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Putin auf dem Weg zur Weltmacht? "Kriegsziele gehen weit über die Ukraine hinaus"


Griff nach der Weltmacht
"Putins Kriegsziele gehen weit über die Ukraine hinaus"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 14.04.2022Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Wladimir Putin bei einer Flugschau im Jahr 2017: Wie weit reichen die Pläne des russischen Präsidenten?Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin bei einer Flugschau im Jahr 2017: Wie weit reichen die Pläne des russischen Präsidenten? (Quelle: Alexei Nikolsky/Russian Presidential Press and Information Office/TASS/imago-images-bilder)

Die Ukraine kämpft um ihr Überleben, eine neue russische Offensive droht. Weshalb Deutschland dringend mehr tun muss, erklärt Experte Ralf Fücks. Und wie Europa Wladimir Putin so unterschätzen konnte.

Der russische Angriff auf die Ukraine verläuft bislang anders als erwartet, doch der Kreml konzentriert neue Kräfte. Ralf Fücks hat Ende März die ukrainische Hauptstadt Kiew besucht. Im Gespräch erklärt der Experte für Außenpolitik, wie die Stimmung in der Ukraine ist. Und warum Deutschland sich mehr engagieren muss.

t-online: Herr Fücks, niemand hat es der Ukraine zugetraut, aber sie widerstand den scheinbar übermächtigen russischen Streitkräften vor Kiew. Von seinen Plänen wird Wladimir Putin aber keinen Abstand nehmen, oder?

Ralf Fücks: Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Putin hält an seinen Kriegszielen unerschütterlich fest. Man muss nur einen Blick ins russische Staatsfernsehen werfen, um zu sehen, wie die Kriegspropaganda dort auf Hochtouren läuft. Putin ist mit seinem Blitzangriff gen Kiew gescheitert, nun beginnt ein groß angelegter konventioneller Feldzug gegen die Ukraine.

Beginnen wird dieser Feldzug im östlich gelegenen Donbass und im Süden.

Dort findet ein massiver Aufmarsch an Truppen und schweren Waffen statt, die in den nächsten Tagen zum Einsatz kommen werden. Wenn diese Offensive erfolgreich ist, besteht die Gefahr eines neuen Angriffs auf Kiew. Oder das Land wird geteilt und die Ukraine zu einem Diktatfrieden gezwungen. Das darf der Westen nicht zulassen.

Die Bundesregierung behauptet immer wieder, alles zu tun, was in ihrer Macht steht.

Ich bin mir nicht sicher, ob allen Beteiligten auf deutscher Seite klar ist, was auf dem Spiel steht. Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihr Land, sondern auch die europäische und deutsche Sicherheit. Putins Kriegsziele gehen weit über die Ukraine hinaus. Und die Ukraine kann der russischen Kriegsmaschinerie nur standhalten, wenn sie aus dem Westen schnell, massiv und kontinuierlich mit Waffen aller Art versorgt wird. Die deutsche Debatte um Defensiv- und Offensivwaffen ist völlig irreal.

Es sollte also keine Tabus mehr geben?

Diese Zeiten sind vorbei. Die Ukraine braucht Panzer, Flugabwehr, Anti-Schiffsraketen, Artillerie, Kampfflugzeuge – und zwar sofort. Dieser Krieg wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Wenn es der Ukraine gelingt, die russische Offensive abzuwehren, stehen die Chancen gut, dass es zu einer politischen Lösung kommt, die die politische Souveränität und territoriale Einheit des Landes wahrt. Andernfalls wird die russische Armee den Widerstand der Ukrainer mit aller Gewalt brechen.

Ralf Fücks, Jahrgang 1951, ist Gründer des Thinktanks Zentrum Liberale Moderne in Berlin, zuvor war er unter anderem Senator der Hansestadt Bremen. Anschließend war der Experte für Außen- und Sicherheitspolitik 21 Jahre lang Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die der Partei Bündnis 90/Die Grünen nahesteht.

Bilder, die uns aus der Ukraine erreichen, zeigen allerdings nicht nur Kampfhandlungen zwischen zwei Armeen, sondern auch immer wieder Übergriffe von russischer Seite auf Zivilisten.

Wir kennen die Bilder aus Butscha und die Berichte aus Mariupol. Das sind Kriegsverbrechen, die unter die Völkermordkonvention fallen. Die russische Kriegsführung zielt darauf ab, die Lebensgrundlagen der Ukrainer zu zerstören. Krankenhäuser, Stromversorgung und Lebensmittelproduktion werden gezielt bombardiert. Wie lange die Ukraine das durchhält, ist völlig offen. Deshalb kommt es jetzt auf Geschwindigkeit und Entschlossenheit seitens des Westens an.

Schnelligkeit kann man der Bundesregierung nicht unbedingt vorwerfen, steht sie denn wenigstens entschlossen da? Daran zweifeln viele Experten zunehmend.

Nach meinem Eindruck lassen viele die Dramatik des Krieges und der humanitären Krise in der Ukraine nicht an sich herankommen. Und ich bin nicht sicher, ob jeder in der Regierung erkannt hat, dass die Ukraine auch für unsere Sicherheit und Freiheit kämpft. Die Ukrainer sind Europas Fußsoldaten gegen eine revanchistische Großmacht, die Europas Landkarte mit Gewalt verändern will. Wenn wir die direkte Konfrontation mit Russland scheuen, sollten wir zumindest die Ukraine maximal unterstützen.

