Presse zum Ukraine-Krieg "Es zeichnet sich ein grauenhaftes syrisches Szenario ab"
Kremlchef Putin hat seine Drohungen wahr gemacht und die Ukraine überfallen. Die internationale Presse sieht düstere Aussichten für die Zukunft – nicht nur im Kriegsgebiet.
Tag drei der russischen Invasion in die Ukraine: Aus der Hauptstadt Kiew werden Straßenkämpfe gemeldet, Präsident Selenskyj ruft seine Landsleute zum Widerstand auf – so blickt die internationale Presse auf die Situation:
►"The Guardian" aus London: "Selbst wenn Putin einen schnellen Sieg erringt, werden die Teile des ukrainischen Militärs, die nicht bezwungen werden, wahrscheinlich weiterkämpfen – was die Aussicht auf einen zermürbenden Guerillakrieg gegen die russische Besatzung oder eine Marionettenregierung eröffnet.
Putins Hauptziel ist es, dass die Ukraine niemals der Nato beitritt. Seine andere Forderung würde die ukrainische Souveränität einschränken, sodass das Land fest in Moskaus Hand wäre. Ohne Kompromiss wird der russische Präsident sich und sein Land vom europäischen Kontinent isolieren.
Das ukrainische Volk sollte in der Lage sein, seine Regierung zu wählen, und diese sollte in der Lage sein, sowohl nach Osten als auch nach Westen ohne Feindseligkeit zu blicken. Putins Krieg macht dies zunichte, und das ist eine Tragödie von ungeheurem Ausmaß. Aber die Geschichte endet nicht mit der Verkündung des Sieges. Kriege werden nie für immer gewonnen."
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► t-online: "Die Empörung über Putins verbrecherischen Angriffskrieg wächst – und langsam kommen auch die demokratischen Regierungschefs in Westeuropa auf den Trichter, dass sie ihre naive Anbiederungspolitik vollständig beenden müssen, wenn sie den Terroristen im Kreml stoppen und das Vertrauen ihrer eigenen Bevölkerungen nicht verlieren wollen.
Am Verhalten des Kanzleramts ist dieser Prozess in den vergangenen Stunden exemplarisch zu beobachten gewesen. Nachdem sich Olaf Scholz zunächst von SPD-Parteichefin Saskia Esken für die 'beeindruckende Krisendiplomatie' bei seinem Besuch in Moskau hatte feiern lassen, war seine Erschütterung nach dem nächtlichen Angriff auf die Ukraine umso größer: Putin hatte ihm glatt ins Gesicht gelogen. Von wegen, er wolle keinen Krieg." mehr ...
► "Tages-Anzeiger" aus Zürich: "Wenn Putin die Pipeline schließt, dann wird es kalt und dunkel in Deutschlands Wohnungen. Nicht gleich morgen, aber spätestens im nächsten Herbst. Atomausstieg, Kohleausstieg und fehlende Investitionen in alternative Energien haben Deutschland bei den Heizungen und bei der Stromproduktion abhängig gemacht von Russlands billigem Gas. Ja, Deutschland hat sich bei der Energieversorgung Russland geradezu ausgeliefert.
Bei uns wird nicht so viel mit Gas geheizt wie in Deutschland, das heißt aber noch lange nicht, dass wir weniger von Putins Goodwill abhängig sind als unsere nördlichen Nachbarn. Wir haben uns nicht nur abhängig von den Russen gemacht, wir verdienen auch gutes Geld mit ihnen. Vor allem in der Rohstoffbranche, und das ist fatal. 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels läuft über die Schweiz. In Genf, Zug und Zürich sitzen die Händler, die Betriebsgesellschaft für die Gaspipelines und die Gazprom-Bank."
► "De Volkskrant" aus Amsterdam: "Es ist freilich bedauernswert, dass von der 'nuklearen Option' abgesehen wurde, dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift. Natürlich wäre das eine komplizierte Maßnahme, die viele Nachteile hätte. Russland könnte weiter in die Arme Chinas getrieben werden. Und Europa würde auch selbst getroffen werden – unter anderem, weil es schwieriger werden würde, für russisches Gas zu bezahlen, von dem es so abhängig ist.
Aber die Argumente europäischer Spitzenpolitiker gegen einen jetzigen Ausschluss Russlands aus Swift sind weit davon entfernt, überzeugend zu sein. Dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz zufolge wird diese Maßnahme für den Fall zurückgehalten, dass die Situation weiter eskaliert. Allerdings ist der Ukraine-Konflikt bereits auf eine Weise eskaliert, die viele für unmöglich hielten: Russland hat durch eine umfassende Invasion eines Nachbarlandes brutal internationales Recht verletzt."
► "De Standaard" aus Brüssel: "Was den Ukrainern widerfährt, ist herzzerreißend. Dass Russland vor einem uneingeschränkten Krieg zurückschrecken würde, war illusorisch. Die Zivilbevölkerung greift zu den Waffen gegen die Armee einer Weltmacht, die mit ihren hoch entwickelten Kriegsmaschinen vordringt. Es zeichnet sich ein grauenhaftes syrisches Szenario ab. Oder es wird eine demütigende Kapitulation geben.
Die Ukrainer haben diesen Krieg nicht provoziert. Sie werden niedergeschmettert, weil sie nach europäischen Freiheiten strebten. Sie sind auf sich allein gestellt. Militärisch rührt Europa keinen Finger."
- Nachrichtenagentur dpa