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Putin droht Westen mit Atomkrieg: Plötzlich wird es eisig im Saal


Er droht mit Atomkrieg
Putin verpasst China eine Ohrfeige

Von Patrick Diekmann

29.02.2024Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident droht dem Westen in seiner Rede zur Lage der Nation. (Quelle: Reuters)

Wladimir Putin zieht im Ukraine-Konflikt bei seiner Rede zur Lage der Nation rote Linien – und droht dem Westen mit einem Atomkrieg. Der Kremlchef möchte damit die Nato spalten, aber er verärgert auch seinen wichtigsten Partner.

Es ist ein Auftritt, der Beobachter sehr an die mehrstündigen Monologe der früheren Generalsekretäre der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion erinnert. Wladimir Putin spricht am Donnerstag in seiner Rede zur Lage der Nation über die aktuellen Herausforderungen Russlands. Die Propaganda-Ansprache des Kremlchefs in Moskau wirkt jedoch eher wie ein Schulreferat. Putin liest viel von seinen Aufzeichnungen ab, streut hin und wieder eine Folie mit Zahlen ein. Die Stimmung im Saal wirkt gedämpft, die vom Kreml ausgewählten Gäste blicken stundenlang emotionslos hoch zum Präsidenten. Gelegentlich gibt es höflichen Applaus.

Für Putin geht es auch darum, die Stimmung in Russland zu verbessern. Die russische Armee ist in der Ukraine zwar aktuell in der Offensive, aber das Land befindet sich nun seit zwei Jahren im Krieg – mit Hunderttausenden Toten. Auch deshalb nutzt der russische Präsident erneut die Gelegenheit, um Russland als Opfer des Westens zu präsentieren und um der eigenen Bevölkerung Geldgeschenke in Aussicht zu stellen.

Einerseits verzichtet Putin an diesem Donnerstag auf große Ankündigungen, aber seine Rede gibt Aufschluss über die aktuellen Ängste des russischen Präsidenten. So zieht er im Ukraine-Konflikt rote Linien für den Westen und droht mit einem Atomkrieg. Putin wirkt siegessicher, mit seinen Drohgebärden dürfte er aber vor allem auch seinen wichtigsten Partner China verärgern.

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Putin ist siegessicher, droht aber trotzdem

Vor allem bei einem Teil seiner Rede wird es plötzlich eisig im Saal. Putin blickt finster ins Publikum, als er dem Westen vorwirft, die Gefahr eines Nuklearkonflikts heraufzubeschwören. "Sie sollten endlich begreifen, dass auch wir über Waffen verfügen, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können", meint Putin. Es ist eine Drohung, wie sie der Kreml seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2022 nicht mehr oft ausgesprochen hat.

Der Hintergrund ist klar: Im Westen wird zumindest darüber gesprochen, dass Soldaten aus Nato-Staaten auch in der Ukraine eingesetzt werden könnten. Das hatte der französische Präsident Emmanuel Macron am Montagabend überraschend nicht mehr ausgeschlossen – und die russische Propaganda nutzt diesen Vorstoß aus. Putin spricht an diesem Donnerstag darüber, dass der Westen "koloniale Gelüste" habe, er überall auf der Welt nationale Konflikte schüre.

Damit stellt der russische Präsident, der selbst am 24. Februar 2022 den Angriffsbefehl auf die Ukraine gab, Russland als Opfer dar. Er geht weiter auf Konfrontationskurs zur Nato und zeigt keinerlei Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft – zumindest im Ukraine-Konflikt nicht. Er sieht angesichts der militärischen Lage keine Notwendigkeit, seinen Kurs zu ändern. Gemeinsam stark bis zum Sieg, ohne Rücksicht auf eigene Verluste.

"Sie haben über die Möglichkeit gesprochen, westliche Militärkontingente in die Ukraine zu schicken", sagt Putin in seiner Rede. Ein solcher Schritt hätte für die betreffenden Länder "tragische" Folgen, warnt er. "Alles, was sie sich derzeit einfallen lassen, womit sie die Welt erschrecken, schafft die reale Gefahr eines Konflikts mit dem Einsatz von Atomwaffen, was die Zerstörung der Zivilisation bedeutet."

Es war vor allem die russische Führung, die zumindest in den ersten Monaten nach Beginn der Invasion oft über den Einsatz von Atomwaffen sprach, um im Westen Ängste vor einer Eskalation zu schüren und um die westliche Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Putin zieht nun eine neue rote Linie: Nato-Soldaten dürfen nicht in der Ukraine operieren. Aber diese Linien gab es oft: Etwa bei Panzern oder Artilleriesystemen – und offenbar scheint es in Moskau auch große Sorge vor den Lieferungen von Taurus-Marschflugkörpern aus Deutschland zu geben, meinen Experten. Die befürchtete Eskalation blieb bisher aber aus.

Angebot an die USA

Der Grund dafür liegt einfach darin, dass auch Putin kein Interesse an dieser Eskalation hat, weil er damit seine Kriegsziele nicht mehr erreichen kann. Wenn er in seiner Rede von einem "Ende der Zivilisation"durch den Einsatz von Atomwaffen spricht, ist das in erster Linie abschreckend gemeint. Es geht darum, die Nato vor einem Ausbau ihrer Initiativen abzuhalten.

