen die Taliban in ihre Regierung aufnehmen. Sollten auch andere Bevölkerungsgruppen als die Taliban selbst repräsentiert sein, würde das als positives Zeichen gewertet.

Die Wiederöffnung der Botschaft wäre nicht mit einer Anerkennung der Taliban gleichzusetzen. Diplomatische Beziehungen hat man mit Staaten und nicht mit Regierungen. Deswegen gibt es auch in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang eine deutsche Botschaft oder in Myanmar trotz des Militärputschs.

"In die richtige Richtung schubsen"

Seine Reise dürfte Maas jedenfalls darin bestärkt haben, mit den Taliban möglichst intensive Gespräche zu führen. Vor allem Pakistan und Katar, wo man die Taliban mit am besten kennt, warnen vor einer Isolation Afghanistans. Der pakistanische Außenminister Shah Mehmood Qureshi empfiehlt, den neuen Machthabern in Kabul einen Vertrauensvorschuss zu geben und das Engagement für das Land fortzusetzen. "Wir sollten sie in die richtige Richtung schubsen" sagt er. "Lasst uns nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen."

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