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Ukraine-Krieg: Experte warnt vor "unsichtbaren Krisen"


Folgen des Ukraine-Kriegs
"Die Krisen werden ein Stück weit unsichtbar bleiben"

InterviewVon Dorothee Menhart ("Die Debatte")

Aktualisiert am 25.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Eine Frau stampft Hirse: Die Trockenheit ist eins der großen Probleme in der Sahelzone, wie hier im Senegal.Vergrößern des Bildes
Eine Frau stampft Hirse: Die Trockenheit ist eins der großen Probleme in der Sahelzone, wie hier im Senegal. (Quelle: Joerg Boethling/imago-images-bilder)

Der Ukraine-Krieg könnte eine weltweite Hungerkrise auslösen, die wiederum die Migration verstärkt. Forscher Tobias Heidland sagt: Eine Flüchtlingskrise wie 2015 wird es nicht geben – vorerst. Ein gutes Zeichen ist das aber nicht.

Dieses Interview ist im Rahmen des Projekts "Die Debatte" von Wissenschaft im Dialog und der Universität Braunschweig entstanden.

Klimawandel, Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, der Kornkammer der Welt: Die Lage von Millionen Menschen, die weltweit von Hunger bedroht sind, verschärft sich zurzeit auf dramatische Weise. Mit welchen Migrationsbewegungen rechnen Sie infolge der aktuellen Entwicklung?

Prof. Dr. Tobias Heidland: Arme Menschen, die Hunger leiden, haben meist gar nicht die Mittel, um international zu migrieren. Viele Haushalte in ärmeren Ländern haben wegen Klimawandel-bedingter Dürren und während der Lockdowns in der Pandemie ihr Einkommen verloren und ihre Ersparnisse aufgebraucht. Die aktuelle Lebensmittelpreisinflation führt nun dazu, dass sie sich ganze Mahlzeiten nicht mehr leisten können. Doch ich rechne akut mit weniger Migration, als man erst mal annehmen könnte. Das wird leider auch dazu führen, dass die Krisen ein Stück weit unsichtbar bleiben. Sie werden sich in den Slums und den Armenvierteln von afrikanischen Großstädten abspielen. Und auch in kleineren Städten, aus denen westliche Medien noch seltener berichten.

Wie lautet Ihre längerfristige Prognose?

Das kommt darauf an, wie es mit der politischen Stabilität in den einzelnen Ländern weitergeht. Von der letzten großen Lebensmittelpreiskrise vor gut zehn Jahren wissen wir: Es kann zu Protesten kommen, die gewaltsam niedergeschlagen werden. Einige Regime könnten gestürzt werden. Es kann zu bewaffneten Konflikten kommen, die dann mehr Fluchtmigration zur Folge haben.

National oder international?

In erster Linie und zunächst einmal sicherlich innerhalb der Region. Auch im Falle von Syrien haben wir gesehen: Die Unzufriedenheit über hohe Lebensmittelpreise hat dazu beigetragen, dass dort protestiert wurde, Aufstände wurden gewaltsam niedergeschlagen, es kam zur Revolte, dann zur Revolution. Die Menschen sind erst mal innerhalb der Region geflohen und migriert. Die Migrationsbewegungen nach Europa setzten zwei, zweieinhalb Jahre später ein. Dem Welternährungsprogramm waren damals die Mittel ausgegangen, um die Menschen vor Ort zu ernähren.

Prof. Dr. Tobias Heidland ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Leiter des Forschungszentrums "Internationale Entwicklung" im Kiel Institut für Weltwirtschaft. Er forscht zu globalen Aspekten wirtschaftlicher Entwicklung und legt dabei Schwerpunkte auf Migration und Kapitalströme in Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika.

Hunger war der Auslöser für die Fluchtbewegungen aus Syrien nach Europa?

Zumindest ein Auslöser. Das Welternährungsprogramm wurde gerade auch vom Westen nicht ausreichend finanziert. Es mussten Kalorienzahlen pro Person reduziert werden und der Hunger war einer der Auslöser dafür, dass aus Syrien in andere Länder der Region geflüchtete Menschen sich aus dem Libanon, Jordanien und der Türkei insbesondere nach Westen aufgemacht haben. Erst damit kam in Gang, was wir in Europa als die Flüchtlingskrise 2015 wahrgenommen haben. Das heißt: Infolge der Ukraine-Krise ist mit Verzögerung mit einer Migrationsbewegung aus afrikanischen Ländern nach Europa zu rechnen.

Sie gehen davon aus, dass der Ukraine-Krieg in zwei, drei Jahren sichtbar wird in solchen Migrationsbewegungen?

Es hängt davon ab, wie wir jetzt politisch handeln. Wir haben es für mehrere Millionen Ukrainer sehr vereinfacht, sich frei in Europa zu bewegen, es gibt keine Asylverfahren. Je nachdem, wie sich der Konflikt entwickelt, ob beispielsweise Moldau oder weitere Länder destabilisiert werden, könnten viele weitere Millionen Menschen fliehen müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass Europa sich dann unter der Belastung erst recht gegen weitere Fluchtmigration aus anderen Teilen der Welt abschottet und es zu einer Verschärfung an den Außengrenzen kommen wird gegenüber Nicht-Ukrainern.

Ist es das, was Putin intendiert? Wird der Hunger zur Waffe?

Hunger, die Destabilisierung von nordafrikanischen und Sahelstaaten und mögliche Fluchtbewegungen sind – zusätzlich zur Energieunsicherheit – in jedem Fall ein Druckmittel. Auch die mutmaßlich von Russland gesteuerten militärischen Eingriffe beispielsweise in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik, wo die Gruppe Wagner agiert, sind Teil dieser geopolitischen Strategie Russlands.

Was kann Europa tun?

Es wird sehr interessant zu sehen, wie sich die Mitgliedstaaten der EU positionieren. Gibt's da Geschlossenheit bei der weiterhin bestehenden Möglichkeit, in der EU Asyl zu erhalten? Oder wird das Mittelmeer noch weiter abgeschottet, weil die Einstellung vorherrscht, dass wir unseren Teil für den weltweiten Flüchtlingsschutz mit den Ukrainern getan hätten? Eine klare Prognose dazu ist nicht möglich. Aber die Gefahr ist sicherlich da, dass Europa sich auf den Schutz ukrainischer Flüchtlinge konzentriert und sich aus dem Schutz anderer Hilfesuchender herauszieht.

Was ist erforderlich, um Hunger und Leid jetzt sofort einzubremsen?

Was wir unbedingt vermeiden sollten: Getreideexporte aus Europa nach Afrika zu stoppen – wie Ungarn das tut. Oder Handelshemmnisse aufzubauen, die es hiesigen Produzenten erschweren, in bedürftige Länder zu exportieren. Europa kann sich leisten, nach Afrika zu exportieren. Kreative Lösungen, wie Exporte des ukrainischen Getreides über die Bahn in die EU und von dort auf die Schiffe, können einen Teil der Folgen des russischen Krieges abmildern. Daher ist sehr zu begrüßen, dass sich die G7 jetzt auf ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit geeinigt haben und sich hier engagieren wollen.

"Die Debatte" ist eine Plattform für die Diskussion aktueller, kontroverser Themen aus der Wissenschaft. Sie will die wissenschaftliche Perspektive stärker in öffentlich viel diskutierte Themen einbringen.

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