Dass Putin allerdings überhaupt wieder auf diese Botschaften zurückgreifen muss, ist durchaus eine Überraschung: Immerhin hat seine Armee in der Ukraine aktuell die Initiative. Wie er in Moskau auch noch einmal betont, baut Russland seine Kriegswirtschaft weiter aus. Der russischen Industrie gelingt es, immer mehr Waffen, Munition und Kriegsgerät zu produzieren. Bislang scheint der Westen noch zu wenig entschlossen, Russen in dem Abnutzungskrieg die Stirn bieten zu wollen.

Der Kremlchef scheint sich aber darüber bewusst zu sein, dass der Westen im Kollektiv seine wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft hat. Sollten die westlichen Unterstützer der Ukraine also aus ihrem Winterschlaf der Debatten und des Zögerns erwachen, sähe es für Russland nicht wirklich gut aus.

Deshalb versucht Putin abzuschrecken, zu spalten, auch in seiner Rede zur Lage der Nation. So bietet er den USA Gespräche über "Fragen der strategischen Stabilität" an. Damit ist durchaus eine Verbesserung der Beziehungen gemeint, aber nur, bei allem, was das Thema Ukraine ausklammert. Das soll vor allem die Amerikaner um Donald Trump ansprechen, die den Ukraine-Konflikt als europäisches Problem sehen. Das nährt die Befürchtung, dass Putin darauf zielt, einen für die Ukraine schlechten Deal mit Trump zu schließen, falls er die US-Präsidentschaftswahl im November gewinnt.

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Ärger in China ist wahrscheinlich

Es gibt jedoch auch Gewissheit darüber, wen Moskau als Partner auf Augenhöhe sieht: nur die Vereinigten Staaten. Putin möchte nicht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über Frieden verhandeln, auch nicht mit der Europäischen Union. Die EU erwähnt er mit keinem Wort, weil er ihr vermutlich als ordnungspolitische Macht keine Bedeutung geben will. Russland hat stets versucht, europäische Einigungen zu unterminieren, um seine machtpolitische Position zu stärken. Auch deshalb nimmt Putin Einfluss auf Länder wie Ungarn.

Die Zeichen stehen also weiter auf Konfrontation. Seine Lesart am Donnerstag: Die westlichen G7-Staaten werden ohnehin an Bedeutung verlieren, während die BRICS-Schwellenländer die Weltwirtschaft künftig dominieren werden. Der Westen wolle nur Russland kleinhalten, das Land teilen und seine Entwicklung verhindern.

Dabei ist es primär ein dominierendes BRICS-Land, das von Putins erneuten Atomdrohungen wenig begeistert sein dürfte. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar machte der chinesische Außenminister Wang Yi noch einmal deutlich, dass Peking das Spiel mit der atomaren Bedrohung missbilligt. Zuvor war es auf der Initiative von China zu verdanken, dass der Kreml in dem Bereich verbal abgerüstet hatte.

Putins erneute Drohung mit Nuklearwaffen ist deshalb auch eine Ohrfeige für seinen wichtigsten Partner. Das ist für die chinesische Führung ärgerlich, zumal die chinesische Friedensinitiative im Ukraine-Krieg bisher keinerlei Erfolge hatte. Für Chinas Selbstverständnis als Supermacht ist das ein schwerer Dämpfer, und es bleibt abzuwarten, wie Peking nun auf die erneuten Drohungen des Kremlchefs reagiert.

Wahlgeschenke für die Bevölkerung

Unter dem Strich gibt es darüber hinaus wenig Neues aus Moskau. Die angespannten Gesichter im Saal sind aber zumindest Ausdruck davon, dass das russische Narrativ einer kurzen Spezialoperation in der Ukraine mittlerweile völlig kollabiert ist. Die Opferzahlen sind hoch, neben den wirtschaftlichen Problemen des Landes schuften viele Russinnen und Russen in 24-Stunden-Schichten in den Rüstungsfabriken.

Wie Putin betont, habe der Westen im Gegensatz dazu vergessen, was Krieg eigentlich bedeute. Aber natürlich gibt es auch in Russland Kriegsmüdigkeit und die wirtschaftliche Entkoppelung vom Westen, die Trauerfeiern für gefallene Soldaten und die Repressionen gegenüber der eigenen Bevölkerung zehren an den Nerven der russischen Bevölkerung.

Deswegen macht Putin in seiner Rede seiner Bevölkerung auch teure Geschenke: Der Mindestlohn soll erhöht, Kindergärten und Schulen restauriert, neue Sportanlagen gebaut werden. Russland soll wirtschaftlich souveräner werden, aber durch die technologische Entkoppelung vom Westen wird das besonders schwierig.

Insgesamt legt Putin auch kein Konzept für die Zukunft vor. Er nennt keine Kriegsziele für die Ukraine und gibt auch nicht Aufschluss darüber, wie seine Sozialprogramme finanziert werden sollen. Das war auch nicht zu erwarten, immerhin bewirbt sich Putin mit seiner Rede bei der russischen Präsidentschaftswahl ab dem 15. März auch um eine neue Amtszeit. Diese Wahlen sind zwar weder frei noch fair, aber er möchte natürlich trotzdem ein gutes Ergebnis erzielen. Es gibt folglich dieser Tage sehr viel, das in Russland an die ehemalige Sowjetunion erinnert – auch über Putins Rede hinaus.

Verwendete Quellen
  • Beobachtung von Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation
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