Also hoffen Teile der Bundesregierung, dass man schon auf irgendeine Weise wieder einen Kompromiss mit Russland finden wird?

Worin sollte ein solcher Kompromiss nach diesem Angriffskrieg und all den Kriegsverbrechen bestehen? Bisher scheut Olaf Scholz die klare Aussage, dass Russland in und an der Ukraine scheitern muss – in unserem ureigenen Interesse. Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. Nur so wird sich sein Machtdrang zügeln lassen.

Ende März haben Sie mit Ihrer Frau, der früheren Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Osteuropapolitik, Marieluise Beck, Kiew besucht. Was war Ihr Eindruck von der umkämpften Stadt und ihrer Menschen?

Als wir Kiew besucht haben, wurde in den Vororten noch gekämpft. Immer wieder gab es Luftalarm, ab 21 Uhr herrscht Ausgangssperre. Inzwischen sind die russischen Truppen dort abgezogen. Dafür haben wir vom Terror erfahren, den sie gegen Zivilisten ausgeübt haben. Das alles lastet schwer auf den Menschen. Ich hoffe, dass Kiew bald wieder die lebhafte, quirlige Stadt sein wird, die sie vor dem Krieg war.

Wie ist die Stimmung in der Stadt?

Gedrückt, ernst und entschlossen. Viele Freiwillige melden sich zum Militär und verabschieden sich von ihren Familien. Da spielen sich menschliche Dramen ab. Die Opferbereitschaft und der Kampfeswille der Ukrainer sind aber ungebrochen.

Sie sind nach Kiew gereist, um Gespräche zu führen. Was haben Ihnen die Menschen dort erzählt?

Wir haben mit Parlamentariern und Regierungsvertretern, mit Journalisten, Intellektuellen und Vertretern der Zivilgesellschaft gesprochen. Es gab dabei eine zentrale Botschaft: "Wir Ukrainer sind entschlossen, unsere Freiheit bis zum Letzten zu verteidigen. Ihr im Westen bestimmt aber maßgeblich mit, wie viele Opfer dieser Krieg fordern und wie lange er noch dauern wird."

Durch mehr Waffen für die Ukraine und stärkeren Druck auf Wladimir Putin? Vor allem in Form neuer Sanktionen?

Genau. Deutschland begeht gegenüber Russland immer wieder den gleichen Fehler: Wir signalisieren Putin immer wieder, was wir alles n i c h t tun werden.

Also etwa ein Importstopp für Gas und Öl aus Russland?

Auch das. Damit geben wir Putin freie Hand, den Krieg zu eskalieren. Was muss noch alles passieren, damit wir Russland den Geldhahn abdrehen? Ich hoffe, dass die Europäische Union zumindest ein rasches Ölembargo gegen Russland verhängen wird. Das muss von Sanktionen gegen Tanker flankiert werden, die russisches Öl transportieren. Sonst liefert Putin an andere Länder, die es nicht schert, was Russland in der Ukraine anrichtet.

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Damit wären wir wieder bei der Frage angelangt, wie entschlossen die Bundesregierung tatsächlich ist.

Ich nehme die Bundesregierung nicht einheitlich wahr. Die Grünen drängen auf einen härteren Kurs, zumindest bei den Waffenlieferungen. Andere bremsen, vielleicht aus Furcht vor einer Eskalation des Krieges, vielleicht weil sie die Brücken zum Kreml nicht abbrechen wollen. Dabei hat Putin sie längst niedergebrannt. Mit dem Krieg gegen die Ukraine kommt auch das Geschäftsmodell energieintensiver Industrien in Deutschland ins Rutschen. Es basiert auf der Lieferung preisgünstiger, großer Mengen von Öl und Gas aus Russland. Damit ist es jetzt vorbei.

Die deutsche Wirtschaft ist allerdings nicht nur überaus von Russland abhängig, sondern auch von China. Das ebenfalls Pläne verfolgt, die nicht unbedingt westlichen Interessen entsprechen.

Weder Russland noch China sind verlässliche Partner, sondern Gegner der liberalen Demokratien. In der deutschen Politik herrschte eine Art magisches Denken – als ließen sich alle Konflikte durch Diplomatie und Kooperation lösen. Unsere Wirtschaftsbeziehungen waren völlig von Sicherheitspolitik abgekoppelt. Wir preisen die Kosten unseres Wirtschaftsmodells für Umwelt und Klima nicht ein, und bei unserer auf Russland ausgerichteten Energiepolitik wurden die sicherheitspolitischen Kosten ausgeblendet. Das rächt sich nun. Auch die Abhängigkeit von China macht uns verwundbar.

Nun beschäftigen Politiker und Unternehmen Experten, die genau ein solches magisches Denken verhindern sollen. Was ging in Bezug auf Russland und China schief?

Kaum jemand wollte erkennen, dass wir es ähnlich wie in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts mit Gegnern zu tun haben, die eine expansive strategische Vision verfolgen. Russland will sein Imperium zurück, China die dominante Macht des 21. Jahrhunderts werden. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Diese Bedrohungen zu ignorieren, zeugt von Realitätsverlust. Wir sollten es besser wissen.

Herr Fücks, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ralf Fücks via Telefon
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